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Rock im Revier 2015 - Sonntag - ArenaPark, Gelsenkirchen - 31.05.2015

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Es ist Sonntagmorgen, das Wochenende ist fast um und organisatorisch ist alles nach Plan verlaufen, der Blick aus dem heimischen Fenster lässt aber erahnen, dass heute zumindest die Boom Stage leiden muss. Zwischen den konstanten Nieselregen mischen sich immer wieder kräftige Schauer, die den Konzertgenuss deutlich einschränken. Aber auch auf Seiten der Bands kommt es zu den ersten, kurzfristigen Problemen: Zum einen hat HELLYEAH, die Band um ex-PANTERA-Drummer Vinnie Paul und MUDVAYNE-Sänger Chad Grey gestern bei Rockavaria einen rabenschwarzen Tag erwischt. Aufgrund von technischen Problemen musste der Gig abgesagt werden, obwohl die Band schon bereit stand. Im laufenden Prozess gerieten die HELLYEAH-Roadies und das Münchener Soundteam lautstark aneinander, das Ganze geriet zu einem denkbar schlechten Start in die Europa-Tour. Dass die Amis heute verspätet in Gelsenkirchen aufkreuzen und den ziemlich auf Kante genähten Spielplan durcheinander wirbeln, dürfte keine Absicht gewesen sein, passt aber ins unglückliche Gesamtbild. Den Veranstaltern treibt das wiederum ein paar dicke Schweißperlen auf die Stirn, weil sich das Programm auf der Big Stage um satte 35 Minuten nach hinten verschiebt. Besonders im Falle von KISS ist das problematisch, denn für eine Spielzeit nach 23 Uhr haben die Veranstalter keine Sondergenehmigung eingeholt.

Hinzu kommt, dass auch die Zeiten auf dem Boom Stage umgestrickt werden müssen, weil sich Sänger Dr. Mania von DR. LIVING DEAD! ebenfalls gestern bei der Schwesterveranstaltung in München die Achillessehne gerissen hat und sich erst einmal von der Operation erholen muss. So kurzfristig ist kein Ersatz zu organisieren, stattdessen werden einige Umbaupausen verlängert und damit der eng getaktete Betrieb entzerrt. Zusammen mit der Ansage, man wolle (und müsse) zumindest ein paar Minuten der Verzögerung auf der Hauptbühne wieder wett machen, ist das vor allem für die Berichterstattenden vor Ort ein wildes Rechnen und ständiges Einholen von neuen Wasserstandsmeldungen. Leidtragende sind zunächst BEYOND THE BLACK, die zehn Minuten früher als angekündigt in ihr Set starten.

Beyond The Black Rock im Revier 2015Um den neuesten Stand der Dinge mitzubekommen, fällt in unserem Fall die Entscheidung nur die ersten drei Songs der Newcomer anzuschauen, aber der kurze Eindruck weiß durchaus zu überraschen. Die junge deutsche Band hat ja bekanntermaßen letztes Jahr bei ihrem ersten Gig überhaupt gleich mal Wacken zerlegt und dabei dermaßen überzeugt, dass sie seitdem mit hohem Tempo auf der Überholspur unterwegs ist. Nicht ganz so gut sind die Werbeaktionen angekommen, die die Band für ihr Debütalbum „Songs Of Love And Death“ gestartet hat: Neben einem breitbeinigen Werbeclip auf ProSieben waren BEYOND THE BLACK im Sat.1 Frühstücksfernsehen und Sängerin Jennifer Haben im ZDF-Fernsehgarten (MOTÖRHEAD hätten wohl auch nicht mehr damit gerechnet, dass ihr ‚Love Me Forever‘ es ins deutsche Hauptprogramm schafft) zu sehen. Doch von all dem ist nichts zu merken als sechs blutjungen Musiker die Rock im Revier-Bühne betreten. Kein aufgesetztes BABYMETAL-Konzept, keine aufwändigen Bühnenaufbauten, keine albernen Kostüme, kein unnötiges Rockstargehabe, die Mannheimer/Innen möchten einfach nur 45 Minuten lang rocken.

