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Dream Theater - A Dramatic Turn Of Events - Massen-Review

12.09.2011

Dream Theater "A Dramatic Turn Of Events" CoverVor einem Jahr erschütterte die Meldung, dass Drum-Krake Mike Portnoy bei seiner Band DREAM THEATER ausgestiegen ist, die Metalszene wie ein mittelschweres Erdbeben. In der Folgezeit floß viel Wasser den Hudson River hinunter und darin wurde mitunter auch ein bisschen schmutzige Wäsche gewaschen. Nun legt die New Yorker Band, die in Mike Mangini Ersatz für den Schlagzeuger fand, ihr zwölftes Album vor und die Spannung, wie es klingen würde, war bei einem DREAM THEATER-Album selten so groß, wie in diesem Fall. Und selten gab es in einem Massen-Review eine so geringe Amplitude und so viel Einigkeit unter den Rezensenten, wie im Fall von "A Dramatic Turn Of Events".


Review von: Andreas Schiffmann
(Profil)

Da sind sie also wieder, die dereinst gern gehörten und in jüngerer Zeit vom Rezensenten als aussagefreie Kraftmeier verschmähten Bekannten. Man weiß nicht, ob DREAM THEATER sich auch mit Mike Portnoy auf Entschlackung verstanden hätten; in jedem Fall aber hat ein Umdenken eingesetzt, das den Ikonen gut steht.

"A Dramatic Turn of Events" ist vor allem Rudess' und LaBries Album. Erster bestätigt, dass er ein meisterhafter Arrangeur und einzigartiger Klangdesigner ist, etwa mit seinem melodisch wie rhythmisch grandiosen Spiel gleich in "On the Back of Angels" oder klassisch proggig in "Breaking All Illusions" und "Bridges in the Sky". Der zuletzt arg gebeutelte Sänger hingegen relativiert Unkenrufe bezüglich seiner stimmlichen Qualitäten, wenngleich er seine Hasser nicht bekehren wird. "Is there ever really a right time?", fragt er in "Beneath the Surface" und klingt dabei befreit wie nie, gerade am Ende.

Mit Prokrastination hier, Kahlil Gibran dort oder nachdenklichen (rebellisch in "Outcry") bis maximal bedrückenden Texten anderswo (das psychotische "Build Me Up, Break Me Down") drehen DREAM THEATER der Unzahl an Mitbewerbern einmal mehr eine lange Nase, wenn es um Inhalte geht. Auf Metal-Abfahrten muss man dennoch nicht verzichten, wobei die Gruppe Portnoys prollige Dünkel auch in deftigeren Doublebass-Passagen ("Lost Not Forgotten") nicht fortleben lässt.

Mangini findet sich trefflich in die Gruppe ein und unterstützt sie beim verhaltenen Betreten von Neuland; speziell seine Beckenarbeit ist famos, und Drumloops verlieren im Kontext dieser Band ihren ansonsten eher abgeschmackten Ruch. Seit langem hat die Gruppe kein solches Füllhorn an Ideen (gesampelter Kehlkopfgesang, Weltmusik-Flair) mehr über ihren Hörern ausgeschüttet, wenngleich sie keine Revolution mehr lostreten will, sondern vielmehr längst in ihrem eigenen Genre angekommen ist.

Dass gerade die kompakten, minimalistischen Tracks ("Far From Heaven") berühren wie zuletzt Kevin Moores Kompositionen für die Gruppe, macht DREAM THEATER auch abseits der Superlative (wieder) relevant. Wünscht man sich die Jungs dennoch wieder heiterer und unbekümmerter, bleibt man auch 2011 enttäuscht. Wir alle werden alt. "Innocence caressing me, I never felt so young before …"

FAZIT: "A Dramatic Turn Of Events" ist seit Langem das genießbarste und bereits jetzt schon nachhaltigste Album der Band. Wenngleich die Gänsehaut an den alten Scheiben hängt, begeistern DREAM THEATER wieder mit emotionalen wie musikalisch fintenreichen Songs, die zur Entdeckungsreise einladen. Sollte die Scheibe einen generellen Kurswechsel einläuten, steht uns womöglich noch Besseres bevor.

