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HEIMSPIEL KNYPHAUSEN 2022 I 29.-31.07.2022 - Draiser Hof, Eltville - 29.07.2022

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Auch das 2009 von dem Liedermacher GISBERT ZU KNYPHAUSEN ins Leben gerufene „Heimspiel-Festival“ war natürlich von der Pandemie kalt erwischt worden. Allerdings gelang es dann, das Festival 2020 als Online-Show und 2021 mit einer Hybrid-Veranstaltung unter Pandemie-Einschränkungen am Leben zu halten. Dennoch war die Freude darüber, dass das Heimspiel Knyphausen wieder in der gewohnten Form mit Publikum ohne Kapazitätsbeschränkungen durchgeführt wurde, allenthalben zu verspüren.


Jedenfalls machten das GISBERT ZU KNYPHAUSEN selbst, sein Bruder FREDERIK (der das Weingut, auf dessen Gelände das Festival seit jeher stattfindet, seit einiger Zeit führt)
sowie Mit-Veranstalter und Booker BENJAMIN METZ deutlich, als sie das Publikum am frühen Freitagabend sichtlich ergriffen und erleichtert auf die kommenden drei Festival-Tage einstimmten und sich herzlich dafür bedankten, dass das Festival – entgegen der üblichen Entwicklungen bei anderen Veranstaltungen dieser Art und dank des Zuspruches der Fans – restlos ausverkauft hatte werden können. Das dürfte auch daran gelegen haben, dass das Heimspiel-Knyphausen seit jeher als Familienveranstaltung mit Camping-Flair und kulinarischer Vollversorgung angelegt ist. Die Fans brauchen sich also nicht zwischen Musik, Urlaub oder Restaurantbesuch zu entscheiden, sondern bekommen alles auf einmal – und können dazu auch noch die Kinder mitnehmen, für die es dann auch noch ein betreuungstechnisches Rahmenprogramm gibt.

Musikalisch hatte das Heimspiel auch in diesem Jahr wieder ein Programm zu bieten, das sich angenehm vom üblichen, austauschbaren Festival-Zirkus absetzte,
da hier nicht kommerzielle, sondern musikalische Kriterien und persönliche Empfindlichkeiten bei der Auswahl der Acts maßgeblich sind.

Das Programm begann am Freitag
nachmittag kurz nach einem unerwarteten Regenguss mit dem Auftritt des Mannheimer Autors, Filmemachers und seit einiger Zeit auch Musikers DAVID JULIAN KIRCHNER, der mit seiner Band und seinem 70er Jahre Polyester-Outfit für klassische Liedermacher-Romantik sorgte.

 

 

Das vor allen Dingen auch deshalb, weil er in seinen Songs jene schrulligen Charaktere feiert, die er als TV-Reporter im Auftrag der ARD für die Doku-Reihe „Deutschrand“ in den Provinzen der Republik getroffen hatte. Das ist sehr sympathisch und lebensnah – wenngleich auch zuweilen absurd, wenn er etwa Oden an den bayrischen „Woid“ oder verblichene Kühe darbietet. Musikalisch geht das Ganze hingegen leicht in Richtung der Hamburger Schule mit gewissen New Wave Pop-Akzenten.

Die Band HUSTEN hatte es ursprünglich so gar nicht geben sollen.

 

 

GISBERT ZU KNYPHAUSEN, Musiker-Produzent MOSES SCHNEIDER und der auch als Schriftsteller tätige TOBIAS FRIEDERICH fanden sich ursprünglich nur zum Spaß zusammen, um ein Mal im Jahr eine EP herauszubringen – und das sollte es dann gewesen sein. Inzwischen haben sich die Herren aber durchgerungen, eine LP namens „Aus allen Nähten“ zu veröffentlichen und wollen nun auch gemeinsam als Live-Band agieren. Der Auftritt beim Heimspiel war pandemiebedingt erst der zweite überhaupt und zeigte die Band gut gelaunt, aber ernsthaft im Rockmodus. Anders etwa als bei GISBERTs Solo-Eskapaden gab es jedenfalls erstaunlich viel Energie und Ausdruckstanz auf der Bühne – eingepackt in brillantes Songmaterial, das schnörkellos und druckvoll dargeboten wurde.

Den Abschluss des ersten Festival-Tages bildete die Show der Wiener Crossdresser-Band BILDERBUCH.

 

 

Jedenfalls präsentierten sich MAURICE ERNST und seine Mannen im stilechten Glamrock-Outfit und mit jeder Menge stadionreifem Superstar-Gehabe. Musikalisch hatten sich die Jungs dabei vom gewohnten, poppigen Disco-Flair abgesetzt und sich – zumindest für diese Show – in eine rockige Power-Pop-Richtung mit psychedelischen Artrock-Elementen im Stil der 70er „weiterentwickelt“. Freilich war das wegen der Gockel-haften Inszenierung und des Angeber-Gehabes von MAURICE ERNST dann schon wieder so „Over-The-Top“, dass das eine ganz eigene Unterhaltungsdynamik entwickelte. Am Ende entstand so vor der Bühne jedenfalls eine einzige Tanzparty, bei der die jugendlichen BILDERBUCH-Fans dem alteingesessenen Stammpublikum mal so richtig zeigten, wo die Disco-Kugel hängt. Tatsächlich war das Publikum dabei sogar fast noch unterhaltsamer als die BILDERBUCH-Show.

