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Interview mit Disillusion (03.11.2006)

Disillusion
30.10.2006. DISILLUSION-Gitarrist Rajk Barthel meldet sich zu seinem einzigen Interview für heute am frühen Abend gut gelaunt und auskunftsfreudig am Telefon. Ist das Interesse an euch jetzt größer als zu Debützeiten? Ja – obwohl wir auch schon viele Interviews zu „Back To Times Of Splendour“ hatten. Bezüglich des neuen Albums war ich anfangs – wie wahrscheinlich jeder – überrascht. Mittlerweile denke ich aber, dass es ein logischer Schritt ist, weil ihr euch im alten Stil nur hättet auf niedrigerem Niveau wiederholen können. Während man aber die alten Sachen immer auch Hörern bestimmter Bands ans Herz legen konnte, versagen bei „Gloria“ alle Bestimmungsversuche. Welche Einflüsse – auch außermusikalische - hattet ihr beim Schreiben? Erst einmal: Danke für diese Einschätzung; damit bist du nicht alleine. Zum außermusikalischen Enfluss ist zu sagen, dass uns eigentlich unser ganzes Leben beeinflusst und es schwierig ist, etwas Konkretes zu benennen. Man kann sagen: Okay, wir leben hier gemeinsam in einer Stadt, und das floss diesmal verstärkt mit ein. Etwas Urbanes ist inder Musik, und wenn man sich einen Film dazu vorstellt, dann spielt der auf jeden Fall in einer Großstadt, während der zu „Back To Times Of Splendour“ in der Natur angesiedelt war. Das hat man damals schon im Booklet gesehen, und das ist heute auch so. Weiterhin haben wir von Anfang an mit einem Filmteam zusammengearbeitet, das den Clip zu „Don’t Go Any Further“ gedreht hat, aber auch schon während des Kompositionsprozesses dabei war, und da ist auch Input hergekommen. Das glaube ich, denn das Album ist wieder recht filmmäßig geworden. Es ist interessant, dass du gerade „urban“ gesagt hast, denn meine nächste Frage wäre gewesen warum „Gloria“ weltlicher und eher nach außen gerichtet ist als das Debüt, wo es noch um Zwischenmenschliches ging. Es klingt eben urbaner. Wie äußert sich dieser städtische Einfluss - in eurem Fall der Leipzigs? Eigentlich ist alles wichtig: das Romantische und die Natur zu erleben genauso wie das Stadtleben. Obwohl Leipzig jetzt nicht die Riesenmetropole ist, haben wir das hier jeden Tag, und es war diesmal Thema unserer Musik, weil wir es am spannendsten fanden. Es war ja klar, dass wir mit „Back To Times Of Splendour“ eine Art musikalischen Ausdrucks abgehandelt hatten. Wie du eingangs gesagt hast, hätten wir uns bloß wiederholen können - Es war perfekt, wie wir es gemacht hatten. Es musste auf jeden Fall eine neue Entwicklung her. Das erste Album war mehr oder weniger eine Liebesgeschichte, das zweite klingt dagegen auch wegen der elektronischen Komponente etwas kälter. Da vieles auf speziellen Sounds zu basieren scheint: Inwieweit war ein Klang anstelle eines Gefühls die Motivation für ein Stück, oder war es wirklich so, dass ihr Emotionen im Kopf hattet und versucht habt, diese mit bestimmten Sounds zu realisieren? Du bist auf der richtigen Spur. Es ist durchaus so, dass wir uns von Sounds und daraus entstehenden Atmosphären haben leiten lassen, allerdings nicht zufällig. Wir wollten mehr Emotionen abdecken als noch auf „Back To Times Of Splendour“, wo wir dieses zutiefst Romantische, Euphorische und auch Naive hatten. Wir wollten unbedingt eine reifere Platte mit einem breiteren Spektrum an Emotionen, aber auch so etwas wie einer Beiläufigkeit. Die anderen tiefen Gefühle schließen wir dabei nicht aus – sie springen einen nur nicht mehr so an, sondern sind versteckt. Das bewirkt auch das Verstörende, wenn man die Platte hört. Für mich ist das die Faszination von „Gloria“: unter der beiläufigen Coolness brodelt noch die tiefe Emotion. In diesem Zusammenhang finde ich gerade „Don’t Go Any Further“ textlich interessant. Was hat es mit dem „Bügeln“ auf sich? Die Texte schreibt ja immer Andy, aber ich kann aus meiner Sicht etwas dazu sagen. Es geht tatsächlich ums Bügeln. Alltägliche Tätigkeiten werden beschrieben, von denen sich Andy diesmal wirklich inspirieren lassen hat. Es ist nicht mehr das große Romantische – ein Jüngling zieht durch die Welt (lacht) und spiegelt seine Emotionen in der Natur wieder – sondern eine banale Alltäglichkeit. Es geht auch auf “Gloria“ um zwischenmenschliche Beziehungen, allerdings weniger verklärt. „Don’t Go Any Further“ ist ein Beispiel dafür, wie ein kurzer Moment eine große Katastrophe hervorruft. Vielleicht ist es sogar die eigene Freundin, die man beim Bügeln betrachtet... ...und am Ende bricht der Krieg aus. Genau, aber es muss kein wirklicher Krieg sein. Das ist also ungefähr die Richtung des Texts. Allerdings habe ich ihn nicht geschrieben, und Andy hält sich immer relativ bedeckt. Da kann sich jeder selbst seine Gedanken machen. Glaubst du, dass das Optische im Vorfeld die Hörer so verwirrt hat? Hättet ihr die alte Ästhetik beibehalten, wäre der Unterschied gar nicht so krass erschienen. Interessant – das könnte durchaus sein. Wir wollten aber die Optik verändern, und es passt ja auch. Das liegt auch an den beiden Leuten, mit denen wir zusammengearbeitet haben. Die Video-Screenshots befinden sich im Booklet, und alles hat quasi miteinander zu tun. Es war ein natürlicher Prozess, und darüber, wie die Leute reagieren, haben wir uns keine Gedanken gemacht. Wir merkten nur irgendwann, dass es wohl Verwirrung stiften könnte. Andernfalls wäre es auch langweilig. Die Peripherie von Musik hat generell einen großen Einfluss auf die Wahrnehmung. Ihr wart beispielsweise einmal auf einem Legacy-Sampler, und einige Bekannte von mir haben euch unter all diesen Krach-Combos nicht richtig zur Kenntnis genommen. Erst im Albumkontext hat er sich ihnen erschlossen. Das ist ein weiterer wichtiger Punkt, denn wir machen nichts zufällig. Die Sachen entfalten erst im Zusammenhang ihre volle Wirkung. Wir legen sehr viel Wert darauf, nicht nur ein Sammelsurium von Einzelstücken machen. Hört man sich die Alben am Stück an, bekommt man tiefergehende Einblicke, als wenn man sich nur ein Einzelwerk herauspickt. Ich fand damals auch das für Magazinsampler zerstückelte Titelstück des Debüts ziemlich furchtbar... Die 14 Minuten hätten sie uns wohl nicht gegeben, beziehungsweise unser Label hat das so entschieden. Wie seid ihr an einen so prominenten Amerikaner für das Mastering gekommen? – Das ist für eine deutsche Band sehr ungewöhnlich, gerade auch im Metal-Bereich. Letztendlich haben wir ihn angeschrieben und gefragt, ob er Lust und Zeit hat. Es muss ihm wohl auch gefallen haben. Ich glaube schon (lacht). Hinterher hat er gesagt, dass es ihm gefallen hat, aber vorher wusste er nichts. Wir haben einen guten Mann gesucht und wollten unbedingt etwas ausprobieren. Wir haben, denke ich, ein glückliches Händchen bewiesen, denn er hat genau das gemacht, was wir uns vorstellten. Es klingt sehr dicht...Wie wird es live sein: Werdet ihr die alten Stücke umarrangieren, damit es homogener wirkt, oder