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Interview mit GIANT HEDGEHOG (15.12.2018)

GIANT HEDGEHOG

Als einen "Prog-Vulkan, der ständig vor dem Ausbruch steht" bezeichnete Kollege Thoralf Koß das aus Münster stammende Quartett GIANT HEDGEHOG in seiner Rezension der Debut-EP. Die folgende EP namens "Die Irrealität der Zeit" lobte Kollege Andreas Schiffmann als "ein Statement für Improvisation als nie versiegender kreativer Quell". Ich gebe beiden zwar nur ungern Recht, doch selbst ein Konzertbesuch konnte meiner eigenen Begeisterung für die krautig-experimentell-krachigen Klänge zwischen allerhand Stilen keinen Abbruch tun: Die Musik von GIANT HEDGEHOG gehört sicher zum Hörenswertesten, was der hiesige Rock- und Metal-Underground derweil zu bieten hat. Gitarrist Niklas Tieke nahm sich Zeit, um einige irreale Fragen zu beantworten.

Moin! Mein Haus- und Hof-Elf hat für mich im wunderlichen Paragraphen-Gestöber der internationalen Prog-, Kraut- und Experimental-Rock-Gemeinde nachgeschlagen. Dort steht geschrieben, dass die Veröffentlichung eines einzigen stacheligen Songs nach vier Jahren Wartezeit in Folge einer ziemlich borstigen EP eine besonders garstige Handlung am Rande des Legalen darstellt, und einer strengen Ermahnung bedarf. Was habt Ihr also zu Eurer Verteidigung vorzubringen?

Der Igel bringt zu seiner Verteidigung an, dass er stets einen langen Winterschlaf halten muss, um zu Kräften zu kommen. Wenn er dann aufwacht, fängt er allerdings wieder an zu fressen und seine Stacheln auszufahren. Dieses Mal wird der Winterschlaf allerdings nicht so lange wie üblich währen. Schon nächstes Jahr gedenkt der Igel nämlich, sich vorzeitig aus seinem Laubhaufen zu erheben und ein besonders garstiges Album aufzunehmen. Zur Zeit übt er dafür den letzten noch ausstehenden Longtrack ein.

Gehen in Münster die Uhren anders, oder warum "Die Irrealität der Zeit"?

Auch wenn Münster zugegebenermaßen optisch wie ein verschlafenes kleines Städtchen daherkommt, gilt auch dort, was überall sonst der Fall ist: Termin- und Leistungsdruck, Eile und Zweckrationalisierung. Wir sind also auch dort Gejagte der Zeit, wenn man so will. Ob das nun allerdings etwas mit dem Titel unserer EP zu tun hat, kann ich wirklich nicht sagen. Das ist sowieso immer so eine Sache bei instrumentaler Musik: Titel lassen sich nur schwer begründen. Das gilt besonders für eine EP, die bei uns immer aus bloß einem einzigen Track besteht und in der man, anders als etwa bei einem Konzeptalbum, ein Stück nicht in ein überstehendes Thema einordnen kann. Das wird beim Album dann aber der Fall sein.

Unter den Redaktions-Kollegen bei Musikreviews.de zeichnen sich die Herren Schiffmann und Koß offenbar durch ähnliche Geschmacksverkalkung aus wie meinereiner, denn beide geizen nicht mit Lob für Eure zwischen den Stilen hierhin und dorthin preschenden Lieder. Das führt einerseits zu der Frage, ob diese Form der Musik senile alte Männlein noch stärker anspricht als der stumpfste Metal, und andererseits ob Euch solcherlei Lob so zu Kopfe gestiegen ist, dass Ihr ab und zu auf Gesang verzichtet?

Wir haben uns sehr über die beiden positiven und tollen Rezensionen auf Musikreviews.de gefreut. Insgesamt haben wir bisher in der deutschsprachigen Prog Rock Community ein positives Feedback erhalten. Das freut uns natürlich sehr, trotzdem versuchen wir auf dem Teppich zu bleiben und uns weiterhin auf das zu konzentrieren, was für uns im Vordergrund steht: Der Versuch, innovative Musik mit eklektizistischem Ansatz zu schaffen.
Ich denke übrigens nicht, dass die Progressive Rock-Community ein reiner Altherrenverein ist. Das wird ihr oft unterstellt, ist aber zumindest meiner Erfahrung nach nicht so. Es ist natürlich trotzdem eher eine "Nischenmusik", aber gerade deshalb hören viele Prog Rocker ja auch diverse andere Musik, denn Leute, die sich für Nischenmusik interessieren, interessieren sich meist für ungewöhnliche Musik insgesamt.
Auf unseren Konzerten sind natürlich auch Menschen der älteren Generation, teils auch solche, die den Aufstieg und die Zeit des Progressive Rock noch hautnah miterlebt haben. Wir finden das klasse, denn es zeigt: Musik verbindet und kennt keine Grenzen, auch keine Altersgrenzen.

Mit dem Saxophon im Bandgefüge sowie Eurem durchaus eigenwilligen Songwriting ragt GIANT HEDGEHOG aus dem in Zeitschriften wie z.B. dem Eclipsed häufig als "Prog Rock" bezeichneten Einerlei angenehm heraus, denn Ihr lasst es mitunter ordentlich krachen, weshalb ich bereits Fans von Enslaved und Wobbler auf Euch aufmerksam gemacht habe. Habt Ihr eigentlich Vorbilder, und fragt Ihr Euch ab und zu, warum ein Specht beim Headbanging keine Kopfschmerzen hat?

