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Interview mit Tribal (25.06.2012)

Tribal

 

Die Schweizer TRIBAL gehören zur heuer seltenen Sorte Bands, die nicht sofort Assoziationen an Bekanntes wecken und zugleich trotzdem nichts wirklich Neues fabrizieren. Ihr jüngstes Album „I-Dentity“ bot Anlass, Sänger Greg auf den Zahn zu fühlen.

Erklärt mal die tiefere Bedeutung eures schlichten Bandnamens. Wenn man heute ein eigentlich so einfaches Wort verwendet, steckt bestimmt mehr dahinter …

Wir sind vier Leute, die eine Gemeinschaft, also eine Art Stamm bilden. Der Stamm heißt im englischen eben tribe. Das Tribal wiederum ist eine Art Zeichen, das die Zugehörigkeit zu diesem Stamm symbolisiert und unsichtbar auf unsere Herzen tätowiert ist. Deshalb nennen wir uns TRIBAL.

Wie kam der Kontakt zu eurem nunmehrigen Stammproduzenten Rolf Munkes zustande, und was schätzt ihr so an ihm, dass ihr ihn nicht wieder hergeben wollt?

Rolf ist auf der einen Seite ein großartiger Mensch, was sehr wichtig ist, wenn man für eine so lange Zeit eng zusammenarbeiten muss. Er verfügt über äußerst schwarzen Humor, was uns sehr entgegenkommt. Auf der anderen Seite ist er extrem professionell und hat viele Ideen. Bei „Distant Memoires“ beispielsweise hat er mich dazu angestachelt, für den Zwischenpart die Zwangsjacke anzuziehen, um psychopathischer klingen. Das Ergebnis kann sich hören lassen.

Was hat es mit „Live Bootleg“ auf sich? Dass eine Band so etwas nach nur einer EP veröffentlicht, zumal mit dem Titel „Bootleg“, ist relativ ungewöhnlich.

Das war eine extrem spontane Sache. Wir haben damals jede unserer Shows mit einfachen Mitteln aufgenommen, und irgendwie war dieser Gig sehr cool. Deshalb haben wir die Aufnahmen so roh, wie sie waren, genommen und als „offizielles Bootleg“ veröffentlicht. Damals wussten wir noch nicht, dass ein paar Monate später bereits das erste Album „Cardboard Heroes“ folgen sollte. Rückblickend stellt die Scheibe, die es aber nur noch digital gibt, ein schönes Zeitdokument dar.

Ich habe schon mit mehreren Schweizer Bands darüber gesprochen: Wie seht ihr persönlich die Szene für harte Gitarrenmusik abseits von Gotthard in eurem Land?

In der Schweiz gibt es einen großen Fundus an tollen Bands. Allerdings ist es sehr schwer, sich in die Öffentlichkeit zu spielen, da die Radios bei uns zum größten Teil allergisch auf verzerrte Gitarren reagieren und kaum Medien, sprich Web- und Print-Magazine für Rockmusik vorhanden sind. Deshalb ist nach Krokus und später Gotthard kaum mehr etwas groß herausgekommen. Ich persönlich hoffe, dass sich die Medien hierzulande gegenüber Gitarrenmusik öffnen. Vielleicht geschieht dies, wenn man auch im Auto Webradio hören kann und nicht mehr auf die Standardkanäle angewiesen ist.

Zu den Songs: Wer ist die offensichtlich de-individualisierte Nummer elf in „Eleven“? Ich dachte zuerst an Judas Iscariot, den man in der Bibel mitunter als "Elften" bezeichnet, aber das ist wohl Unsinn.

Zuerst einmal freut es mich sehr, wenn sich Menschen mit den Texten auseinandersetzen, da ich mir immer Gedanken darüber mache. Vielen Dank dafür. Zu „Eleven“: Kennst Du den Film »THX 1138« von George Lucas? Der Track ist davon inspiriert. Darin wird eine totalitäre Welt ohne Gefühle dargestellt. Unsere Wirklichkeit geht ja zunehmend leider auch in eine solche Richtung. Er handelt von einem Menschen, der überhaupt nicht mit seinem Leben zufrieden ist und sich wie eine Nummer fühlt. Andererseits er ist auch nicht gewillt, etwas gegen seine Situation zu tun, denn er wähnt sich in einem sicheren Käfig und führt ein beschauliches, graues Leben.

