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Interview mit Man Made Origin (07.12.2012)

Man Made Origin

Max Taylor ist ein leidenschaftlicher Redner und hätte in einem Musikbetrieb, der nicht vorne wie hinten strauchelt wie momentan, längst größere Aufmerksamkeit erhalten. Was er mit seiner Band geschaffen hat, sucht seinesgleichen, und im ausführlichen Interview wird er dieser Vorgabe gerecht. Unterstützt diesen Musiker!

Woher ist eure Liebe zur Musik erwachsen, und wie hat sie sich bis heute entwickelt?

Ich persönlich wurde von meinen Verwandten zur Musik geführt, denn in meiner Familie gab es schon immer viele Liebhaber. Als Kind durfte ich Geige lernen, doch zur Gitarre kam ich, als ich als Teenager eine Nu-Metal-Phase durchmachte. Obwohl dieser Stil gemeinhin als Sündenbock herhält, wenn es um eine für Metal schwierige Zeit geht, sollte man nicht unter den Tisch kehren, dass eine neue Generation von Fans und Musikern ohne ihn nie herangewachsen wäre und auch all die interessanten Sub-Spielarten übersehen hätte, angefangen beim Death und Black metal bis zum Post Hardcore. SLIPKNOTs "Iowa" ist ein Schlüsselwerk, ein sehr extremes Album, das die Spitze der britischen Charts anführte. Nu Metal muss unweigerlich als Initialzündung für eine moderne Metal-Welle angesehen werden.
Was hat uns nun dazu angesport, Prog zu spielen? Zweifellos OPETH als stärkster Einfluss. Ich bekam "Blackwater Park" zum sechzehnten Geburtstag von einem Guten Freund und war von der ersten Minuten des Openers "The Leper Affinity" an gebannt; das Stück war so finster atmosphärisch und öffnete mir die Augen mit Bezug auf Metal als mächtiges Vehikel, um Emotionen auszudrücken, und zwar im gleichen Umfang wie klassische Musik. Im Übrigen sei erwähnt, dass MAN MAD ORIGIN ihre Wurzeln im Black Metal verorten, bei DARKTHRONE, SATYRICON und DIMMU BORGIR. Diese Gruppen prägen uns noch heute, wenn auch nicht mehr so stark wie zu Zeiten unseres Debüts "State Of Nature". Den Spagat zwischen Black und Prog begehe wiederum nur ich, während die anderen Bandmitglieder jeweils ganz unterschiedliche Antriebsfedern haben. Unsere Geschmäcker decken sich aber im Großen und Ganzen, was schon der Fall war, als wir 2008 zueinander fanden.
Das geschah bei der Dundee University Band Society oder DUBS, die wöchentliche Kams veranstaltete, wo man auf gleichgesinnte Musiker treffen konnte, und so kam es auch. Dass mit Andy und Dave zwei Metal-Fans aufeinanderstießen, war schon ziemliches Glück, zumal wie beide ernsthaft etwas bewegen wollten, was schon nach einem Monat zu regelmäßigen Proben führte und 2009 schließlich in unserem ersten Album gipfelte. Alles fügte sich sehr schön zusammen. Mit unserem dritten Bassisten Aaron, den wir schon sehr lange gut kennen, haben wir nun hoffentlich auch den endgültigen gefunden. Sarah trafen wir ebenfalls bei der DUBS, aber sie verfolgt nebenher noch eine relativ erfolgreiche Solo-Karriere. Andy begleitet sie übrigens live wie im Studio, und diese Verbindung ergab ihren Einstieg bei uns, was allerdings erst nach der Veröffentlichung von "False Consciousness" offiziell geschah.

Ihr seid offensichtlich große Film- und Literaturfreunde; empfehlt mal Gedankenfutter, das sich im Zusammenhang mit "False Consciousness" anbietet.

Abgesehen von dem Buch, von dem das Album flankiert wird, muss ich Isaac Asimovs "Foundation"-Trilogie nennen. Abenteuerlicher wird es mit "Das kommunistische Manifest von Marx and Engel, während in filmischer Hinsicht die neuen "Kampfstern Galactica"-Sachen empfehlenswert sind; die Serie beeinflusste uns sowohl konzeptionell als auch musikalisch - Bear McCrearys Soundtrack sucht seinesgleichen - extrem stark.

