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Klaus der Geiger: Von allen Seiten (Review)

Artist:

Klaus der Geiger

Klaus der Geiger: Von allen Seiten
Album:

Von allen Seiten

Medium: CD
Stil:

Gegeigter linker Liedermacher-Rock

Label: Westpark Music
Spieldauer: 77:00
Erschienen: 26.08.2011
Website: [Link]

Es gibt auch eine Zeit nach FLOH DE COLOGNE, als mit krautrockigen Rhythmen und extrem linksorientierten politischen Texten auf die Missstände in einem Land hingewiesen wurde, das sich so liberal, christlich und freiheitlich gibt, das einem schlecht werden kann, wenn man einfach mal die Augen und Ohren für diejenigen öffnet, die bei solcher Orientierung durchs soziale Raster fallen oder daran glauben, dass sich Moral und Politik auch mal ergänzen könnten.

KLAUS DER GEIGER verleiht nunmehr als der „berühmteste Straßenmusiker Deutschlands“ nach FLOH DE COLOGNE den „deutschen Außenseitern“ seine Stimme und geigt den selbstzufriedenen Machttypen, die in Wirtschaft und Politik das Sagen haben, ordentlich ein. Schon wer einen Blick auf KLAUS DEN GEIGER wirft, der in seinem „gutbürgerlichen“ Namen auch (verflucht) noch (mal) ein „von“ trägt (Klaus von Wrochem), der glaubt sich in das Märchen vom „Rumpelstilzchen“ versetzt, das gerade ums Feuer herumtänzelt, um sich mit Gott und der adeligen Welt anzulegen. Wohl nicht umsonst hat sich der über Sechzigjährige in diesem Sinne den Ruf des bekanntesten deutschen Straßenmusikers, der hauptsächlich in Köln sein „Unwesen“ treibt, verdient.

KLAUS DER GEIGER ist Unikum und musikalisches Unikat zugleich, der mit seinen moralischen Normen den allmächtigen Machern dieses Landes, deren einzige Ideologie auf dem Markt und dem Geld beruht, gehörig über ihre klugschwätzerische Fresse fährt. So ist sein Grundsatz auch ohne jegliche Umschweife auf der Homepage dieses musikalischen Atomkraft-, Nazi- und Ungerechtigkeit-Gegners zu lesen: „Geld regiert die Welt: Diese Perversion wird uns wohl noch lange beschäftigen! Will sagen: es gibt viel zu tun, im Kleinen wie im Großen.“

Und wie das Kleine oder Große klingt, kann derjenige, der sich wenigstens noch ein wenig revolutionäre Gedanken macht und sich noch nicht völlig im sanften Ruhekissen aller Verführungen der westlichen Welt niedergelassen hat, auf „Von allen Seiten“ hören. Doch nicht nur das – vielleicht aus Angst vor Missverständnissen gibt KLAUS DER GEIGER in dem anspruchsvoll gestalteten Digi-Pack gleich zu jedem Song noch einen persönlichen Kurzkommentar ab.

Stellen wir uns einfach mal vor, wir schlendern an einem sonnigen Tag gemeinsam mit einer illusteren Touristenschar durch Köln, nachdem wir den Kölner Dom samt seiner göttlichen Allmacht und wortwörtlichen Größe bewundert haben, und treffen mitten auf einer Kölner Straße plötzlich auf einen singenden und geigenden Verrückten in Latzhose, der uns schneller, als es uns in diesem Moment lieb ist, auf den Boden der unangenehmen weltlichen Tatsachen zurückholt. Er macht das nicht mit gottesfürchtigen oder bildhaften Texten, sondern mit musikalischen Schmähschriften, ähnlich wie ein Luther, der gerade seine Thesen auspackt, um sie an die Kirchentür zu nageln und allen Gutgläubigen damit die Augen und besonders das Hirn öffnen will. Wer sich darauf knapp 80 Minuten lang einlassen möchte, der hat trotz aller bissigen Texte sehr viel Freude an der CD „Von allen Seiten“, auf der in unterschiedlicher Klangqualität bis dato unveröffentlichte Aufnahmen der letzten 15 Jahre aus des „Künstlers Privatschatulle“ zusammengestellt sind. Begleitet wird unser geigender Tausendsassa dabei von einer Schar professioneller und namhafter Musiker, wie beispielsweise der WDR BIG BAND, der KÖLNER SAXOPHON MAFIA, KOZMIC BLUE, FARFARELLO oder seiner eigenen Band RUKI WERCH und MAXIMUM TERZETT.

Textlich und musikalisch passiert auf „Von allen Seiten“ eine ganze Menge.
Nachdem recht radikal auf dem ersten Song mit der Politik und der Wirtschaft abgerechnet wird und neue „Montagsdemos“ als Widerstand gegen Hartz, Ackermann usw. gefordert werden, lässt sich unser textender Geiger auf „Erde, wir sind deine Kinder“ vom Jungen Orchester der Musikschule begleiten und singt in dem Song seine „Ode an die Freiheit“ und gegen Grenzen sowie die „Stempel im Kopf und in den Pässen“. Die Bitte eines alten Menschen, nicht ins Heim gesteckt zu werden, wird dann mit der BEATLES-Melodie von „When I'm 64“ eingegeigt. „Wann geht der Himmel wieder auf“ ist ein HÖHNER-Stück, das KLAUS DER GEIGER zu einer Abrechnung mit dem in Deutschland grassierenden Einfluss der Nazis, die mit ihrer plumpen Ausländerfeindlichkeit nach wie vor Gehör erlangen, nutzt. Mit dem Siebenminüter „Nuages“ gibt’s dann das erste und zugleich einzige Instrumental zu hören, auf dem drei Geiger (KLAUS, MANNI NEUMANN & CHRISTOPH BROLL) mit ULLI BRAND von der Band FARFARELLO an der Gitarre gemeinsam improvisieren, ein kleiner Hauch Weltmusik inklusive. Eine wahre Entspannung nach all den nachdenklich machenden Texten. Fast etwas unpassend wirkt dann das folgende „Suff Suff Kiff Kiff“ vom Konzert für die Kölner Drogenhilfe, das zugleich eins der schwächsten Stücke auch vom Sound her ist. „Life is life“ folgt in der KLAUS-Version mit dem „philosophisch tiefgründigen“ Text „Zeit ist Geld“ - mit dabei die WDR-BIG-BAND. Weiter geht es mit dem Traditional „What Shall We Do With“ vorgetragen im Jahr 2010 bei der Anti-Nazi-Demo „Bunt statt Braun“ und der Aufforderung, der Krisenregierung sowie den „Merkel-Ferkeln“ den „Stinkefinger“ zu zeigen.