Die poppige Ausrichtung in Richtung NIGHTWISH und WITHIN TEMPTATION wird nicht jedem schmecken, alle anderen zeigen sich beeindruckt von der Professionalität, die der Sechserpack an den Tag legt. Mit Symphonic Metal lässt sich bekanntermaßen Geld verdienen, dem bunten Trupp kauft man aber auch ab, dass man damit sogar Spaß haben kann. Die zierliche Frontfrau Jennifer Haben hat eine Stimme, nach der sich die hiesigen Castingshows die Finger lecken, hat aber rein phänotypisch nichts mit den Anforderungen des Marktes zu tun. Sie wirkt erfrischend normal und zwängt sich nicht in ausgefallene, körperbetonende Outfits. Und auch die Zusammensetzung ihrer Mitstreiter folgt keinen Konventionen: Um das ganz klischeebeladen zu beschreiben stehen da auf der Bühne Studenten neben Pagan Metallern und Alternative Rock neben Metalcore-Anhängern und das Schönste ist, dass das gar nicht erst thematisiert wird. Dem Album nach zu urteilen gelingt den Jungs und dem Mädel noch nicht alles und manch ein Klischee wird dann doch bedient (die SANTIANO-Pagan-Klänge müssten nun wirklich nicht sein), sollten sie es aber ernst meinen, bleiben sich treu und verzichten auf allzu offensichtliche Anbiederungsversuche an ein großes Publikum, dann ist ihr Erfolg zumindest nachzuvollziehen und ihnen nicht zu missgönnen.

 

Setlist Beyond The Black © www.Rock-im-Revier.de

 

Grund für den kurzen Besuch ist vor allem die drohende Überschneidung von ACCEPT und EPICA. Ein Abstecher ins Pressecenter sorgt dann für Klarheit: Eigentlich sollten die deutschen Metal-Urgesteine 25 Minuten vor den NiederländerInnen beginnen, womit zumindest der Fototermin hätte eingehalten werden können. Nun beginnen beide Bands fast parallel und so ist erst mal noch genügend Zeit für einen kurzen Erkundungsgang über das Gelände, das den meisten Anwesenden wohl durch die Heimspiele des FC Schalke 04 bekannt ist. Zu den Vorteilen zählt die feste Installation der Infrastruktur: Veltins Arena und Emscher-Lippe-Halle sind Veranstaltungsorte, die sich auf die jeweiligen Events einstellen können und über saubere Sanitäranlagen verfügen. Wer Zeit und Lust hat, kann sich im Hallenbad des Sportparadieses vom Festivalstress erholen und sich bei hohen Temperaturen erfrischen oder wetterunabhängig bei den im ArenaPark angesiedelten Fastfoodrestaurants stärken. Läge der Campingplatz näher am Gelände, dann könnten die Besucher das ein paar hundert Meter entfernte Gewerbegebiet zum Einkaufen nutzen. So sind sie auf das Angebot vor Ort angewiesen, das mit strammen Preisen zu Buche schlägt: An der Boom Stage kostet eine Portion Pommes 3€, die Spezialvariante 4,50€, die Kombination mit Currywurst gar 6,50€. Ein halber Liter Bier kostet stolze 5€ und da der Gerstensaft in Weichplastikbechern ausgeschenkt wird, ist da kein Pfand dabei.

Dafür bietet das Gelände den Luxus sich vor den hiesigen Wetterkapriolen schützen zu können, indem eine der beiden Veranstaltungshallen besucht oder der innere Ring um die Arena als Aufenthaltsort genutzt wird. Da alle Wege betoniert sind, gehört Matsch und Staub nicht zum Festivalerlebnis. Auf die fest installierten Läden in der Veltins Arena ist Verlass, die Bedienungen an den Verkaufshäuschen reichen eventerprobt im Akkord feste und flüssige Nahrung, es muss also keiner darum bangen, die nächste Band zu sehen. Die Parzellen der Fanshops werden zu Bandmerchandiseständen umfunktioniert, an denen aber meist nur die Shirts der beiden größten Bands der Big Stage zu erstehen sind. Besser sieht das auf dem äußeren Arenaring aus: Hier haben sich wie bei anderen Festivals einige private Händler und größere Merchfirmen mit ihren Zelten angesiedelt. Aus den organisatorischen Fehlern des Big 4-Konzerts haben die Arenabetreiber gelernt und stellen für alle Bereiche größzügige, wassergespülte Toilettenanlagen zur Verfügung. Das gilt sowohl für den Innenraum der Veltins Arena, als auch für die Boom Stage auf P7. Lange anstehen muss hier aufgrund der niedrigen Auslastung aber sowieso niemand.

