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Interview mit Mekong Delta (13.08.2007)

Mekong Delta
Totgetanzte leben länger Ralf Hubert sitzt am frühen Montagabend entspannt in seinem Büro, um über die unverhoffte Rückkehr MEKONG DELTAs mit einer Zeitschrift zu sprechen, die er gar nicht kennt. Wie ehedem wirkt der Bandkopf selbstsicher, aber nicht arrogant, humorvoll wie ernsthaft und ebenso informationsfreudig – zunächst bezüglich der langen Pause der Band. „Ab 1996 hatte ich viele private Probleme, auf die ich nicht näher eingehen muss. Im Großen und Ganzen habe ich während dieser Zeit versucht, persönlichen Müll zu beseitigen und wieder etwas auf die Reihe zu kriegen - nur nicht so wie früher, weil ich einfach nicht mag, wenn man sich wiederholt.“ Sinfonie in Low Fidelity „Lurking Fear“ ist nun ein intensiv pochendes Lebenszeichen geworden, bloß mit vor allem im Schlagzeugbereich totem Sound. Bei diesem Opfer handelt es sich jedoch um ungeschehen zu machenden Mord mit Methode. „Weil man mich warnte, dass die Vorab-CDs vorab im Netz landen, ist das Ganze reduziert auf 126 kB bei 32 kHz. Die Bässe sind rausgezogen, und die Räume auf den Drums sind komplett weg.“ Den Produzenten Hubert amüsieren Stimmen, die in der Vergangenheit getriggerte Drums monierten und sich heute über naturbelassene Aufnahmen echauffieren. „Es geht diesen Menschen nicht in den Kopf, dass man zu dieser Art von Musik einen anderen Draht haben muss. Du kannst es nicht einfach bollern lassen. Die meisten Leute belassen das Schlagzeug, wie es ist, und pappen Doublebass drauf. Wenn du aber organisiertes Chaos machst wie wir, dann hast du damit ein Problem. Letzen Endes hängt es davon ab, wie du dich darstellen willst. Wir beschlossen etwas zu machen, bei dem man die Einzelheiten noch besser hören kann als früher. Ich finde, vor allem für Bass und Gitarre ist uns das gelungen.“ Die ungekünstelte Einbettung eines akustischen Flamenco-Solos im harten ‚Defenders of the Faith´ bestätigt diese Einschätzung und stellt Peter Lake von Theory In Practice als Neuzugang an der Gitarre ins Rampenlicht. „Ich halte ihn für einen der besten Gitarristen Europas. Als ich anfing, mit ihm zu arbeiten, bekam er nur die ersten paar Takte von zwei Songs. Alles was er meinte war: ‚Typisch MEKONG.´“ Der Zugang zur Band fiel sicherlich nie so leicht wie mit den neuen Stücken, wozu Ex-Scanner-Sänger Leo Szpigiel maßgeblich beitrug. “Das ist im Prinzip der Weg, den wir schon seit „Kaleidoscope“ eingeschlagen haben. Der Gesang spielt eine wichtige Rolle; er hält alles zusammen. Da geht die Hölle ab, doch Leo kommt dann locker mit einer Melodie um die Ecke. Das kannst du aber nur machen, wenn du den richtigen Mann dazu hast. Leo hat über die Jahre hin tausend Dinge gemacht, etwa ein kurzes Intermezzo bei Angel Dust. Dann ist sein eigenes Ding gemeinsam mit deren Gitarrist nicht so gelaufen, wie er wollte. Es existiert auch ein Projekt mit einem polnischen Gitarristen - irgendeine Kunst-Sache, aber noch nichts Spruchreifes.