10 von 15 Punkten


Review von: Andreas Schulz (Profil)

Obwohl die ersten sechs DREAM THEATER-Alben in meinem CD-Regal stehen, hatte ich die Band in den letzten Jahren ein wenig aus den Augen verloren. Und auch wenn in der Fachpresse die CD-Kritiken für die Alben sieben bis elf weitestgehend positiv ausfielen, so wurde das Interesse an den New Yorker Progressive Metallern nicht gerade neu entfacht. Und so musste es erst zum medienwirksamen Ausstieg von Mike Portnoy und der folgenden Neuausrichtung kommen, um wieder neugierig auf ein Album der Band zu werden.

Und was sich bereits in der Vorabberichterstattung andeutete, bestätigt sich, wenn man sich "A Dramatic Turn Of Events" zu Gemüte führt. Das Album orientiert sich wieder deutlich stärker an der Schaffensperiode in den 90ern und verzichtet weitestgehend auf Einflüsse, die außerhalb der Spielart des Progressive Metal liegen, mit der DREAM THEATER es zu weltweitem Ruhm gebracht haben. Die neun Songs vermitteln ein Gefühl des "nach Hause Kommens", man hat wieder das Gefühl, die Band so zu hören, wie es ursprünglich gedacht war. Und damit wird man sicherlich einiges an verlorenem Boden gutmachen können.

Auf die spielerischen Fähigkeiten der einzelnen Musiker einzugehen dürfte sich erübrigen, dass jeder einzelne ein Meister seines Fachs ist, weiß man – und hört man auch auf "A Dramatic Turn Of Events". Dabei ist das Material wieder deutlich besser auf die nicht unumstrittene Stimme von James LaBrie zugeschnitten und so bilden Musik und Gesang eine machtvolle, oft auch gefühlvolle Einheit. Ein paar Worte zu Neu-Drummer Mike Mangini sind noch angebracht, sein Spiel fügt sich nahtlos ein, ist aber nicht unbedingt auffällig – songdienlich ist hier wohl der zutreffende Begriff.

Gut gewählt erscheint der Albumtitel, wenn man die Songs auf sich wirken lässt, besonders das Wörtchen "dramatic" findet seine Umsetzung oft in der Musik. So darf man dem Opener "On The Back Of Angels" durchaus das Attribut dramatisch ans Revers heften, der melancholische Unterton und der starke Refrain sowie ein verspielter, aber nicht übertriebener Instrumentalteil sorgen für einen gelungenen Einstieg. Dass man nicht krampfhaft versucht, Anachronismus zu üben, beweist das folgende "Build Me Up, Break Me Down". Die eher eingängige Nummer überrascht mit Effekten auf den Vocals, modernen Synthiesounds, die teilweise an RAMMSTEIN erinnern, harten Riffs aus tiefer gestimmten Gitarren – und einem höchst melodischen, tollen Refrain, der in seiner klassischen Ausrichtung ein guter Kontrast ist. Pferdegetrappel eröffnet das sperrigere "Lost Not Forgotten", in dem sich die Musiker das erste Mal richtig austoben dürfen. Der schwermütige Uptempo-Refrain wiederum sorgt dafür, dass auch diese Nummer im Gedächtnis bleibt. Wunderschöne Licks zeichnen das getragene, gefühlvolle "This Is The Life" aus, welches von den drei ruhigeren Nummern die beste ist. Die schwächste Nummer des Albums ist "Bridges In The Sky", die zwar einen guten Instrumentalteil hat, aber nicht richtig zünden will. Das wiederum melancholischere, bewegende "Outcry" ist ein Prog-Spektakel erster Güte, während das balladeske "Far From Heaven" ein bisschen zuviel Zuckerguss ausschüttet. "Breaking All Illusions" ist mit knapp 13 Minuten der längste Song des Albums und besticht wiederum durch ein extrem hohes Maß an Abwechslung: ein leichtfüßiger, eingängiger Einstieg, eine dramatische Steigerung, Hammondorgeln und Melodiefolgen, die irgendwie finnisch wirken – so will man DREAM THEATER hören. Den Abschluss macht mit "Beneath The Surface" wiederum ein ruhiger Track – im Sport nennt man das langsames Auslaufen.