 

Epica Rock im Revier 2015Nun aber wieder zurück zur Boom Stage, die ein weiteres Symphonic Metal-Konzert bietet. EPICA sind nun schon seit 12 Jahren unterwegs und setzen sich gleich durch mehrere Merkmale von ihrer Konkurrenz ab. Natürlich ist da die wunderbare Simone Simons zu nennen, die zu den schönsten Frauen der gesamten Metalwelt zählt. Für sie spricht aber auch, dass sie sich trotz ihrer Ausbildung als Opernsängerin für den Metal entschieden hat und sich eben auch durch ihr Headbangen in die Herzen der Fans arbeitet. Außerdem punktet die rothaarige Niederländerin im deutschsprachigen Raum mit ihren in Deutsch vorgetragenen Ansagen, die, seit sie zu ihrem Partner Oliver Palotai (KAMELOT, DORO) nach Stuttgart gezogen ist, sprachlich nahe an der Perfektion wandeln.

Zum anderen fällt gerade im Vergleich zu BEYOND THE BLACK auf, dass EPICA zu den härtesten Vertretern ihres Genres gehören. Rifftechnisch und von Growls begleitet schrammt manch ein Part knapp am Death Metal vorbei, was den einen oder anderen Metalhead zurück ins Boot holt, der genervt von all dem Kitsch der popaffinen Kollegen der Sache eigentlich abgeschworen hat. Außerdem gelingt es der Band auch noch konstant gute Alben zu schreiben, auf jedem einzelnen ist die Hitdichte erstaunlich hoch. Auch auf die aktuellen Platte „The Quantum Enigma“ trifft das zu, was auch dem 50 Minuten-Set bei Rock im Revier anzuhören ist. Gleich vier von acht Songs sind 2014 erschienen und das geht völlig in Ordnung. ‚The Second Stone‘ ist ein richtiger Ohrwurm, in dem Simone Simons ihre Opernausbildung hinten anstellt und ihre schöne, „normale“ Gesangsstimme einsetzt. ‚The Essence Of Silence‘ und ‚Victims Of Contingency‘ sind teilweise richtig sperrige, von Doublebassfiguren flankierte Power Metal-Stücke mit Hang zum Extreme Metal, die durch den variablen Gesang immer wieder aufgelockert werden. ‚Unchain Utopia‘ bleibt durch die verschiedenen Versatzstücke und den epischen Refrain im Kopf, insgesamt könnten es aber alle vier Stücke in zukünftige Sets der Band schaffen.

Das haben die anderen vier Songs schon geschafft: ‚Sensorium‘, ‚Unleashed‘, ‚Storm The Sorrow‘ und ‚Consign To Oblivion‘ sind allesamt geliebte Hits und machen den Auftritt von EPICA zu einer rundum gelungenen Sache. Nur der Regen ist wieder ein wenig stärker geworden, Simone bangt kurz um ihre Frisur, sorgt sich danach aber deutlich stärker um das Wohlergehen der Zuschauer und wünscht sich, dass sich keiner erkältet. Der Zuspruch der Fans ist groß, trotzdem hätte die niederländische Kombo für ihren starken Auftritt mehr Zuschauer verdient gehabt, nicht zuletzt auch, weil sie ihr Material nicht nur professionell, sondern auch eine Spur dreckiger als auf den Alben interpretiert. Heute sind wieder nur 20.000 zahlende Besucher auf dem Gelände, außerdem tut die schon angesprochene Überschneidung mit ACCEPT ihr Übriges. Trotzdem dürften einige, die heute da sind, auch im November wieder kommen, wenn es für EPICA auf Europa-Tour geht und noch mehr Hits zum Zug kommen.

