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Interview mit Borderline Syndrome (20.01.2013)

Borderline Syndrome

Die üble Wirtschaftslage in Griechenland macht natürlich auch nicht vor Künstlern halt, und somit ist der Tenor unseres Interviews mit dieser jungen Prog-Band ein klagender, wenn auch kein Gejammer. Spricht man über Musik, blühen die Macher wie zu erwarten auf.

Was macht euch in dieser Konstellation so besonders als Band?

Dass wir gute Freunde sind, drei Mitglieder schon seit der Schulzeit ab dem sechsten oder siebten Lebensjahr, der Rest seit der Uni. Diese Tatsache beeinflusst unsere Haltung als Gruppe und die Musik sehr stark. Was letztere betrifft, so haben wir uns eindeutig gegenseitig beflügelt. Über die Jahre hinweg saugten wir eine Menge unterschiedlicher Stile und ästhetische Prinzipien auf, die letztlich unseren eigenen ergeben, also nicht nach dem Motto: "Band sucht Schlagzeuger für Mucke der Marke METALLICA."

Welche Künstler würdet ihr als Vorbilder bezeichnen?

Darüber könnte man ewig diskutieren. Wir haben zwar einen Metal-Hintergrund, doch maßgeblich für unseren Sound sind TOOL, THE DILLINGER ESCAPE PLAN und MESHUGGAH, nicht zu vergessen einige Neunziger-Progger wie PSYCHOTIC WALTZ, ferner RADIOHEAD; ULVER sowie BJÖRK. Davon abgesehen stehen wir, was unsere Verwendung bestimmter Harmonien angeht, dem Jazz sehr nahe, also John Coltrane, Miles Davis und Charlie Parker. In Abrede stellen möchte ich aber genauso wenig elektronische Musik von SQUAREPUSHER oder AMON TOBIN, und ob man es glaubt oder nicht: griechische Musiker und Komponisten wie Manos Hadjidakis und Stavros Xarhakos schlagen sich gleichfalls in unseren Stücken nieder. Zu guter letzt ist uns noch die norwegische Post-Black-Metal-Szene ein Anliegen: DØDHEIMSGARD, ARCTURUS, MAYHEM, THORNS und so weiter. Hier hören wir besser auf, denn wie du sicher weißt, ist Gelaber über Musik abendfüllend.

Eure Texte handeln von interpersonellen Konflikten und lassen auch Gesellschaftskritik anklingen. Ist euch eine klare Botschaft wichtig?

Generell handelt es sich dabei um augenblicklich persönliche Gedanken und Ansichten. Daraus ergibt sich auch die Bandbreite, denn jeder streicht unterschiedlichen Senf darauf. Wir üben also gleichermaßen verhaltene Kritik und flechten sentimentale wie heitere Parts ein, bedingt eben durch unser jeweiliges Innenleben. Ein konkretes Statement abzugeben liegt uns fern, wenngleich soziale Missstände durchaus ein wichtiges Thema für uns sind.

Was hat es mit der „Balloons“-Metapher im gleichnamigen Song auf sich?

Es ist das erste Stück unserer “Home Of The Lost Balloons”-Trilogie, die aus den letzten drei Tracks der Scheibe besteht. Das Konzept sieht folgendermaßen aus: "Balloons" beruft sich auf Kids, die auf einem Jahrmarkts Helium-Ballons kaufen; du weißt schon - mit Clown-Gesichtern darauf und so. Dabei freuen sie sich und projizieren ihre gesamte junge, unschuldige Begeisterung darauf. Glischten die Ballons aus ihren Fingern, steigen sie in die Höhe, was die Kinder betreten macht. Man könnte diese Flugkörper als Sinnbild für Freiheit verstehen. "Inflated Society" spinnt diesen Faden weiter, denn hier geht es um die eine Art von "Gemeinschaft", zusammengesetzt aus allen entstiegenen Ballons im Himmel. Wir haben sie belebt, lassen sie Wissen anhäufen und Erfahrungen sammeln, woraus eine neue Gesellschaft entsteht, die vieles besser macht als unsere ... bloß verlieren die Ballons mit der Zeit ihre Luft und sinken wieder zur Erde hinab, womit wir bei "Descending" angekommen wären. Jetzt sind sie zwar kraftlos geworden, haben ihre Weisheit jedoch bewahrt, weil sie miteinander interagieren konnten. Folglich helfen sie uns dabei, eine gerechtere und respektvollere Gesellschaft aufzubauen, in der keine Diskriminierung mehr stattfindet. Die Bedingung dafür? Einen Teil unseres Wissens aufgeben beziehungsweise zerstören. Zusammengefasst kann man die Metapher also als Sinnbild für unsere Glaubensvorstellungen und Hoffnungen betrachten, die auf etwas Materielles und auf den ersten Blick schlichtes übertragen werden.

Welchen Problemen steht ihr als aufstrebende Band ohne Mittel heutzutage gegenüber?

Griechenlang geht es gerade dreckig, das ist kein Geheimnis; jeder hier ist von der Krise betroffen, aber schon davor, als wir uns mit unserem Album an die Musikindustrie wandten, wollte jeder Geld dafür sehen, wenn er es herausbringen sollte! Jetzt ist es sogar noch schlimmer. Unser Bassist Samos ist ausgewandert und arbeitet jetzt in Schottland. Eine Emigrationswelle bricht sich Bahn und beraubt uns vieler junger Wissenschaftler wie guter Arbeitskräfte im Allgemeinen, auf die wir angewiesen wären. Wir, die zurückgeblieben sind, müssen hart ranklotzen, um etwas Geld zu verdienen, und eine Band zu unterhalten ist praktisch Luxus. Müßig zu erwähnen, dass politisch auch eine Menge im Argen liegt. Rassisten und Neonazis sind stärker geworden, weshalb unsere Probleme im Rahmen des Musikgeschäfts nichts im Vergleich zu dieser Unbill sind. Es bedarf großen Mutes und gewaltiger Stärke, um nicht auch das Weite zu suchen.

Wer ist Jef Marawi, der den Text zu „Thank You For Being Honest“ geschrieben hat?

Ein ehemaliger Mitmusiker. Er betreibt mittlerweile ein Soloprojekt, das ihr euch unter www.egghell.com anhören könnt.

Wie interpretiert ihr den Titel des Albums?

“Stateless” lässt mehrere Deutungen zu, zunächst im Sinne von “state of matter”, was auch zum "Balloon"-Konzept passen würde, also dem materiellen beziehungsweise nicht stofflichen Zustand von etwas oder jemandem. Zweitens kann man den Titel auf unseren Bandnamen beziehen, womit er quasi das Grenzenlose hervorkehren würde.

Wie geht es angesichts der geschilderten Missstände mit euch weiter?

Hoffentlich können wir weiterhin Musik auf qualitativ angemessenem Niveau machen. Gegenwärtig planen wir Live-Shows und promoten "Stateless" fleißig weiter.

Die letzten Worte gebühren euch:

Vielen Dank für eure Zeit und euer Interesse an unserer Musik. Vielleicht sieht man sich ja in Zukunft in einer besseren Welt.

Andreas Schiffmann (Info)
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