FAZIT: Fünf richtig starke Songs, vier immer noch gute, aber zu wenige Gänsehautmomente - dafür sind elf Punkte gerechtfertigt. Im progressiven Herbst 2011 liegen DREAM THEATER damit auf einer Linie mit ARCH/MATHEOS, die zwar das spektakulärere Album vorzuweisen haben, bei den New Yorkern findet man aber durch den Gesang schneller Zugang zur Musik. 

11 von 15 Punkten


Review von: Chris P. (Profil)

DREAM THEATER haben in ihrer Karriere ja schon so einige Phasen der Unhörbarkeit durchgemacht. War das sträflich überbewertete "Images And Words"-Album mit seinem Drumcomputer-Sound und seiner OP-Saal-Produktion plus verkrampfter "Seht her, wie unfassbar toll wir instrumentale Onanie betreiben!"-Reißbrett-Prog schon die Perversion progressiver Hartmusik, folgten nach dem zugegebenermaßen äußerst gelungenen "Awake" zahlreiche Dokumentationen vollendeter Selbstherrlichkeit in Form narzisstischer, seelenloser Pamphlete, zu denen James LaBrie zunehmend affektierter ins Mikrofon säuselte. Der stilistische Befreiungsschlag "Train Of Thoughts" ließ hoffen, doch bald verlor sich die Truppe wieder im alten Trott, und der Portnoy-Schatten verdunkelte zunehmend die Klarheit, die hätte aufkommen können – und somit auch den Hörgenuss.

Die Spannung war also groß, was musikalisch passieren würde, nachdem Schlagzeuger Mike Portnoy seinen Abgang von der Bühne des Traumtheaters bekannt gab. Und auch wenn es so mancher Fan nicht hören wollen wird: Etwas Besseres als diese Trennung hätte Petrucci und Co. nicht passieren können. Denn erstmals seit langer, langer Zeit besitzt die Musik DREAM THEATERs wieder etwas Organisches. Mit einem blitzartigen Ruck hat man sich selbst die Besenstiele aus der anatomischen Hintertür gezogen, sodass selbst die instrumentalen Kabinettstückchen um einiges natürlicher und songdienlicher und nicht etwa so prätentiös und verkrampft wie zuletzt wirken.

Manchmal erscheinen die Jungs fast schon eine Ecke zu entspannt, meist aber erfolgt das im Zuge ihres, ähem, Erwachsengewordenseins – hier und dort hätten etwas mehr jugendlicher Esprit oder ein etwas massiverer Gitarrenriff für etwas mehr Pep sorgen können. Vielleicht hätte hinsichtlich des Vorstoßens in für DREAM THEATER neue Bereiche auch noch ein Stück mehr Mut zum Experimentalismus gut getan, denn oft hat es den Anschein, als taste sich die Band immer etwas zaghaft in jene Gefilde. Doch das ist letztendlich Herummosern auf hohem Niveau, da die Band endlich wieder zu mehr zu gebrauchen ist als zum Auswendiglernen verbissen konstruierter Noten- und Taktfolgen. Lobend zu erwähnen ist hier auch LaBrie, der weitestgehend ohne gesangliche Dauerwelle und gezupfte Augenbrauen auskommt. Die Kehrtwende hat begonnen, und dieses Mal bleibt das Musikerkollektiv hoffentlich nicht wieder in der eigenen Fahrspur hängen.