Vielen Dank für das Kompliment! Wir haben natürlich alle ein paar musikalische Vorbilder. Mich persönlich haben meine Lieblingsband Gentle Giant und King Crimson bei der Komposition beeinflusst, unser Saxophonist Thomas liebt, wie man unschwer hört, Van Der Graaf Generator, unser Basser Patrick hört viel Zeuhl und unser Drummer Moritz ist im Jazz verwurzelt.
Aber auch moderne Prog Bands haben mich bei den Kompositionen inspiriert, z.B. Maudlin of the Well und Kayo Dot, aber auch Opeth. Unsere neuesten Stücke, also die, die aufs Album kommen, sind allerdings stärker von Jazz und Klassik beeinflusst als "Die Irrealität der Zeit", wir haben aber auch in einem unserer Stücke Anteile südamerikanischer Musik wie Bossa Nova. Wir bedienen uns einfach überall, wo es uns passt.
Das mit dem Specht habe ich mich auch schon mal gefragt: Der haut ja die ganze Zeit wie ein Irrer seinen Kopf gegen einen Baum. Wie hält sein Hirn das nur aus?
Schön übrigens, dass du hier Wobbler erwähnst. Ich fand bereits deren Debüt "Hinterland" exzellent, und ihre neueste Scheibe "From Silence To Somewhere" ist wirklich extrem stark, für mich persönlich das beste Prog Album des Jahres 2017.

Ursprünglich auf Eure Band aufmerksam geworden bin ich durch das tolle Cover-Artwork des Herrn Dohle, das mich direkt in seinen Bann zog. Nun ist Euch der Meister oder Ihr seid ihm treu geblieben. Läuft das auf eine Ehe mit allen Höhen und Tiefen hinaus und wie glücklich seid Ihr, Eure Musik mit seiner Kunst schmücken zu dürfen?

Poul Dohle ist ein wunderbarer Künstler und ein unglaublich sympathischer Mensch. Es ist ein Privileg, dass seine Kunst unsere bisherigen Auskopplungen ziert und ich denke, wir ergänzen uns gut. Ich fände es toll, wenn er weiterhin unser Artwork gestalten würde, denn sein sehr eigener Stil hat ja in der Tat einen hohen Wiedererkennungswert. Ich weiß aber nicht, ob das zwischen uns nur eine Liäson ist oder ob daraus einmal eine Ehe wird.

Vor vielen Jahren fuhr ich nächtens über die B54 nach Dortmund, als vor meinem Auto ein Igel über die Straße schlich. Warnblinker an, zur Seite gefahren, doch anstatt sich helfen zu lassen, igelte sich der gar nicht so kleine Kerl ein und machte die Stachelkugel. Da muss ich jedes Mal dran denken, wenn ich Euren Namen lesen und Eure Klänge höre. Was hat Euch eigentlich bewogen, Eure Band so zu nennen? (btw: der Igel hat überlebt)

Gute Frage! Ich weiß es wirklich nicht mehr, denn das ist schon verdammt lange her. Die Band hat sich ja bereits 2009 gegründet, seit 2011 steht das jetzige Lineup. Sorry für die unbefriedigende Antwort!

Im Internet können findige Musikliebhaber ein "Play-through-Video" finden, um zu überprüfen, ob es bei Euren Aufnahmen zur Irrealität mit rechten Dingen zuging, oder ob wir vielleicht fake news aufgesessen sind. Make the Karohemd great again! Von Moden haltet Ihr auch in musikalischer Hinsicht nicht so wahnsinnig viel, oder – das schaut nämlich ziemlich entspannt aus, so im Sinne von: "Och, wenn's nach uns ginge, könnten wir noch bis ins Übermorgen so weiterspielen?!"

Eine gewisse Routine ist wichtig, meine persönliche Erfahrung ist allerdings, dass Proben, Konzerte und ganz besonders Aufnahmen jedes Mal verdammt anstrengend sind. Man muss die ganze Zeit hochkonzentriert sein, aber es macht natürlich auch wahnsinnig viel Spaß. Aber klar, hätte das Budget gereicht, hätten wir gerne noch mehr Material eingespielt.
Wir finden Karohemden sehr schön!

Träumt Ihr tagsüber manchmal von einem Auftritt im hiesigen Tatort oder was wäre noch so ein Etappenziel, das Ihr mit der Band gerne erreichen würdet?

Große Festivals wären klasse, so etwas wie die Zappanale, Burg Herzberg, die Freak Show oder die Night Of The Prog. Im Ausland auftreten wäre auch großartig. Und das erste Album ist natürlich ein wichtiges Ziel, von dem wir uns auch erhoffen, dass es uns Tür und Tor für größere Auftrittsmöglichkeiten öffnet.

So, ich möchte Euch keineswegs noch mehr Sekundenbruchteile stehlen und Euch von alledem abhalten, was sich letztlich in neuer Musik zuspitzt. Danke, dass Ihr ausnahmsweise mal einem seriösen Medium Rede und Antwort gestanden habt.

Thor Joakimsson (Info)
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