 

Setlist EPICA

[Originem]

The Second Stone

The Essence Of Silence

Sensorium

Unleashed

Storm The Sorrow

Victims Of Contingency

Unchain Utopia

Consign To Oblivion

 

5FDP Rock im Revier 2015Auf der Big Stage in der Veltins Arena beträgt die Verzögerung mittlerweile nur noch eine Viertelstunde, die Roadies haben in den beiden Umbaupausen vor und nach ACCEPT ganze Arbeit geleistet. Um 18 Uhr steht alles für FIVE FINGER DEATH PUNCH bereit, die den Altersschnitt auf der Hauptbühne deutlich nach unten ziehen. Ein Grund für ihre Buchung zu dieser Uhrzeit und auf dieser Bühne sind JUDAS PRIEST, die mit der Verpflichtung für den ersten Teil ihrer Europa-Tour die Band geadelt haben und auch auf Festivals nicht auf ihre Dienste verzichten wollen. Der Tourauftakt in München und Gelsenkirchen gelingt 5FDP fabelhaft, was man nach den Nachrichten über eine abgebrochene Show in den Staaten und sich daran anschließende Auflösungsgerüchte nicht unbedingt erwarten konnte. Ivan Moody & co. zeigen sich von dem Vorfall völlig unbeeindruckt und überzeugen mit einem hitlastigen Set und einer energiegeladenen, fannahen Performance, für die die für KISS nach vorne hin erweiterte Bühne fast schon zu klein ist. Moody tauscht sein 5FDP-Jersey gegen ein Rock im Revier-Short und wirft unentwegt Wasserflaschen, Pleks und andere begehrte Gegenstände in den für die Tageszeit, die Gesamtauslastung und das Publikum gut gefüllten und exzellent gelaunten ersten Wellenbrecher. Die Zuschauer quittieren die Bemühungen mit einer regen Beteiligung an den Mitsingspielchen, die die Band immer wieder einstreut. Und als wäre das noch nicht genug, geht bei ‚Burn MF‘ für vier kleine und große Fans ein Traum in Erfüllung als Mr. Moody sie aus der ersten Reihe auf die Bühne holen lässt.

Wer die Band nur aus ihren Anfangstagen kennt, der wird sich den zahlreichen Hits des einstündigen Sets überrascht zeigen, denn dem auf Krawall gebürsteten Groove Metal der ersten Alben haben 5FDP durchgehend poppige Songs wie ‚Hard To See‘ und Balladeskes wie ‚Remember Everything‘ an die Seite gestellt. Letzteres wird heute in der Akustik-Version präsentiert und sorgt für Gänsehaut, auch wenn das Ding sowohl lyrisch als auch musikalisch eine Spur zu platt daherkommt. Mit dem schon angesprochenen ‚Burn MF‘, ‚Lift Me Up‘ (für das Rob Halford, der auf dem Album als Gastsänger zu hören ist, leider nicht auf die Bühne kommt) und ‚Here To Die‘ stehen gleich drei Songs vom aktuellen Doppelalbum ‚The Wrong Side Of Heaven And The Righteous Side Of Hell‘ auf dem Programm, die für Radioverhältnisse relativ hart klingen, auf deren Konten aber zusammen mehrere 10 Millionen Klicks auf den bekannten Internetplattformen gehen. Das liegt auch an der Stimme von Ivan Moody, die Hardcore und Melodie mit einer einmaligen Klangfärbung verbindet. Für die vielen alten Hasen haben die Amis ihre eigene Version von ‚Bad Company‘ im Set und der Song der gleichnamigen Band macht sich gut im Death Punch-Look. Am Ende steht eine Show, die trotz der deutlichen Ausrichtung in Richtung Radioairplay überzeugen kann, weil die Band auf der Bühne unermüdlich arbeitet, sympathische Aktionen startet und ziemlich gut klingt. Hinter der Musik und den Entscheidungen der Musiker muss man nicht stehen, aber man muss neidlos anerkennen, dass 5FDP zurecht zu den größten Bands des modernen Metals gehören, weil sie mit ihren Hits auf den großen Bühnen bestehen können und eines Tages vielleicht eine der wenigen sind, die ein Stadion wie die Veltins Arena füllen können. Das Publikum bedankt sich, während aus der Konserve eine eingedeathpunchte Version von ‚The House Of The Rising Sun‘ eingespielt wird, mit viel Applaus für ein richtiges gutes Konzert.