Befasst sich „My Identity“ mit einem konkreten Fall, bei dem jemandem die Identität geraubt wird, oder ist das Stück allgemeingültig zu verstehen?

Letzteres. In der beschriebenen Person stecken verschiedene Menschen. Immer wieder versuchen äußere Kräfte, den Einzelnen nach ihrem Gusto zu formen. Gerade in der heutigen Zeit, wo man langsam aber sicher kaum mehr Ruhe hat, ist es schwierig, die eigene Identität zu finden und zu wahren. Ich selbst möchte jedenfalls kein Teenager mehr sein. Viel mehr als noch zu meiner Zeit wird teils suggestiv, teils mit dem Holzhammer vermittelt, was man anzuziehen hat, wie man aussehen und sich verhalten muss. Nur wer stark genug ist, kann sich dem widersetzen.

„On A Silken Thread“ liest sich sehr dramatisch. Geht es im Text um eine Beziehung, die auf der Kippe steht, vermutlich wegen der schlimmen Krankheit eines Partners?

Damit triffst Du beinahe ins Schwarze. Es handelt sich nicht um eine Liebesbeziehung, sondern um eine familiäre. Es geht um den Verlust eines geliebten Menschen. Man weiß zwar, dass man jemanden liebt, doch erst, wenn diese Person nicht mehr da ist, begreifst du wie sehr du sie geliebt hast. Als mir dies vor einigen Jahren passierte, wurde mir klar, dass alles im Leben – auch unser Dasein an sich – am seidenen Faden hängt. Seither versuche ich, bewusster zu leben und jeden schönen Moment zu genießen. Man weiß nicht, wann das Ende kommt.

„Die Kraft ist in dir“ wirkt danach wie eine Weiterführung: Zwei Menschen gehen gestärkt aus einer Krise hervor, der eine zumindest stärker gezeichnet als der andere …

Es geht darum, wieder so zu werden, wie man in früher Kindheit war. In dieser Zeit ist man noch frei von Vorurteilen und selbstauferlegten Dogmen. Man steckt voller Neugier, Fantasie und ist durchweg positiv. Im Lauf der Zeit irrt man häufig in Richtungen die in einem tristen Dasein enden. In „Die Kraft ist in dir“ geht es darum, sich darauf zurückzubesinnen, wie man einst war. Solange man lebt, ist es nie zu spät, damit zu beginnen.

„Spiral Of Insanity“ und der letzte Song muten politisch an: Ein Eiferer unter den Regierenden kappt die Rechte des Volkes im Sinne angeblicher Sicherheit, oder liege ich komplett daneben?

Nein, du hast vollkommen Recht. Es geht um die Beschneidung der Rechte unter dem Vorwand der Sicherheit. Es ist doch so: Alles mögliche wird verboten unter diesem Deckmantel. Ich finde das schrecklich. Am Ende kommt das böse Erwachen. Abgesehen davon gibt es keine hundertprozentige Sicherheit, und was würde diese auch nützen, wenn das Leben immer mehr zum Vegetieren verkommt? In „Past – Present – Future“ werden dann jene angesprochen, die dafür sorgen, dass es niemals Frieden gibt. Es gibt leider Menschen, die allein dafür leben, um Gewalt zu sähen – sei es, weil sie dadurch verdienen oder selbst große Aggressionen hegen und sich daran erfreuen, wenn sich andere die Köpfe einschlagen. Ich hoffe, irgendwann ändert sich das, und die Welt, in der wir leben, wird eine bessere. Wird aber wohl noch etwas dauern …

„Liberation“ liest sich sinnigerweise wie ein Befreiungstext, bloß passt das Wort „legalized“ nicht so recht ins Bild. Welches Opfer wird in diesem Fall legalisiert?

Das Opfer des eigenen Lebens. Der Protagonist ist eingesperrt in eine nicht mehr lebenswerte Welt und sieht nach langem Kampf nur noch den Ausweg, sich umzubringen. Erst dann ist er frei, eine sehr traurige Geschichte.