10 von 15 Punkten


Review von: Lothar Hausfeld (Profil)

Lange Jahre war es mit DREAM-THEATER-Alben so: Der Inhalt war feinste, zart schmelzende Vollmilch-Schokolade, stets mindestens so kunstvoll eingepackt wie auch der Inhalt gestaltet war. Teilweise grenzte die Hülle verblüffender Origami-Falttechnik – und am Ende funktionierte alles in Perfektion. Irgendwann hatten die Chocolatiers aber die Nase voll vom ewigen Vollmilchgeschmack. Und so probierten sie allerhand Neues aus: Die Süße von Karamell, den Biss von Haselnüssen, die Frische von Joghurt oder auch die Schärfe von Chili. Die meisten dieser Kreationen mundeten, wenngleich der eine oder andere Anhänger sich nach den Vollmilchzeiten zurück sehnte. Als sich dann einer der Chocolatiers, nämlich der, der immer so viel redete und mit ausgefallenen Frisuren und Bärten auffiel, aber daran machte, die kunstvolle Verarbeitung immer mehr zu verändern, war es mit der Geduld der Fans vorbei. Stacheldraht, Reißzwecken oder Glassplitter wollten nur die wenigsten in DREAM-THEATER-Schokoladen-Verpackungen finden.
 
Und so waren so manche treue Fanseelen gar nicht so traurig darüber, als das bärtige Männchen mit dem Hang zur Selbstdarstellung namens Mike Portnoy eines Tages seinen Ausstieg bekannt gab. Sicher, die Skepsis war greifbar: wie würde die Prog-Institution ohne ihr Aushängeschild an den Drums klingen?
 
Nach etlichen Durchgängen von "A Dramatic Turn Of Events" kann man konstatieren: Jegliche Skepsis im Vorfeld war unnötig. Album Nummer zwölf stellt eine rundum überzeugende Rückkehr zum Vollmilch-trifft-Origami-Sound dar. Jener Sound, der den begnadeten Musikern vor knapp 20 Jahren mit "Images And Words" den weltweiten Durchbruch brachte.
 
Auf "A Dramatic Turn Of Events" finden sich alle Zutaten, die ein anständiges Album des Traumtheaters braucht: knallharte Riffs, vertrackte Rhythmuspassagen, elegische Keyboard-Orgien, eine ordentliche Portion Kitsch und jede Menge Göttermelodien. Oder, anders gesagt: Diese Gratwanderung zwischen anspruchsvollster Musik und Eingängigkeit, die auch 2011 niemand besser hinbekommt als DREAM THEATER. Die deplatziert wirkenden modernen Thrash- und Knüppelpassagen gehören der Vergangenheit an, die ganze Band wirkt trotz der komplexen Arrangements so locker, so entspannt, als sei mit dem Weggang von Mike Portnoy, der durch Mike Mangini äußerst kompetent ersetzt wurde, eine Pistole im Rücken der Band verschwunden.
 
Das gilt insbesondere für Sänger James LaBrie, der gelöst klingt wie nie, der nicht gezwungen wird zu brüllen, sondern sich stattdessen mit stets passendem Klargesang zu seiner besten Gedangsleistung seit ewigen Zeiten aufschwingt. LaBrie ist zweifellos das Bandmitglied, das am meisten vom Ausstieg Portnoys profitiert.
 
Was der vom Ex-Drummer stets ein wenig gegängelte Sänger alleine auf den beiden Longtracks "Bridges In The Sky" und "Outcry" an Gänsehautmomenten raushaut, stopft all denen das Maul, die den Lockenkopf für das mit Abstand schwächste Glied der DT-Kette halten. Doch man hört: Wenn niemand das Messer an LaBries Kehle hält, agiert dieser fast auf Augenhöhe mit seinen begnadeten Mitmusikern. Der nahezu einzige Kritikpunkt an "A Dramatic Turn Of Events": Drei Balladen sind ein bisschen zu viel des Sanften. Doch darüber kann hinweg gesehen werden, da alle vier Songs, die die Zehn-Minuten-Grenze knacken, absolute Highlights  darstellen - ja, auch im Bandkontext. Und auch "kürzere" Songs wie der "Images And Words"-Gedächtnis-Opener "On The Back Of Angels" oder das zwischen modernen Tönen und Ultraeingängigkeit pendelnde "Build Me Up, Break Me Down" stehen dem in kaum etwas nach.
 
FAZIT: Danke, Mike Portnoy, für alles, was Du den Fans durch DREAM THEATER gegeben hast. Aber im Vergleich zu den letzten Alben zeigt "A Dramatic Turn Of Events", dass Deine Band, Dein Baby, Dein musikalisches Leben, besser ohne Dich klarkommt. Hmmmm, Vollmilch...