Woher rührt euer Hang zu solch umfassenden Konzepten? Nicht jeder Musiker schreibt ganz nebenbei noch ein Buch zu seinen Songs ...

Wir sind schon sehr ambitioniert, das stimmt. Für uns sollte dieses Album mit allem mithalten können, was es auf dem Progressive-Sektor gibt, begleitet von einem tiefen Universum, wie es noch keine Band erschaffen hat, in das man sich fallenlassen kann. Ob wir all dies erreicht haben, sei dahingestellt, aber hiermit haben wir die Stoßrichtung der Band etabliert, und die nächste Scheibe wird noch erhellender ausfallen, was dies angeht.
Die Sache mit dem Buch ist in der Tat recht ungewöhnlich; darin steckt ein Berg Arbeit, den wir - also Donald Carrick und Andrew Milne, Freunde der Band, und ich - parallel zum Komponieren bewältigt haben. Der Text steht somit für sich selbst, aber letztendlich hoffen wir, gemeinsam mit der Musik etwas Umfassendes und Besonderes erschaffen zu haben. Als Band wollen wir eine Lücke füllen, die unserer Ansicht nach im Progressive Metal besteht; diese Musik kann ein gewaltiger Soundtrack zu literarischen Werken sein, von Filmen ganz zu schweigen, da sie so dynamisch ist.

Gibt es Pläne, das Buch offiziell verlegen zu lassen?

Das wäre genial, aber soweit ich sehe, ist es noch schwieriger, mit Literatur einen Deal an Land zu ziehen, als mit Musik. Obwohl wir uns noch nicht ernsthaft umgesehen haben, müsste ein Label den Band zeitgleich zum Album herausbringen, eventuell auch als Übersetzung je nach Land, in dem es veröffentlicht wird.

Wo ihr Sarah erwähnt habt: Sie ist nicht allzu vordergründig als Keyboarderin zu hören - wie kommt es?

Berechtigte Frage. Ich sagte ja bereits, dass sie erst im Nachhinein zum vollständigen Bandmitglied wurde, auch weil wir nicht sicher waren, wie die Zusammenarbeit funktionieren würde. Die Zweifel auf beiden Seiten verflüchtigten sich, als wir ‘Legion Of The Lost’ und ‘The Betrayal’ mit ihr einstudierten, kurz bevor das Album herauskam. Wir baten Sarah, die Stücke zum Veröffentlichungskonzert im letzten November mit uns zu spielen, und das klappte sehr gut, also bekam sie auch das Angebot, fest einzusteigen. Sie nahm an und wird sich bei unseren neuen Stücken, die sehr vielversprechend klingen, stärker einbringen.

Karl Marx scheint euch sehr wichtig zu sein, während die Menschen hierzulande Schwierigkeiten haben, sich differenziert mit seinen Theorien auseinanderzusetzen. Wie steht ihr zu ihm?

Ja, der landläufigen Meinung zufolge sollte man nichts auf Marx' Theorien geben, weil die kommunistischen Regimes des 20. Jahrhunderts gescheitert sind, nicht zuletzt in der UdSSR damals. Seine Analyse der Gesellschaft ist allerdings insofern wertvoll, als sie beim Ausbalancieren der Ungleichheit helfen könnte, die nach wie vor unter den Menschen herrscht. Zum Beispiel sollte man endlich überall anerkennen, dass er mit seiner Einschätzung Recht hatte, die Massen würden systematisch in Kreisläufen ausgebeutet., und zwar von Staatsapparaten beziehungsweise dem Überbau, wie Marx es nannte. Heutzutage kommen die Medien hinzu, von denen die Leute eingetrichtert bekommen, ihr mutmaßliches Los im Leben sei hinnehmbar und gerecht, alldieweil vorgebliche Eliten alle Türen offenstehen und der Großteil des Wohlstandes zukommt - zu Lasten der weiten Mehrheit. In Großbritannien besitzen zehn Prozent der Bevölkerung 90 Prozent des Geldes, und in anderen Ländern sieht es ähnlich aus. Marx traf den Nagel auf den Kopf, bloß waren seine Vorausdeutungen mit Hinblick auf eine Revolution nicht korrekt.
Wichtig zu betonen ist in unserem Zusammenhang, dass "False Consciousness" keine marxistische Propaganda darstellt, also in dem Sinn, dass wir damit behaupten würden, irgendeine utopische Form von Kommunismus könne den Kapitalismus überwinden. Vielmehr stellen wir in Aussicht, dass Marx' Traum allenthalben dann wahr werden könnte, so man die Gesellschaft von Grund auf neu strukturierte. Nennt uns meinetwegen marxistische Reformisten oder Avantgarde-Marxisten, aber am Ende sind auch wir der Auffassung, dass er sich irrte, denn man kann gewisse Entwicklungen unter den Menschen einfach nicht rückgängig machen. Wir erwarten Lohn für Arbeit und sind vom Wesen her auf Wettbewerb geeicht. Kommunismus würde nur funktionieren, so man diesen Zügen, die man ebenfalls als Ideologie betrachten kann, bewusst widersagte.