Wer ist der Rattenfänger in „Metamorph“, der sich ständig zu häuten scheint?

Es gibt Menschen, die je nach Lage ihr ganzes Ich über Bord werfen und die Seite wechseln. Für sie gibt es nur eines: Sie kennen allein sich selbst. Der Kerl in „Metamorph“ ist jemand, der dich anlächelt und dir, wenn Du dich umdrehst, ein Messer in den Rücken rammt. Man trifft im Laufe des Lebens leider immer wieder auf solche Personen.

„Hardcore“ scheint von einem Drogenabhängigen zu handeln, der entweder mit seiner Versorgerin zusammenlebt oder die Nadel als Frau verklärt, nicht wahr?

Mit der zweiten Möglichkeit hast du es auf den Punkt gebracht. Die Person lebt in einem fortwährenden Drogenrausch und verklärt die Spritze im Wahn zur Geliebten. Es ist traurig, wie viele Menschen heutzutage ihr reales Leben nicht mehr ertragen und sich in eine Traumwelt zurückziehen, aus der es oftmals kein Entrinnen gibt.

„Believe“ wirkt wie der dritte Song zum Themenkreis Liebe und Kraft: Die beschriebene Person ist zum Lebensgrund des Protagonisten geworden; kann man dies auch negativ als Abhängigkeit betrachten?

Der Song ist durchwegs positiv zu sehen. Es geht darum, dass man nach langer Zeit des Suchens endlich den Menschen findet, nach dem man sich gesehnt hat – jemand, bei dem man keine Maske tragen muss. Man erreicht nach einer langen Fahrt durch stürmische See endlich den Ort, an dem man sein kann, wie man ist, und gerade dafür geliebt wird. Ich wünsche mir, dass dies vielen Menschen widerfährt, denn es ist ein wunderschönes Gefühl.

In „Distant Memories“ scheint eine Künstlerseele zu sprechen, die nur durch ihr Schaffen aufblüht und Kraft schöpft, indem sie in Nostalgie schwelgt. Wieder stellt sich die Frage, ob so etwas auf lange Sicht hin funktioniert.

Das Leben ist eine Achterbahn. Dies kommt in „Distant Memoires“ wie auch in „Die Kraft ist in dir“ zum Ausdruck. Hier schwelgt jemand, dem es momentan ziemlich gut geht, in Erinnerungen. Neben schönen Momenten kommen aber auch Dinge zurück ins Bewusstsein, die er verdrängt hat. Alte Wunden reißen wieder auf.

Der Sprecher in „Odd Nativity“ erschließt sich mir nicht so ganz. Ist es ganz generell ein Außenseiter?

Er ist jemand, der sein Leben so führt, wie er will, und sich nicht an Konventionen hält. Wenn man das macht, zieht dies Reaktionen von Kopfschütteln über Angst bis zu Neid und Missgunst nach sich. Menschen, die nicht den Mut haben, so zu leben, wie sie möchten beziehungsweise es nicht einmal versuchen, reagieren oftmals sehr seltsam auf jene, denen dies gelingt. Vielleicht werden diese Leute nach 2012 aber vermehrt den Mut dazu aufbringen, ohne Maske zu leben und einfach so zu sein, wie sie sind, haha.

„Blame“ handelt klar von einem Sündenbock. Verarbeitet ihr allgemein persönliche Erfahrungen in den Texten, oder pickt ihr euch schlicht naheliegende Themen heraus und schreibt darüber? So vage der Stil gehalten ist, könnte man das meinen.

Es ist eine Mischung aus eigener Erfahrung und Beobachtung. Das Leben hat mich gelehrt: Der Mensch braucht immer einen Schuldigen, auch wenn keiner Schuld trägt – einfach deshalb weil sich die Leute dann besser fühlen. Tja, der Mensch ist eine sehr seltsame Kreatur und leider – im Gegensatz zu der in „Odd Nativity“ beschriebenen – nicht immer im positiven Sinne.

 

Andreas Schiffmann (Info)
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