 

Setlist Five Finger Death Punch © www.Rock-im-Revier.de

 

Im Anschluss kann die Verzögerung auf der Big Stage nicht mehr weiter aufgeholt werden, dafür ist der Respekt für die folgenden Urgesteine zu groß, deren Sound und Sicherheit stehen im Vordergrund. JUDAS PRIEST haben für ihre Tour ein Setting gewählt, das an traditionelle Bühnenaufbauten im Stile IRON MAIDENs angelehnt ist. Die Band wird von zwei Meter hohen Wänden eingekesselt und Drummer Scott Travis thront etwas erhöht im Hintergrund über dem Geschehen. Diese Wände stellen trotz althergebrachter Anordnung ein Spiel mit der Moderne dar, weil sie die Amps durch implementierte Videoprojektionen verdecken. Zu jedem Song wird nicht nur das Cover der dazugehörigen Scheibe gezeigt, es gibt auch jeweils ein Videokonzept zu sehen. Das hat die Band musikalisch eigentlich nicht nötig, an der Performance ist jedoch zu erkennen, dass vier der fünf Herren schon deutlich in die Jahre gekommen sind.

Von der „alten Garde“ weist Scott Travis noch am wenigsten Verschleißerscheinungen auf: Das anspruchsvolle ‚Painkiller-Intro‘ bekommt der 53-jährige Schlagzeuger jedenfalls noch unfallfrei hin und auch sonst trommelt er sich souverän durch 75 Minuten JUDAS PRIEST-Geschichte. Das Saitenduo gebildet von Glenn Tipton (Gitarre, 67) und dem einzigen, noch aktiven Gründungsmitglied Ian Hill (Bass, 64) ist hingegen spürbar gealtert und erinnert daran, dass sich JUDAS PRIEST vor Kurzem eigentlich noch auf Abschiedstour befanden. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Die beiden Musiker spielen immer noch auf höchstem Niveau und Tipton hat die legendären Gitarrenspuren immer noch drauf. Dass in diesem Alter aber Agilität und Luft fehlen, um auch noch die Bühne voll und ganz auszufüllen, ist verständlich. Neues Leben hat den Briten Neu-Gitarrist Richie Faulkner, 35, eingehaucht, der 2011 den Job vom eigentlich unersetzlichen K.K. Downing übernahm und sich seitdem mindestens als würdiger Nachfolger präsentiert. Zudem eignet er sich mit seiner gestenreichen Performance als Animateur der Massen, den das groß angelegte, hymnische Material braucht und fordert. Diese Rolle bekommt Rob Halford nicht mehr in Gänze ausgefüllt, auch wenn er zwischenzeitlich mit dem Motorrad reingefahren kommt, mehrere Kostümwechsel vornimmt und mit 63 Jahren noch auf die Knie geht.

Bekannt ist auch, dass der Metalgod schon lange nicht mehr ohne die Telepromtertechnologie auskommt. Besonders die neuen Songs sitzen überhaupt nicht, weswegen Halford mit Sonnenbrille und gebücktem Gang versucht die Hilfestellung zu vertuschen. Gleich drei Stücke vom nicht mehr für möglich gehaltenen, aber recht durchschnittlichen neuen Album „Redeemer Of Souls“ kommen in der Show unter, überzeugen können der Titeltrack, ‚Dragonaut‘ und ‚Halls Of Valhalla‘ aber nicht. Zu den wenig spektakulären Kompositionen gesellt sich live die viel zu laut abgemischte Bassdrum, die später noch so manch ein Weltklasseriff des Bandkatalogs verschluckt. Die Maßnahme soll wohl dazu dienen dem größtenteils im Midtempo verhafteten Set eine besondere Durchschlagskraft zu verleihen, ist aber schlicht zu viel des Guten. JUDAS PRIEST und Drums, das ist ja ohnehin ein ganz eigenes Kapitel in der Metalgeschichte…

