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Interview mit The Shadow Principle (23.01.2013)

The Shadow Principle

Bassist und Sänger Dave beschreibt seine kalifornische Heimat abgrundtief düster und hält nicht mit Persönlichem zurück. Dies passt zu "Golden State", einem fabelhaften, dringlichen Album substanzieller Rockmusik.

"Golden State" vermittelt mir eine bedrohliche Atmosphäre. Ich erkenne hier und dort Spuren zerrütteter Beziehungen, existenzielle Angst und gleichermaßen Rückbezüge auf eine idealisierte Vergangenheit.

Du meinst vermutlich den Song, aber teilweise trifft dies alles auch auf das Album insgesamt zu. Generell wollte ich mit einigen der Mythen brechen, die im Zusammenhang mit Kalifornien vorherrschen, was Schönheitsideale, Lebensgestaltung und Wohlstand betrifft. Der Glaube, man lasse es sich in Südkalifornien unter Palmen, blauem Himmel und Filmstars gutgehen, wirft einen langen Schatten und hält sich bis heute - was nicht zuletzt jeder beliebige Film von Judd Apatow (z.B. "Fast verheiratet" - Anm. d. Verf.) beweist. Er beschreibt ein leichtgängiges, spießbürgerliches Umfeld, in dem die warme Sonne für diejenigen, die mit ihrem BMW - woher haben sie den überhaupt? - ständig Malibu oder Santa Monica ansteuern, so gut wie nie untergeht. Der Mythos vom "fun in the sun", den die Bewerber der Region zu Beginn des 20. Jahrhunderts heraufbeschworen, um mehr Menschen in den Staat zu locken, bevor ihn die Beach Boys während der Sechziger zum Vorantreiben ihrer eigenen Karriere ausschöpften, ist nicht totzukriegen.
Folglich spielte die Popkultur eine enorm wichtige Rolle dabei, das Fantasiebild des kalifornischen Lebenswegs zu zeichnen und dauerhaft zu etablieren - alldieweil die meisten Bilder vom Süden des Staates als Paradies auf Hinterhöfen entstanden sind, zumindest was Fernsehen und Kino angeht. Kürzlich sah ich Thom Andersons sehr gute Dokumentation "Los Angeles Plays Itself", die mir vor Augen führte, wie die Filmemacher von Hollywood Südkalifornien aus sich selbst erschaffen, indem sie bestimmte Lokalitäten umgestalten, damit sie noch "kalifornischer" aussehen, beziehungsweise stylisierte Sets bauen, um ihre idyllischen Geschichten über den "Golden State" davor entspinnen zu können.
Ich persönlich habe in der von Anderson herausgestellten Diskrepanz von Schein und Sein einen Nutzen gezogen: Vor diesem Hintergrund lasse ich Revue passieren, wie ich selbst in einer südkalifornischen Kleinstadt aufwuchs. Während alte Fotos von mir oder meinen Eltern in jungen Jahren auf eine für sich einnehmende, gut situierte und uramerikanische Familie hindeuten, die den Traum lebt, verhehlen sie den Alkoholismus, den Drogenmissbrauch und die Verbitterung, welche uns letztlich zerrissen haben. Meine Eltern spielten eine Rolle für die Kameras: Ranch-Haus, Cadillac und Sonnenbräune machten sie umso glaubwürdiger, übertünchten aber eben, was tatsächlich los war.
Also stehen Existenzangst und Nostalgie tatsächlich ganz oben auf der Themenliste für das Album, doch das Titelstück erzählt von Schwelgereien in einer idealisierten Vergangenheit, die es eigentlich niemals gab, und die nackte Angst packt dich, wenn du bemerkst, dass du deswegen überhaupt keine Lebensgrundlage hast.

Der Titel des Albums ergab sich also von selbst.