werdet ihr verschiedene Blöcke spielen? Das diskutieren wir auch gerade. Wir probieren und sind noch nicht zu einem Ende gekommen. Wir konzentrieren uns weitgehend auf das neue Material und haben im Hauptteil eigentlich nur zwei alte Songs eingefügt, und diese wiederum so geschickt, dass es passt. Älteres Material spielen wir nur als Zugabe. Das ist wohl die beste Variante, aber wir werden noch weiter experimentieren und die Parallelen umzusetzen versuchen, die es auf jeden Fall zwischen „Gloria“ und „Back To Times Of Splendour“ gibt. Beim letzten Auftritt hat das gut funktioniert – auch, dass die Stücke sich in ihrer Wirkung gegenseitig verstärkt haben. Es wird wohl auch wesentlich interessanter sein als ein gleichförmiges Konzert...Habt ihr eigentlich einen Supportact dabei? Es ist ja eigentlich keine richtig Tour, sondern viele Einzelgigs an Wochenenden. Die Vorbands wechseln, so dass wir keinen Auftritt allein bestreiten. Werdet ihr wieder nur zu dritt sein, oder gibt es irgendwann einmal wieder einen Bassisten? Zur Zeit sind wir zu dritt auf der Bühne. Es würde uns schon freuen, endlich einen Bassisten dazuzubekommen – einfach, weil es ein besseres Gefühl ist. Könnte der sich eigentlich noch in diesen verschworenen Dreierkreis integrieren? Das ist das Komplizierte. Es muss halt jemand sein, der das wirklich möchte, und es wäre natürlich erst einmal ein Prozess. Wir geben die Hoffnung nicht auf, haben die letzten zwei Jahre aber auch nicht intensiv gesucht. Wir haben jetzt die Platte gemacht und keine großen Anstrengungen in diese Richtung unternommen. Wir werden das jetzt bald tun und einen Aufruf starten. Es gibt zumindest immer wieder Anfragen von Sessionbassisten. Das ist eine Zwischenlösung für wichtige Auftritte, aber im Prinzip sind wir auf der Suche nach jemand festem. Erinnert ihr euch noch an das „Killing Santa Clause“-Festival, das ihr vor etwa einem Jahr hier im Saarland gespielt habt? Ihr wirktet recht genervt, weil alles ein wenig unprofessionell war. Ich fand das Konzert aber ziemlich gut. Ihr habt euch ins Zeug gelegt, obwohl kaum Leute da waren. Ich hab’ eigentlich recht positive Erinnerungen an den Auftritt. Da war doch auch eine Coverband dabei... Messenger – die fand ich lustig in der Art und Weise, wie sie sich reingehangen haben. Sie haben uns eine DVD mitgegeben, die man schon als skurril bezeichnen kann. Das ist aber jetzt nicht abwertend gemeint. Wir sind aber auch tiefste Provinz hier. Im Metal-Bereich haben sich aus dem Saarland in den letzten Jahren höchstens Flowing Tears hervorgetan. Das sind auch Saarländer? Ja. Ich vergleiche euch allerdings gerne mit den Berlinern Depressive Age – nicht von der Musik her, sondern wegen ihrer vergleichbaren Schrankenfreiheit. Sie waren irgendwie ihrer Zeit voraus und haben getan, was sie gerade wollten. Wir hören den Vergleich ziemlich oft. Ich kann damit aber nichts anfangen, weil ich immer noch nicht geschafft habe, mir deren Material einmal anzuhören. Unbedingt machen. Unser Schlagzeuger wiederum findet den Vergleich gut und hat auch persönliche Beziehungen zu deren Mitgliedern. Ich weiß, dass der Bassist von damals nun für Bela B. spielt...Wenn ich Bands aus dem Osten wie auch Die Apokalyptischen Reiter nehme – dann ist das häufig etwas völlig Abseitiges... ...etwas Eigenes, und diese Einschätzung ist gut: es gibt also noch Bands, die sich etwas trauen. Im Westen sind besonders die neueren Bands doch vorhersehbarer. Liegt das