“ Bilder einer Ausnahmestellung Mekong DeltaFürwahr steht „Lurking Fear“ in der Tradition von „Kaleidoscope“ und wirkt wie ein kompakteres „Dances of Death“ inklusive der orchestralen Elemente von „Visions Fugitives“, wobei der Komponist die Unverkennbarkeit des Bandsounds vornehmlich in der Harmonik und Rhythmik sieht. „Wir haben mit unseren alten Alben verschiedene Gebiete ausgelotet und die Stile jeweils abgehakt. Auf „Kaleidoscope“ versuchten wir zum ersten Mal, die Dinge zusammenzuführen. Das haben wir fortgesetzt und über die Jahre hinweg verfeinert. Die Orchesterstücke stammen aus einem Werk, an dem ich seit 2001 arbeite, aber die Gruppensachen sind erst später entstanden.“ Man hat MEKONG DELTA im eigenen Land stets eher für ihre Musikalität respektiert als uneingeschränkt geliebt. Es scheint auch eine Tendenz unter deutschen Metalhörern zu bestehen, hervorgekehrtes instrumentales Können nicht würdigen zu wollen. Hubert sieht darin den Neid der Besitzlosen, hat aber auch gegentielige Erfahrungen gemacht. So wurde seine Band unlängst in einem Schul-Musikbuch als Beispiel für stilistischen Crossover gewürdigt. „Es ist allgemein eine Sache der Medien. Das Problem ist, dass etablierte Gruppen alle gleichgeschaltet sind und sich nicht mehr über Musik definieren.“ Dass überraschenderweise in den letzten Jahren gerade im stets der Oberflächlichkeit bezichtigten Amerika Gruppen wie Canvas Solaris aufgetaucht sind, die sich direkt auf die deutschen Prog-Thrasher berufen, ist Ralf Hubert nicht bewusst – wohl aber, dass sein Backkatalog immer noch gefragt ist. „Es ist wirklich so, dass das Interesse innerhalb der letzten zwei Jahre zugenommen hat. Ich finde es immer lustig, wenn die Leute uns mit amerikanischen Gruppen vergleichen, denn ich denke, außer Watchtower und wenigen anderen könnte wohl niemand unsere Sachen nachspielen. Über Sepultura habe ich mich auch kaputtgelacht. Zu ihren späteren Alben äußere ich mich nicht, aber ab einem bestimmten Zeitpunkt übernahm ein anderes Label die Kontrolle, und mit der dritten Platte fand sie plötzlich jeder geil.“ Mit einem verbitterten Metal-Apostaten hat man es im Falle Huberts zwar nicht zu tun, doch seine Vorlieben liegen voraussehbar in anderen Bereichen „Ich bin gerade dabei, mich wieder reinzufinden, falls ich mal Zeit habe. Ansonsten höre ich vieles aus der Zeit des Expressionismus und immer noch die frühen Sachen von Yes. ‚The Gates of Delerium´ ist ein Wahnsinnssong.“ Über die Wissenschaft Eines der letzten Interviews vor der Schweigeperiode führten MEKONG DELTA für Rock Hard Nummer 119. Man diktierte den Dortmundern einen denkwürdigen Satz ins Zitatbuch, mit dem Journalisten ohne musiktheoretische Ausbildung das Kritikerrecht abgesprochen wurde und Hubert sich so einmal mehr auf den medialen Kriegspfad begab. „Ich stehe zu allem, was ich früher gesagt habe. Es gibt zwei Kategorien von Kritikern: Leute, die sich mit etwas beschäftigen, um davon zu lernen, und andere, die blubbern. Ich habe nichts gegen Leute, die blubbern und trotzdem dabei versuchen, zu lernen, aber ich verzeihe nicht, wenn jemand nur Mist redet. Ich gebe dir mal ein Beispiel: Es hat einmal jemand in einer Kritik geschrieben, es würde ihm in einer unserer Fugen die Augmentation fehlen. Die war aber bereits nach vier Takten da. Solche Leute haben irgendein Wort aufgeschnappt und wollen sich selbst wichtig machen.