Hat euer Bandname mit diesen Gedanken zu tun?

Er ergibt sich aus der Album-Trilogie, die wir ins Auge gefasst haben. Der dritte Teil entsteht gerade und wird ein Fazit unter die Richtung ziehen, die der Mensch in Zukunft einschlagen mag, eben ein Schicksal, das er sich selbst einbrockt oder nicht. "State Of Nature" zeichnete als erster Teil eine dystopische Wirklichkeit nach, in der die Menschheit nach einem nuklearen Holocaust weitgehend ausgelöscht und der Naturzustand nach Thomas Hobbes hergestellt war: Anarchie in dem Sinne, dass keine Obrigkeit Regeln auferlegte, womit das Leben "einsam, armselig, ekelhaft" geworden ist. Das zweite Album führt die Geschichte fort und blickt in eine utopistische Zukunft, in der ein Teil von uns Marx' Idealbild vom Kommunismus erfolgreich umgesetzt hat - durch Abkehr vom technologischen Fortschritt und strikten Bruch mit der Vergangenheit. Die kommende Scheibe befasst sich im Kontext dieser beiden Pole mit unserer tatsächlichen Gegenwart: Wohin geht die Reise?

Wartet ihr live mit einer besonderen Show auf, um das Konzept zu untermauern?

Leider noch nicht, auch wenn es naheliegt wegen der Thematik. Für die Zukunft ist etwas in dieser Richtung aber ernsthaft angedacht

Weiterhin unabhängig oder mit Label?

Oh, wir suchen händeringend nach Förderern. Genaugenommen werden wir unsere Musik in den nächsten Wochen an potenzielle Partner schicken. "False Consciousness" kam zwar im vergangenen November heraus, aber wir wollten warten, bis wir mit "The Betrayal" ein Video in der Hand hatten, um es als DVD-Digipack-Doppel an Labels zu schicken. Wünscht uns Glück!

Mit wem würdet ihr gerne auf Tournee gehen?

Auslands-Festivals willkommen! Perfekt wären Gigs mit unseren Helden, die in meinem Fall CULT OF LUNA, OPETH und PAIN OF SALVATION heißen. Ein Vorteil von progressiv ausgerichteten Bands besteht ja darin, dass man im Grunde genommen mit unterschieldichen Bands auftreten kann. Andererseits passt man zu niemandem so richtig, aber egal. Hier in Schottland gibt es auch eine Menge potenzieller Tourneepartner, aber irgendjemanden zu empfehlen verkneife ich mir, weil ich niemanden auslassen möchte.

Die letzten Worte gebühren dir ...

Album Nummer drei wird im kommenden Sommer aufgenommen. Geschrieben ist es bereits, und zwei Tracks wurden schon eingespielt. Ich glaube, die Hörer werden überrascht davon sein, denn das Material ist finsterer, härter und sanfter zugleich. Konzeptionell haben wir es in zwei Teile gegliedert, einen zum Ersten Kreuzzug, während sich der andere mit der Vorherrschaft der USA nach dem Kalten Krieg befasst. Verknüpft werden sie über die Frage, ob die Menschheit in einem Zyklus der Konflikte steckenbleiben wird und inwieweit ein verbindlicher Wertekanon sinnvoll wäre. Wie gesagt hängt davon ab, ob die Zukunft düster aussieht oder nicht.

Andreas Schiffmann (Info)
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