Der innere Abgrund, den ich hier und dort beschreibe, klafft am Ende vieler Gedanken, die ich auf der Scheibe aufgreife. Ungefähr nach der Hälfte der Spielzeit - ab "The Rift", würde ich sagen - werden die Texte kopflastiger, weil ich in den Abgrund oder Spalt gefallen bin und mich mit mir selbst auseinandersetzen musste. Davon abgesehen wollte ich auch auf die Naturkatastrophen hindeuten, die in Kalifornien geschehen und gerne unter den Tisch gekehrt werden. Deswegen singe ich über Feuer, Stürme, Überschwemmungen und Erdbeben, die allesamt gleichsam metaphorisch aufgeladen sind. Das Loch magalso vordergründig durch einen Erdstoß entstanden sein, steht aber ebenfalls für eine kaputte Familie und ja - auch die einsetzende Schizophrenie des Erzählers, eine innere Zerrissenheit der ich mit der Frage “Which I is I?” Ausdruck verleihe.

Einen doppelten Unterboden sehe ich bei "Camera Action" allerdings nicht.

Stimmt, dieses Stück schürft nicht eben tief, aber ich habe es bewusst so einfach gehalten, denn das beschriebene Filmsternchen ist genauso prosaisch. Auszudrücken,dass die Gesellschaft so äußerst hohle Menschen zu viel Aufmerksamkeit schenkt, fand ich unverzichtbar auf einem Album, das die kalifornischen Klischees hinterfragt. Dies schlägt sich auch in “Until It Hurts” und “Block Out the Sun” nieder: die Einsicht, dass dem Trivialen keineswegs, wie uns die Popkultur häufig weismachen möchte, eine verborgen tiefgründige Bedeutung anhaftet.

"Swim Away" spricht Schuldgefühle an, nicht wahr?

"Golden State" erzählt in mehrfacher Hinsicht eine Story über väterliche Sünden und wie sich diese fortpflanzen. "Swim Away" dramatisiert die Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn, wobei das Wasser den alten Herrn repräsentiert, allerdings nicht in seiner reinigenden, sondern zerstörenden Wirkung. Dies führt weiter zu “The Flood”, einem offengestanden recht trostlosen Ende, ich weiß, aber räumt man mit den Enttäuschungen des Lebens auf, ist dies kein Zuckerschlecken, besonder wenn die eigenen Eltern damit zu tun haben.

Welches "Projekt" meinst du in "Wicked Seas", und wer ist "you"?

Das Projekt für dieses Album ist gewissermaßen der Vorsatz einer Art von dunkler Hinnahme dessen, was war und völlig anders hätte sein sollen, was weiterhin ist und niemals eine Änderung erfahren wird: eine Familie, die den kalifornischen Traum leben wollte und an dessen Forderungen zerbrach. Ich halte quasi Gericht für meine Eltern, und "Wicked Seas" dringt weiter als jedes andere Lied ins Unterbewusste, um ein Urteil über ihre zahlreichen moralischen Fehltritte zu sprechen. Der Erzähler erinnert mit Bezug auf Shakespeares "Der Sturm" an Prospero, da er seine Erzeuger wie durch Zauberhand auf eine verlassene Insel verbannt. Sie sind auch die angesprochenen "you".

Was bedeutet dir das Meer als Metapher?

Es fällt mithin zuerst ein, wenn man an Kalifornien denkt. Für die Region bedeutet es Hoffnung, Freiheit, Freude und Wohlergehen, spirituellen wie vielleicht ironischerweise auch finanziellen Aufstieg. Schließlich stellt ein Eigenheim mit Meeresblick hier den Gipfel des persönlichen Erfolges dar. Unsere Betonung des nassen Elements dient von Fall zu Fall also unterschiedlichen Zwecken. Wasser kann auch schmutzig sein, und Klar- oder Reinheit waren nicht mein Anliegen, also ich mich ans Schreiben der Texte machte. Vielmehr wollte ich bewusst im Trüben fischen, um ein Thema oder besser gesagt eine Reihe zusammenhängender Motive ins Schlaglicht zu rücken, ohne eine lineare Erzählung zu verfasssen. Allein der starke Eindruck, den die Texte hinterlassen, soll dem Hörer dabei helfen, meine Intention zu begreifen, und ihn gleichermaßen auf eine eigene Interpretation bringen.