“ Schließlich kommt es darauf an, ob man aus Spaß an der Musik darüber schreibt, oder um sich selbst zu profilieren. Außerdem geht das Theoretisieren in Rezensionen am Leser vorbei, der in der Regel Laie ist. „Ich bin der Letzte, der das verurteilen würde. Gerade aber, wenn man wie bei dem angesprochenen Interview im Kreis zusammensitzt, kann ich mich über manches sehr ereifern. Es ist eben so, dass es Möchtegerns gibt, die vorgeben, eine bestimmte Ahnung von Musik zu haben und diese dann unter einem theoretischen Gesichtspunkt beurteilen wollen. Andererseits kann jeder Musik für sich interpretieren. Auf unserer Website gibt es philosophische Abhandlungen über „Dances of Death“, da wird dir schwindelig. Sie treffen den Kern von dem, was wir uns bei der Entstehung dachten und wurden von einem einzelnen Fan geschrieben.“ Visionen... „Diesmal gibt es nichts Literarisches. Die Sache ist: Ich lese Lovecraft immer nur auf Deutsch. Der Albumtitel ist ein Zufall, denn ich habe erst im Nachhinein erfahren, dass eine Lovecraft-Geschichte im Original „Lurking Fear“ heißt. Diesmal steckt viel Sozialkritisches und Religion in den Texten – ob es sich dabei nun um fundamentalistische Christen, Islamisten oder irgendwelches anderes Gesockse handelt – ich kann es nicht mehr hören. John Lennon war schon ein schlauer Mann: ‚Imagine there is no religion´...Öl kann ja auch eine Religion sein, wie man an George Bush sieht. Die Texte drehen sich mehr oder weniger alle um diese Themen.“ Ursprünglich sollte das neue Album „Heart of Darkness“ heißen und sich mit Joseph Conrads gleichnamigem Buch befassen. „Beim Versuch, das Konzept umzusetzen, war ich literarisch gefragt. Wir haben das früher so gehandhabt, dass wir die Vergangenheit in die Gegenwart projizierten. Die Story bot sich förmlich an, auch wegen Apokalypse Now. Nur die Übertragung auf eine gesellschaftliche Ebene, damit jeder es auf sich beziehen kann, ist viel komplexer. Im Prinzip musst du einen Sprecher haben, durch den die Musik in den Hintergrund tritt. In den Siebzigern gab es den Soundtrack zu War of the Worlds (von Jeff Wayne – d. Verf.) – der war dahingehend klasse gemacht: nicht super kompliziert, doch die Thematik war geil. Ich lese sehr viel und habe mehrere tausend Bücher. Vielleicht hätte man die Story einfach vergessen und in vereinfachter Form Apokalypse Now als Basis nehmen sollen. Ich war hin- und hergerissen, und letztlich ging es nicht so, wie es mir vorschwebte. Ich habe auch einige Songs dazu hier liegen, aber die schiebe ich erst einmal beiseite und lasse sie ruhen.“ Filmscores haben es Ralf Hubert ebenfalls angetan. ‚Moderato´ bedient sich beispielsweise beim berühmten ‚Imperial March´ aus Krieg der Sterne. „Das Stück soll ein musikalisches Rätsel mit vielen Zitaten verschiedener Soundtracks sein. Wenn man Horror- und Actionfilm-Fan ist, wird man sie erkennen. Gerade das Hauptmotiv ist sehr bekannt. Ich glaube, du bist der Erste, der mich darauf anspricht.“ ...und Flüchtige Huberts langjähriger Partner Uwe Baltrusch ist in der neuen Inkarnation der Gruppe abwesend und verdingst sich nunmehr als Produzent in weniger metallischen Gefilden. „Das hat auch damit zu tun, dass ich mich von allen Leuten abgesondert habe. Wir haben vieles gemeinsam gemacht, aber irgendwann war es genug. „Pictures“ war in dieser Hinsicht ein Schlussstrich und hat uns sehr viel Kraft gekostet. Ich habe damals schon die Power auf dem Album vermisst. Bei dem, was ich danach gemacht habe, war von vornherein klar, dass er nicht beteiligt sein würde. Wir sind mit „Pictures“ zu weit gegangen, und irgendwann konnten die Leute uns nicht mehr folgen. Es ging einfach viel zu schnell.