An vielen Stellen kann die Co-Headliner-Show aber ohne Zweifel überzeugen. Die Twin-Gitarren-Duelle zwischen Tipton und Faulkner wecken Erinnerungen an die guten, alten Zeiten und sorgen auch heute noch für Gänsehaut. Der gerade als – böse gesagt – hüftsteif bezeichnete Rob Halford ist zu Beginn der Tour stimmlich in Topform und singt sich an den bekannten Stellen die Seele aus dem Leib, ‚Painkiller‘ klingt aber logischerweise nicht mehr so perfekt wie vor 25 Jahren. An seinem gekonnten Spiel mit den Klischees und den Entertainer-Qualitäten des Briten bestehen sowieso keine Zweifel. In der Setlist, die sowieso nicht genügend Platz für alle Hits der Priest-Karriere hat, reiht sich abwechslungsreich Highlight an Highlight, wirklich textsicher zeigen sich die Zuschauer erst ab ‚Breaking The Law‘. Die Stimmung ist generell nicht so gut, auf den Tribünen sitzen fast alle, außerdem scheinen viele Besucher trotz ihrer KISS-Vorliebe nicht mit dem Heavy Metal britischer Prägung vertraut zu sein. Dementsprechend ernüchternd fallen die Mitsingpassagen aus, in der die Band gänzlich auf eigenen Gesang verzichtet. Insgesamt hinterlässt der Auftritt trotz unbestreitbarer Vorzüge ein komisches Gefühl zwischen „schön, die Nummern noch mal gehört zu haben“ und „vielleicht wäre ein sauberer Abschied doch die bessere Alternative gewesen“. Wenigstens haben es JUDAS PRIEST zum Ende ihrer langen Karriere doch noch geschafft zum ersten Mal in Gelsenkirchen aufzutreten und zum Abschied die Gitarren zu kreuzen.

 

Setlist Judas Priest © www.Rock-im-Revier.de

 

Das führt nahtlos zu den wichtigsten Fragen über das Fortbestehen des Festivals: Ist das junge Triplett Rock im Revier/Rockavaria/Rock in Vienna mit seiner jetzigen Ausrichtung überhaupt zukunftsfähig? Wie lange sind Bands wie KISS, JUDAS PRIEST, METALLICA, FAITH NO MORE und ACCEPT überhaupt noch im Geschäft? Sind nächstes Jahr drei ähnlich große Headliner verfügbar? Rücken in Zukunft noch Bands in die Liga der Stadionacts auf? Die Show von KISS gibt da einige Antworten, auch zur diesjährigen Ausgabe.

Wie gestern sind nur etwa 20.000 da, um die Show des Headliners zu sehen, die sich mit der von AIRBOURNE empfindlich schneidet. Eine Vorverlegung wie bei LIMP BIZKIT war aufgrund des engen Zeitplans lange nicht möglich, die Absage von DR. LIVING DEAD! kam für eine Umdisponierung zu kurzfristig. Der Altersschnitt ist heute auch vor der Bühne deutlich höher als an den anderen Tagen, was für die Tageskartenthese spricht. Aber es ist egal, ob man die nun folgende Show schon zehn Mal gesehen hat oder die persönliche Premiere ansteht, jeder weiß, worauf er sich eingelassen hat. Jeder kennt die Show des ikonischen Quartetts, weiß über die Länge von Gene Simmons Zunge Bescheid und erwartet einen explosiven, größenwahnsinnigen Auftritt. Vielleicht liegt es auch daran, dass die Amis heute nicht gänzlich überzeugen können.

„Larger Than Life“ ist das Stichwort, vor einem nicht mal zur Hälfte gefüllten Stadion will der Spruch aber nicht mehr wirklich greifen. Es passt, dass Gene Simons heute mächtig ins Schwitzen kommt und sein Makeup zu verschmieren droht. Der Lack ist zwar noch nicht ab, dafür ist die Show viel zu professionell (am Rand stehen KISS-Cases aus Japan, Brasilien und vielen anderen Ländern) und gekonnt in Szene gesetzt, aber es fehlt der Überraschungseffekt. Pyrotechnik hat heutzutage jede große Band im Gepäck, die Feuerspuckaktion von Gene Simmons während ‚War Machine‘ geht viel zu kurz und sein Basssolo inklusive Blutspucken und an-die-Decke-Fliegen kennt jedes Kind. KISS sind zweifelsohne Legenden und Pioniere in ihrem Fach, aber ob sie anno 2015 noch gebraucht werden, daran darf man zweifeln.