12 von 15 Punkten


Review von:  Lutz Koroleski
(Oger) (Profil)

Nach dem Ausstieg von Ur-Drummer und quasi-Bandleader Mike Portnoy war die Spannung vor Veröffentlichung von "A Dramatic Turn Of Events" besonders groß. Tatsächlich kann man die Folgen dieser einschneidenden Umbesetzung relativ deutlich heraushören. So stehen die Drums deutlich weniger im Vordergrund, obwohl Neuzugang Mike Magnini seinem Vorgänger sicher technisch und musikalisch ebenbürtig ist. Außerdem sind die heftigen Passagen, an denen sich viele Fans insbesondere auf Alben wie "Train Of Thought" oder "Systematic Chaos" gestört hatten, fast völlig verschwunden. LaBrie klingt nicht mehr nach Hetfield-light und nutzt wieder verstärkt tiefere Tonlagen. Die MUSE-Zitate sind offenbar ebenfalls Schnee von gestern. Selbst die Soli von Jordan Rudess wirken weniger anstrengend und songdienlicher. Insgesamt orientiert sich der DREAM THEATER-Sound wieder zurück in Richtung des "Metropolis Part 2: Scenes From A Memory"-Albums und die Band klingt einfach mehr nach sich selbst, als das auf einigen der Nachfolge-Werke der Fall war. Was das Songwriting angeht sucht man Skip-Kandidaten und Langweiler diesmal vergebens. Auch textliche Ausfälle wie "The Best Of Times" sind nicht auszumachen. Vielmehr gelingen den einstigen Prog-Metal-Vorreitern mit dem realtiv straighten "Build Me Up Break Me Down", dem ehemaligen Titelsong "Bridges In The Sky" oder "Breaking All Illusions" einige großartige Songs, die insbesondere mit äußert mitreißenden Refrains punkten können. Von den gleich drei balladesken Beiträgen überzeugt allerdings nur "Beneath The Surface", die anderen beiden fesseln nicht zu hundert Prozent. Eine Umstand, der auch auf einen Teil der übrigen Songs zutrifft. Einige Melodiebögen und Instrumental-Passagen hat man innerhalb der mittlerweile sehr umfangreichen Diskographie der Band halt schon mal in ähnlicher Form gehört. Stellt sich die Frage, ob das nach elf Studio-Alben überhaupt vermeidbar ist. Besonders positiv sticht diesmal die soundtechnische Umsetzung und die Gitarrenarbeit von John Petrucci hervor, dem einige bemerkenswert schöne Soli geglückt sind.

FAZIT: Nach vielen anderen Metal-Größen in letzter Zeit gehen auch DREAM THEATER zurück in Richtung ihrer erfolgreichsten Phase und werden viele Fans mit einem durchweg starken Album erfreuen, das nach dem Ausstieg eines wichtigen Bandmitgliedes in dieser Form nicht unbedingt zu erwarten war. Mit den zum Teil schon geäußerten Superlativen sollte man allerdings vorsichtig sein. Denn erstens waren auch das letzte Album oder z.B. "Octavarium" trotz des einen oder anderen deplatzierten Experiments keine völligen Rohkrepierer und zweitens freut man sich natürlich über eine überragende Perle wie "Breaking All Illusions", aber bei Lichte betrachtet, fanden sich auf den echten Referenzwerken wie "When Dream And Day Unite" oder "Images And Words" ausschließlich Songs dieser Qualitätsstufe und das ist auf "A Dramatic Turn Of Events" nicht der Fall.

10 von 15 Punkten


Review von: Sascha Ganser (Profil)

In your face, Mike Portnoy! Da kommt der Mangini daher und lässt einfach mal so das große Alphatier vergessen. Technisch zieht der grüne Neue allermindestens mit seinem Vorgänger gleich, und mal ehrlich: Vermisst irgendwer die Lokus-Growls, die merkwürdigen MUSE- und METALLICA-Referenzen, die angestrengte Angepisstheit?