“ Mekong DeltaReich geworden sind MEKONG DELTA auch mit der Mussorgsky-Adaption nicht, zumal das zuständige Label ihnen nie Rechenschaft über die Verkaufszahlen abgelegt hat. Dennoch gedenkt die Band, nun auf regelmäßiger Basis Alben zu veröffentlichen und live zu spielen. „Es ist nur ein Zeitproblem, weil wir ja alle noch andere Sachen machen, aber wir haben definitiv vor, aufzutreten. Allerdings tun wir uns diese Knochentouren nicht mehr an. Wir haben aus einzelnen Ländern so viele Angebote bekommen als bekannt wurde, dass wir ein neues Album veröffentlichen und werden wohl zwei, dreimal in Deutschland, Holland und so weiter spielen. Das macht auch viel mehr Spaß, weil wir bei den letzten Touren gemerkt haben, wie sich das ziehen kann. Uli Kusch kennt Gott und die Welt, und falls er keine Zeit hat, werden wir trotzdem einen kompetenten Ersatzmann finden. Wir haben ja damals die erste Platte zusammen gemacht. Er stieg innerhalb von nur drei Wochen von Single- auf Doublebass um und spielte dann die zweite Holy Moses ein.“ Bis zuletzt war Peter Haas, den man vom früheren Lineup und auch Poltergeist her kennt, für die Kesselarbeit im Gespräch, aber er sagte kurzfristig ab. „Am gleichen Tag kontaktierte mich Uli, da er es total geil fand, dass ich wieder etwas mache. Da lag nichts näher, als ihn zu fragen.“ Jörg Michael stand nicht nur wegen seiner Gebundenheit an Stratovarius außer Diskussion. Wir haben uns entfremdet. Ich glaube, das passiert immer, wenn man zu viele Sachen zusammen macht. Er ist auf jeden Fall ein großes Talent. Ich habe gehört, er begleitet seit einigen Jahren auch gelegentlich Bands als Tourleiter.“ Kontakt zu seinen früheren Schützlingen Psychotic Waltz hat Hubert nicht mehr. „Sie haben das gleiche Schicksal erlitten wie viele Bands, die kurz vor dem Erfolg stehen. Die meisten drehen durch, wenn sie 10000 Platten verkaufen. Bands wie sie oder auch Holy Moses sind aber keine Majorthemen. Dadurch haben sie sich selbst torpediert - nicht nur wegen der unüberwindbaren Differenzen zwischen Dan und Buddy (Rock und Lackey, Waltz-Gitarrist, bzw. Sänger – d. Verf.). „The Strange Mind of Buddy Lackey“ ist das letzte Album, das sein ehemaliger Produzent vom jetzigen Dead-Soul-Tribe-Oberhaupt kennt. „Ich war etwas brüskiert und hatte mir mehr davon erhofft. Privat ist Buddy ein wahnsinnig lieber Mensch, mit dem du dich sehr gut unterhalten kannst. Was aber hatte ein Reggae auf dem Album zu suchen? Es ist für viele auch ein Problem zuzugeben, dass sie Mist gebaut haben, aber nur so kommst du weiter – nicht, indem du die ganze Scheiße immer vor dir herschiebst.“ Das haben wir nun bis zum Ende mit der Frage nach dem Bandnamen getan. „Die erste Platte befasste sich überwiegend mit dem Thema Krieg, und deshalb wollten wir einen Namen, der sich darauf bezieht. Man kann ihn auch prima bei Konzerten brüllen.“ Weil die Fans also beim Hören von „Lurking Fear“ eher selten nur bis vier zählen dürfen, können sie sich die getrennte Schreibweise des Bandnamens für die Zugabeblöcke der kommenden Konzerte umso leichter merken. Wörtliche wie musikalische Einseitigkeit ist also nach wie vor von MEKONG DELTA nicht zu erwarten.
Andreas Schiffmann (Info)
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