Mühe aktuell zu bleiben gibt sich das Quartett aber noch: Seit 2009 haben KISS mit „Sonic Boom“ und „Monster“ zwei neue Alben veröffentlicht, auf denen sogar der eine oder andere gute Song zu finden ist. Statt ‚Modern Day Delilah‘ aus dem ersten wird heute das eher mäßige ‚Hell Or Hallelujah‘ aus dem zweiten der genannten Platten zum Besten gegeben, das zusammen mit ‚Calling Dr. Love‘ von „Rock And Roll All Over“ in der Mitte des Sets für einen Durchhänger sorgt. Ansonsten gibt es Hits über Hits, die bei einem richtig guten Sound auch heute noch zu glänzen wissen. Vor allem die Basslines von Gene Simmons sind gut zu hören und zeigen, dass sich hinter der bunten KISS-Fassade richtig gute Musiker stehen. Im Vergleich zur letzten KISS-Festivalshow in Deutschland bei Rock am Ring/Rock im Park fällt die Aufmachung sogar etwas zurückhaltender auf, denn zu Beginn sind nur das emporgefahrene Schlagzeug und die darin beherbergten Pyroeffekte wirklich außergewöhnlich. Die Saitenfraktion kommt weder reingefahren noch –geflogen, sondern steht einfach auf der Bühne, außerdem gibt es heute statt über zwei Stunden lediglich 90 Minuten für die feiernde KISS-Army. Paul Stanley ist wie schon seit mindestens zehn Jahren nicht mehr wirklich gut bei Stimme, weswegen die von Gene Simmons und Drummer Eric Singer gesungenen Stücke in dieser Disziplin die Nase klar vorne haben. Dafür tanzt Paul locker über die Bühne, setzt sich einige Male an den Rand ebendieser und legt sich sogar einmal gitarrespielend auf den Boden. In Topform ist Tommy Thayer, dem jedes Gitarrensolo gelingt und der mit seiner funkensprühenden Gitarre neben den großen Egos von Simmons und Stanley kurz scheinen darf. Wenn es ums Animieren geht, kann die Band ebenfalls überzeugen: Das Publikum frisst ihnen aus der Hand und reagiert auf jede Geste der Band mit tosendem Beifall. Nur als Paul Stanley ankündigt, dass er gerne in Deutschland und in Düsseldorf ist, stutzen die Fans ein wenig. Halbwegs die Kurve bekommt er, als er doch noch Gelsenkirchen nennt und die ganze „Düsseldorf-Area“ als eine Familie lobt. Das passiert, wenn man nach 40 Karrierejahren zum ersten Mal in der Schalker Heimat auftritt.

Als KISS um kurz nach 23 Uhr das Konzert mit einem von ‚Rock And Roll All Nite‘ gekrönten, starken Zugabenblock von der Bühne gehen, hat die Show trotz all des Pomps und der Booms keinen großen Eindruck hinterlassen. Mit dem Wissen um das Stargehabe der Musiker und den Millionenumfang des Unternehmens KISS wirkt die ganze Tourmaschinerie wie ein kalkuliertes Produkt, das ohne Frage abliefert, aber keine neuen Akzente mehr zu setzen weiß. Simmons und Stanley haben ihrerseits schon das Rentenalter erreicht, bemalen sich aber immer noch und zwängen sich in die gleichen Kostüme wie vor 30 Jahren. Da hilft es auch nicht, dass zu Beginn google earth genutzt wird, um auf den Veranstaltungsort zu zoomen und der Aufruf Stanleys ein Selfie zu machen und es auf seiner Twitter-Seite zu posten ist nicht viel mehr als ein liebloser Gag, um die Marke KISS im Gedächtnis zu halten. Von einer Persiflage zu sprechen, ist trotz all der ausgelutschten Rockstargesten vielleicht zu hoch gegriffen, aber ob sie von der heutigen Jugend tatsächlich noch ernst genommen oder gar bewundert werden, ist mehr als fraglich. KISS scheinen ganz im Gegenteil zu BLACK SABBATH und IRON MAIDEN mit ihrem Publikum zu altern und vielleicht ist nun bald die Zeit gekommen Abschied zu nehmen. Den richtigen Zeitpunkt haben die Vier zwar schon verpasst, aber vielleicht können sie sich trotzdem noch ein wenig Ehre bewahren.