 

Der zweite Tag des Heimspiels ist dabei auch der Hauptkampftag, denn während am Freitag und am Sonntag nur je drei Acts eingeplant sind, waren es am Samstag dieses Mal deren 5. Den Anfang machte die Berliner Songwriterin KATHARINA KOLLMANN und ihr Bandprojekt NICHTSEATTLE im Rahmen der Heimspiel-Hoffnung-Reihe, bei der seit 2014 noch nicht so bekannte Künstler(innen) als Empfehlung präsentiert werden.

 

 

In ihren dezidiert unglamourös und spröde angelegten Elegien setzt sich KATHARINA mit ihrer Ost-Sozialisierung auseinander und legt dabei viel Wert auf liedermacherische Aufrichtigkeit und Emotionalität sowie originelle Titel wie z.B. „Kommunistenlibido“ und weit weniger auf gefällige Unterhaltungs-Spezifika. Das fordert heraus – lohnt aber auch, wenn man bereit ist, sich auf den 'Stop & Go'-Flow des Ensembles einzulassen.


Die Hamburger Songwriterin LIZA OHM hatte die Festival-Leitung mit einem einzigen von drei bisher überhaupt veröffentlichten Titeln ihres Projektes KLEBE dergestalt eingenommen, dass sie ebenfalls als Empfehlung präsentiert werden sollte.

 

 

Zu Recht, wie sich zeigte. Denn unterstützt von Szene-Cracks wie DOROTHEE MÖLLER und TIMON SCHEPP (THE GIRL & THE GHOST) sowie TIM JAACKS präsentierte LIZA – charmant und souverän – jene Art von intelligenter, halbelektronischer, feministischer Pop-Musik, die auf anderen Festival-Bühnen eigentlich schlicht und ergreifend überhaupt nicht stattfindet.

Weiter ging es – auch in diesem Sinne – mit der Band FRIEDBERG; nur in einer deutlich rockigeren Richtung.

 

 

Nachdem die österreichische Songwriterin ANNA WAPPEL als ANNA F sich nämlich schon als Solo-Künstlerin mit eher poppigen Songs etablieren konnte, suchte sie sich für ihr, nach ihrem Heimatort benannten Power-Pop-Projekt FRIEDBERG Unterstützung in Form der Koblenzer Bassistin CHERY PINERO und den britischen Musikerinnen EMILY LINDEN und LAURA WILLIAMS. Als Live Band überzeugen FRIEDBERG immer dann, wenn sie hemmungslos vom Leder ziehen und Druck machen – und weniger dann, wenn sie in Sachen New Wave Girlie-Pop einstudierte, etwas zu clever austarierte Moves replizieren. Als besonderes Gimmick bieten FRIEDBERG noch perkussive Ergänzungen verschiedener Natur. Aber wie gesagt: Am besten funktionieren FRIEDBERG mit Druck am Bühnenrand.


Das „Soul-Punk“-Ensemble ALGIERS aus Athens, Georgia stand schon lange auf der Wunschliste des Heimspiel-Teams. Endlich war es nun also gelungen, ALGIERS zu einem ihrer eher seltenen Gastspiele in unseren Breiten buchen zu können.

 

 

Der charismatische Frontmann FRANKLIN JAMES FISHER und seine Jungs haben sich mit ihrem politisch motivierten „Gospel-Ansatz“ der klassischen Protestsong-Tradition verschrieben. Was nicht heißen soll, dass ALGIERS mit Retro-Flair flirten. Mal abgesehen davon, dass FRANKLIN mit messianischer Inbrunst ganz aktuelle Themen aufgreift, ist auch die Musik ALGIERS absolut zeitgemäß. In einem faszinierenden Mix aus Rock, Soul, Jazz, Krautrock und Club-Sounds verdichten ALGIERS ihre Anliegen in einem orgiastischen, performerischen Wirbelsturm, der aufgrund der Ernsthaftigkeit und der Intensität der Darbietung in seiner Wirkung weit über einen bloßen Partyfaktor hinausreicht.

Eine etwas unkonventionelle Entscheidung war sicherlich jene, die niederländische Instrumental-Combo Y?N Y?N als letzte Band des zweiten Tages zu verpflichten.

 

 

Freilich: Dass Instrumental-Musik wie diese auch im Festival-Kontext funktionieren kann, haben Acts wie KHRUANGBIN in letzter Zeit ja hinreichend bewiesen. Und an deren Ansatz, soulig/psychedelische Disco- und Lounge-Pop-Sounds westlicher Prägung mit Retro-Vibes mit exotisch/asiatischem Pop-Flair zu verquicken, verfolgten auch KEES BERKERS und YVES LENNERTS und ihre Mitstreiter auf der Bühne des Heimspiels. Ein bisschen rätselhaft war dabei der Umstand, dass die Musiker trotz elaborierter Lightshow im Schatten und hinter Kunstnebelwänden weitestgehend unsichtbar blieben – schon alleine deswegen, weil sie ich im Stil der Expolitation-Movies aus den 70's gekleidet hatten, die einen Teil ihrer Inspirationsquellen darstellen. Immerhin: Die Vibe-orientierten Grooves des Ensembles lockerten dann doch das eine oder andere Tanzbein – bis hin zu einer angedeuteten After-Show Party.