Was kannst du uns zu MURDER AT THE WELL berichten?

Reza Moosavi und ich gründeten diese Band 2009 mit einem anderen Trommler. 2010 brachten wir ein Album heraus und spielten ein paar Shows, ehe alles den Bach hinunterging - zu viele interne Spannungen. Mit Kurt Berens hinter den Kesseln wurde alles viel, viel besser. Er ist nicht nur ein fabelhafter Musiker, sonder auch als Mensch klasse, sodass Reza und ich umso besser geworden sind. Murder At The Well warfen zwei wirklich gute Stücke ab, die wir in unser Live-Programm aufnehmen werden, was Kurt entgegenkommt, der gerade durch sie auf uns stieß. Das Album gibt es nach wie vor digital bei den gängigen Anbietern im Digitalformat zu kaufen, und das Video zu “Night And Day” findet man auf YouTube.

Wie habt ihr Mark Chalecki als Knöpfedreher von euch überzeugen können?

Das war schieres Glück. Mark arbeitet fest bei Kingsize Soundlabs, wo wir “Golden State” aufgenommen haben. Wir könnten nicht zufriedener sein mit der Arbeit, die er für uns geleistet hat.

Wollt ihr unabhängig bleiben oder ein Label finden?

Es müsste die richtige Firma sein. Als Independent-Künstler agieren wir sehr frei, was mit Hinblick aufs Komponieren und Produzieren toll ist; andererseits hapert es beim Vermarkten und Verlegen unserer Musik auf breiter Ebene. Dieses Album verdient eine breiter angelegte Marketing-Kampagne, das wissen wir. Am realistischsten und ansprechendesten wäre wohl ein Vertrag mit einem kleinen Label, das “Golden State” sowohl bei uns wie im Ausland ein wenig pushen könnte.

Spielt ihr oft live?

So oft wie möglich, aber L.A. ist schwierig zu knacken, weil die Konkurrenz riesig ist und eigentlich keine richtige Musikszene existiert, sieht man von den Hipstern im Osten ab. Wir sollten uns eine Geigerin anschaffen und enge Jeans anziehen ... Konzertagenten interessieren sich nicht für Rockmusik im klassischen Sinn, und in Hollywood haben die Clubs diese elende "Pay to play"-Moral. Es ist also nicht leicht für uns, aber wer weiß, was die Zukunft bringt? Wir möchten auch Leinwände bei unseren Konzerten aufstellen, Projektionen bieten und eine minimalistische Lichtshow auffahren, vielleicht wie eine moderne Version der frühen PINK FLOYD.

Was bedeutet überhaupt THE SHADOW PRINCIPLE?

Der Ausdruck stammt von Joseph Campbell, der ihn in "Heros in tausend Gestalten" als magisches Kostüm beschreibt, in dem ein siberischer Schamane die verlorenen oder entführten Seelen von Kranken heraufbeschwört. Für uns repräsentiert der Name wohl echte und von Musikern gemachte Musik, Ideen und Impulse, die sich aus dem Inneren als Klang und Wort Bahn brechen.

Wie plant ihr weiter für die Zukunft der Band?

2013 bewerben wir "Golden State" und feilen an unserem Bühnenauftritt. Ob wir dabei über die Westküste hinaus spielen werden, bleibt abzuwarten, aber jeder von uns wäre bereit, weiter zu reisen, wenn sich die Gelegenheit ergäbe. Außerdem sind wir auch heiß darauf, etwas Neues aufzunehmen, und haben schon einige neue Ideen erarbeitet, also wird es in spätestens zwei Jahren Nachschub aus dem Studio von uns geben.

Viel Glück bei allem - wir spitzen die Ohren!

Andreas Schiffmann (Info)
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