in diesem Klischee begründet, dass die Musiker in der ehemaligen DDR weniger westliche Einflüsse verarbeiten konnten und deshalb obskurer klingen? – Ich denke da auch an Manos und Konsorten... Das kann schon sein, aber für uns trift das nicht so sehr zu, weil wir relativ spät zur Musik gekommen sind und diese Beschränkung – vielleicht glücklicherweise – gar nicht erlebt haben. Im Prinzip habe ich erst nach dem Mauerfall angefangen, mich umzugucken. Von daher war ich genauso von Bands aus dem Westen wie aus dem Osten beeinflusst. Wie gesagt: ein Klischee...Wann spinnt ihr die „The Porter“-Geschichte von der Maxi weiter? Wir haben das vor, aber es gibt keine konkreten Pläne...Irgendwann bestimmt. Und was ist aus der Künstlerecke auf eurer Website geworden? Das haben wir mangels Interesse irgendwann einmal eingestellt. Wo kam Andys Pseudonym Vurtox her, das er nun anscheinend wieder abgelegt hat? Er hat den Namen auch schon für andere Sachen benutzt. Wahrscheinlich hat er ihn gewählt, weil er eigener war als sein bürgerliche Name. Mittlerweile steht er aber dazu, dass er Schmitt heißt. Es ist auch ein Reifeprozess der Band, dass wir auf solche Labels verzichten. Du kannst ihn selbst fragen, was der Name genau bedeutet. Eure Musik erfordert vom Spielerischen und der Produktion her ein beträchtliches Know-How. Inwieweit seit ihr dahingehend ausgebildete Musiker und Produzenten? Wir sind weitestgehend Autodidakten. Das Produktions-Wissen hat sich Andy erarbeitet, indem er anfangs die eigenen Stücke aufgenommen und die Vorproduktion gemacht hat. Im Zuge unserer Demoaufnahmen hat er ein Studio aufgebaut und ist immer besser geworden. Das Know-How ist ja auch nur Mittel zum Zweck; wichtiger ist das Gefühl für die Musik, das man in einer Produktion umsetzt. Er hat definitiv ein Händchen dafür, und ansonsten ist es Erfahrung und Handwerk. Das wird alles noch weit besser werden. Ich bin gespannt! Zum Abschluss: Ihr beruft euch in letzter Zeit gerne auf The Mars Volta oder Tool. Was hälst du von deren aktuellen Alben? Das sind unsere bevorzugten Tourpartner. Dort würden wir auf das Publikum stoßen, das viel mit unserer Musik anfangen kann. Tool bewundern wir schon lange, The Mars Volta haben wir erst in den letzten beiden Jahren entdeckt. Das ist auf jeden Fall wichtig, aber nicht so, dass wir uns nur von einer Sache beeinflussen lassen. Beim Debüt hat man euch mit Opeth verglichen, was im Grunde genommen Quatsch ist. Gut, dass du das sagst. Das ist natürlich eine gute Band, aber wenn du mit offenen Ohren durch die Welt gehst, beeinflusst dich eigentlich alles. Wir wollten nie jemanden kopieren. Nach dem Album ist vor dem Album: Wohin geht die Reise? Wir machen uns tatsächlich schon Gedanken. Allerdings befinden wir uns erst einmal in der Lösungsphase vom Alten und sind mitten im Live-Spiel. Wir müssen versuchen , Abstand zu bekommen. Wenn man Prognosen zum nächsten Album wagen will, dann denke ich nicht, dass der Elektronik-Anteil zunehmen wird. „Gloria“ entstand auch nicht in der Absicht, ein elektronisches Album zu machen – das hat sich eher so herausgebildet. Auf bestimmte Stilelemente legen wir uns von vornherein nie fest. Alles geht also – gut zu wissen. Es wird wohl keinen so großen Bruch geben wie zwischen „Back To Times Of Splendour“ und „Gloria“. Wir sind mit „Gloria“ noch nicht am Ende angekommen – lassen wir uns überraschen.
Andreas Schiffmann (Info)
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