 

 Setlist KISS © www.Rock-im-Revier.de

 


Zwar spielen auf der Bang Stage gerade noch SICK OF IT ALL, für die meisten Besucher ist die Show von KISS aber der Schlusspunkt für den heutigen Tag und damit für das gesamte Festival. Schlussendlich geben sich die Veranstalter mit dem Debüt ihres neuen Festivals zufrieden, insgesamt haben 43.000 ein Ticket für Rock im Revier erstanden. Die Frage nach der Verteilung auf Tages- und Wochenend-Tickets bleibt aber ebenso ungeklärt wie die nach den Konditionen, zu denen sie gekauft wurden. Zwischenzeitlich gab es die Tagestickets durch diverse Rabattaktionen zwischen 60€ und 40€, wie viel Geld also eingenommen wurde, ist schwer zu sagen. Die Planungen für das nächste Jahr werden sich am kalkulierten und letztendlich eingetroffenen Minus orientieren. Betrachtet man die Auslastung des Geländes und die vorherrschende Stimmung an den drei Tagen, fällt es schwer am Fortbestehen des Konzept zu glauben. Mit IRON MAIDEN und BLACK SABBATH im Paket könnte es vielleicht noch klappen relativ viele und relativ alte Metalfans nach Gelsenkirchen zu locken, die dazu bereit wären, einen dritten Tag der Marke MUSE zu tragen.

Wahrscheinlicher ist es, dass 2016 wieder die Konkurrenzsituation mit Rock am Ring gesucht wird. Das dürfte ein ebenso schwieriges Unterfangen darstellen, da die erste Ausgabe in Mendig alle Erwartungen übertroffen hat. Die Zahl der Headliner wird außerdem nicht größer und so wird man sich vermutlich wieder einmal eine millionenschwere Schlacht liefern, bei der auch andere deutsche Player wieder ein paar Blutspritzen abbekommen könnten. Außerdem müssen für ein echtes Festivalerlebnis mit drei Bühnen einige Veränderungen her, wie z.B. ein sich näher zum Standort befindliches Camping und kürzere Wege, die durchaus möglich sind. Erst mal werden die Veranstalter aber froh sein, dass sie Rock im Revier über die Bühne gebracht und insgesamt ein gutes Line-Up zusammenbekommen haben, das durchweg professionell aufgetreten ist. Nur bei der Auswahl selbst könnte es im nächsten Jahr ein bisschen aktueller zugehen, dann könnte es ähnlich wie bei Rockavaria und Rock in Vienna deutlich besser laufen, obwohl die Fans dort aber auch weniger Probleme haben den üppigen Ticketpreis zu berappen.

 

FAZIT: Der Abschlusstag widmet sich hauptsächlich mit den traditionellen Metal- und Rockspielarten und kann damit auch nur etwa 20.000 Zuschauer locken. Es ist zwar eine schöne Idee an jedem Tag jede einzelne Bühne thematisch auszurichten, es scheinen sich aber nur Wenige zu finden, die an allen drei Tagen mit einer glücklich werden und vor Ort sind. Heute ist das Publikum älter als an den beiden vorangegangenen Tagen, was für einen großen Tageskartenabsatz spricht. Die Verspätung von HELLYEAH und die Absage von DR. LIVING DEAD! sorgen für veränderte Spielpläne, auf die die Veranstalter jedoch gut reagieren. Zum erstaunlich bodenständigen Auftreten BEYOND THE BLACKs und die etwas größer angelegte, richtig starke Show von EPICA gesellt sich mit FIVE FINGER DEATH PUNCH eine Band, die sich tatsächlich zur größten Metalband der neueren Zeit entwickeln könnte. Das Kontrastprogramm heißt JUDAS PRIEST und KISS und zeigt, dass das Stadionkonzept von Rock im Revier kein wirklich zukunftsträchtiges ist. Die Shows gehen in Ordnung, aber dass die Musiker zum Teil schon das Rentenalter erreicht haben und die Ideen hinter den Bands schon Jahrzehnte alt sind, merkt man ihren Auftritten an. Da neben MUSE kaum eine jüngere Band den Sprung in Stadion wagt und LINKIN PARK zum Rock am Ring-Inventar gehören, müssen mittel- und vielleicht sogar kurzfristig andere Konzepte ausgearbeitet werden, um den ArenaPark angemessen und gewinnbringend zu füllen. Aber vielleicht schafft es Rock im Revier ja mit der nötigen Kurskorrektur eine Marktlücke für große Musikfestivals im Ruhrgebiet zu füllen. Das würde nicht nur der Stadt Gelsenkirchen, sondern der ganze Region gut zu Gesicht stehen.

Norman R. (Info)

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