Gönnen wir uns hier erst einmal eine kurze Verschnaufpause – denn die erste Hälfte „Von allen Seiten“ ist so gesehen halbseitig abgearbeitet. Und die zweite Hälfte setzt all das fort, was uns die erste bereits bescherte. „Perverse Führer“ rechnet mit dem Irak-Krieg und religiösem Fanatismus ab. Bei „Drei Musikanten / Terroristen“ stellt KLAUS DER GEIGER ironisch seine „Terroristen“-Band RUKI WERCH (aus dem Russischen – Übersetzung: „Hände hoch“) unter Einbindung eines Kinderliedes vor und bei „Friede Freude Eierkuchen“ lässt er sich darüber aus, wie viele boshafte Auseinandersetzungen mit dem Begriff Frieden (z.B. Friedensmission statt Krieg usw.) verschleiert werden können. Bis zum Ende des Albums geht es nun ganz ähnlich weiter, jeder Text eine Absage gegen das etablierte deutsche Establishment und gleichermaßen ein Hilferuf nach Gerechtigkeit für diejenigen, den es dreckiger geht als denjenigen, die ihr gutbürgerliches Scherflein ins Trockene gebracht haben. Einzige Ausnahme „Computata Null“, ein Interview für das Bürgerradio Bielefeld aus dem Jahr 1998 plus einen improvisierten Song(text), der wirklich an die Grenzen des guten Geschmacks und darüber hinaus geht.

Nach all den Texten erscheint es dann fast sarkastisch, dass der letzte „Hit“ (Originalton KLAUS) des Albums „Leben ist schön“ heißt, wo wir doch die ganze Zeit hören durften, wie beschissen dieses Leben doch im Grunde ist. Allerdings wohl nur dann, wenn man nicht begreift, dass jeder seines Glückes Schmied ist und es doch einen breiten Spielraum gibt zwischen Den-sich-Vorbeugern, um in den Arsch eines Anderen zu kriechen oder Den-sich-Vorbeugern, um sich in den Arsch kriechen zu lassen. Am Ende ist das Leben wohl doch ein Kompromiss, so kompromisslos auch die Musik auf „Von allen Seiten“ eine gänzlich andere Botschaft zu vermitteln versucht.

Was ist das Album nun?
Violinen-Punk mit deutschen Texten – Liedermacher-Album mit aggressiver Geigenbegleitung – Linke Texte gehörig eingegeigt und mit rauer Stimme vorgetragen – eine neue Art von Polit-Rock: bärbeißige Texte treffen auf bösartige Geige, die davon träumt, genauso hart wie eine E-Gitarre zu klingen, auch wenn man sie dauernd streich(el)t!
Von allem etwas!

FAZIT: Was soll ich hier noch schreiben, wo es doch bereits eine herrliche Laudatio auf KLAUS DEN GEIGER nachzulesen gibt, die aus Anlass der RUTH-Verleihung für sein Lebenswerk von Mike Kamp gehalten wurde. Ich zitiere: „Der Mann ist ehrlich, der Mann ist geradeaus, der Mann ist glaubwürdig. Das spüren die Menschen, dass da keiner ist, der ihnen was verkaufen will. KLAUS DER GEIGER drechselt keine Lyrik, er macht keine Poesie, er singt im Klartext von einer herrschaftsfreien Welt... KLAUS DER GEIGER ist ein ehrlicher Musiker.“
Und „Von allen Seiten“ ist der lebendig klingende Beweis dafür – selbst für diejenigen, die sich mit seiner kompromisslosen „Ehrlichkeit“ nicht anfreunden können!

Thoralf Koß - Chefredakteur (Info) (Review 4628x gelesen, veröffentlicht am )

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  • 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
  • 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
  • 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
  • 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
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Tracklist:
  • Montagsdemo
  • Erde, wir sind deine Kinder
  • Steck mich nicht ins Heim
  • Wann geht der Himmel wieder auf
  • Nuages
  • Suff Suff Kiff Kiff
  • Zeit ist Geld
  • What Shall We Do With
  • Perverse Führer
  • Drei Musikanten / Terroristen
  • Friede Freude Eierkuchen
  • Nein, nein, wir wolln nicht eure Welt
  • Computata Null
  • Ach ich bin ein kleines Licht
  • Leben ist schön

Besetzung:

  • Gesang - Klaus der Geiger
  • Sonstige - Klaus der Geiger (Geige), Ruki Werch, Orchester der Musikschule Aachen, Mani Neumann, Christoph Broll, Ulli Brand, Maximum Terzett, WDR-Big-Band, Kozmic Blue, Kölner Saxophon Mafia

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