Selbst Fans des Schlagzeugsuperstars müssen zugeben: Da ist jetzt wieder eine neue Leichtigkeit im Sound, die wie vom Blitz vermittelt an "Images & Words" denken lässt. Gerade James LaBrie wirkt wie ein von der Leine gelöster Hund, der jeden Zentimeter seines neu gewonnenen Areals beschnüffelt und herzhaft anbellt. Wie sagt er selbst? Er singt wie ein Motherfucker (und tat es schon immer). Keine Hetfield-Mimikry mehr, LaBrie ist LaBrie und beinahe dünkt es einen, dass der Mann endlich, nach 20 Dienstjahren, unersetzlich geworden ist. Wurde der Special Edition von "Black Clouds And Silver Linings" fast schon entschuldigend eine Bonus-CD mit reiner Instrumentalabmischung beigefügt, ist "A Dramatic Turn Of Events" ohne LaBrie nur schwer vorstellbar.

Die Songs? Man kann ihnen durchaus eine neue Art von Inspiration attestieren. Zwar fehlt ein Überteil wie "The Count Of Tuscany", das einzige Stück des Vorgängers, das diesen Titel verdient hat; andererseits fehlt ebenso die dort fast schon symptomatische (und auf Dauer an den Nerven zehrende) Motivwiederholung. Ob Schamanenchöre oder reine Ambientspuren: "A Dramatic Turn Of Events" schwebt mit der Lust auf Überraschung ätherisch-locker vor sich hin und haut hier und da mal kräftig in die Kerbe. Wenn es hart wird, wirkt das nie so mühsam wie in der jüngeren Vergangenheit, sondern organisch und in sich schlüssig.

Und dennoch, bei aller Euphorie über DREAM THEATER light: Unter dem Strich findet nicht mehr statt als eine oberflächliche Renovierung. Es braucht gar nicht die Rockstarattitüde des einstigen Anführers, denn ein von bunten Bühnenscheinwerfern begleiteter Showact wird der New Yorker Verbund auch ohne Portnoy immer bleiben. Da mag das Feeling noch so unverbraucht sein: LaBries Gesangslinien bleiben ebenso überraschungsarm wie Jordan Ruddess’ stets ans Disney-Musical "Fantasia" erinnernde Keyboard-Intermezzi. Auch die ein oder andere Reprise hat sich wieder eingeschlichen ("Breaking All Illusions" beispielsweise zitiert "In The Presence Of Enemies"), dies aber erfreulicherweise nicht so exzessiv wie auf "Black Clouds". Natürlich muss man auch nicht mehr erwarten als das; wenn man eine Flasche Coke öffnet, rechnet man schließlich auch mit einem ganz bestimmten Geschmack. Warum aber sollte sich auch eine Band wie diese nicht mal vollkommen selbst erfinden können? Und wäre Portnoys Ausstieg dafür nicht der perfekte Zeitpunkt gewesen? Oder wartet man mit der totalen Umkrempelung aus Pietät noch ein Album ab?

FAZIT: DREAM THEATER hatten den Trumpf des spektakulären Drummerwechsels auf ihrer Seite, um alle Aufmerksamkeiten auf sich zu ziehen, aber letztendlich müssen sie im großen Monat des Progressive Rocks gegen praktisch jeden Konkurrenten zurückstecken, wenn es darum geht, was es wohl Neues zu entdecken gibt. OPETH, STEVEN WILSON, ARCH/MATHEOS, MASTODON, auch PAIN OF SALVATION – alle muten sie im Vorfeld interessanter an, teilweise um Welten. Dabei ist "A Dramatic Turn Of Events" durchaus der erhoffte frische Windzug im von Spinnweben benetzten Traumtheater, doch der Film, der auf der Leinwand flimmert, ist immer noch der gleiche. Vielleicht hätte auch mal jemand die Filmrolle wechseln sollen – einmal gut durchlüften reicht nicht aus, um den Saal langfristig zu füllen.

10 von 15 Punkten

Durchschnittspunktzahl: 10,5 von 15 Punkten

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Andreas Schulz (Info)