Der dritte Festivaltag war ursprünglich mal als Yoga-Frühstück mit musikalischem Ausklang gedacht gewesen – ist aber mittlerweile ein veritabler Bestandteil des musikalischen Programmes. Mitten in die aktuelle Hitzewelle (die die Lautsprecherboxen vor der Bühne eher in Kinder-Bratpfannen verwandelt hatten) spielten sich gegen Mittag NAËMA FAIKA und ihr Projekt NULLMILLIMETER hinein. NULLMILLIMETER waren bereits 2019 als Heimspiel-Hoffnung auf dem Festival zu Gast gewesen.

 

 

Tatsächlich entstand erst aufgrund der freundlichen Aufnahme bei diesem Auftritt bei NAËMA die Idee, doch mal ernsthaft mit dem Bandprojekt durchzustarten. Seitdem ist viel passiert. Beispielsweise haben sich NULLMILLIMETER dazu durchringen können – mit Unterstützung von GISBERT und der Heimspiel-Crew – das Album „Wer die Wahrheit sagt, braucht ein schnelles Pferd“ einzuspielen. Tatsächlich überzeugte das generationenübergreifend besetzte Ensemble dann auch vielleicht mit der ungezwungensten, organischsten und selbsterklärendsten Show des ganzen Festivals. Einfach deswegen, weil es da gar kein Kalkül zu geben scheint und weil NAËMA einfach alles zulässt, funktionierte dann eben auch alles: Pop, Folk, Rock, Psychedelia, Krautrock, Müsli-Prog – da schien einfach alles möglich. Auch ein Duett mit GISBERT daselbst.

Dass man ja beim Heimspiel auch elektronischen Sounds gegenüber aufgeschlossen sei, kündigte BENJAMIN METZ beinahe schon entschuldigend den Auftritt von LISA MORGENSTERN an – die tags zuvor noch in der israelischen Wüste aufgetreten war uns sich nun sehr über das Grün auf dem Gelände freute.

 

 

Mit einem faszinierenden Mix aus Neo-Klassik, Ambient-Elektronika, dezenten Club-Andeutungen und folkloristischen Harmonien führte LISA das Publikum durch ihre letztlich ziemlich vielschichtigen Klangwelten – die bis hin ins Weltall reichen, wie sie erläuterte. Abgerundet wurde das Programm mit eingestreuten Anekdoten, mit denen die Musikerin auch auf ihre bulgarischen Roots einging.

Im Prinzip waren DANA MARGOLIN und ihr Ensemble PORRIDGE RADIO schonmal zu Gast in Eltville gewesen – wenngleich auch nur als Streaming-Gäste bei dem virtuellen „Heimspiel Daheim“ von 2020.

Nun endlich standen DANA und ihre Band persönlich auf der Bühne – und bewiesen eindrucksvoll, warum das Ensemble aus Brighton mittlerweile zur absoluten „Crème Anglaise“ der Indie-Szene zählt.

 

 

Vielleicht war es auch gar nicht so schlecht, dass PORRIDGE RADIO erst jetzt in Persona auftreten konnten, denn gerade eben erst ist das dritte Album „Waterslide, Diving Board, Ladder To The Sky“ erschienen und das enthält so brillante Indie-Hymnen wie „Back To The Radio“, „Trying“ oder „Birthday Party“, die logischerweise den Anker der großartigen Show in Eltville bildeten. PORRIDGE RADIO funktionieren gerade deswegen als Leitikonen ihres Genres so perfekt, weil sich DANA MARGOLIN und Co. so gar nicht für das Wohlbefinden des Publikums interessieren, sondern ihre unglaublich offenherzige Selbstdarstellung nach dem Friss-oder-stirb-Prinzip präsentieren. Wenn DANA mit manischer Energie ihre Soli spielt oder spöttische One-Liner einstreut, dann tut sie das nicht, um uns zu gefallen, sondern um ihren Anliegen, ihrer Wut, ihrer Frustration und ihren Bedürfnissen Ausdruck zu verleihen. Dass das trotzdem unterhaltsam und kurzweilig ist, liegt dann schlicht daran, dass es außer rauen, schrägen Tönen eben auch brillante Songs zu hören gibt. Obwohl das nicht das Ziel eines Festivals sein kann, vermittelten PORRIDGE RADIO dem Publikum den Eindruck, einem wirklich relevanten Ereignis beigewohnt zu haben.

 

https://www.facebook.com/HeimspielKnyphausen
https://heimspiel-knyphausen.de/
https://www.baron-knyphausen.de/


* Foto-Credits Ullrich Maurer

Ullrich Maurer (Info)

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Live-Fotos

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