Musikreviews.de bei Facebook Musikreviews.de bei Twitter

Partner

Statistiken

Franka De Mille: Bridge The Roads (Review)

Artist:

Franka De Mille

Franka De Mille: Bridge The Roads
Album:

Bridge The Roads

Medium: CD
Stil:

Americana trifft mit Neofolk und Kammermusik auf melancholische Pop-Chansons

Label: Chi Wara Music / Soulfood
Spieldauer: 43:16
Erschienen: 29.03.2013
Website: [Link]

Mein erster Eindruck war Skepsis, als ich den Promo-Schuber von FRANKA DE MILLE in der Hand hielt und die drei Begleitblätter studierte, von denen zwei sich ausschließlich auf das Zitieren euphorischer Kritik-Auszüge aus anderen Musik-Magazinen beschränkten. Namhafte Magazine aus England, Polen, Belgien, Schweden, Australien und Kanada. Und alle kamen gemeinsam etwa auf folgenden Nenner: „Eine begnadete Sängerin, Texterin und Komponistin legt mit 'Bridge The Roads' ein außergewöhnliches Debüt-Album vor, das von akustischen, atmosphärischen, sehr emotionalen, leicht dramatischen Klängen lebt, die von Violine, Cello, Akkordeon, Flöte, akustischer Gitarre und Piano bestimmt werden. FRANKA DE MILLEs Lieder gehen unter die Haut, wobei Americana auf Kammermusik und Neo-Folk trifft.“

So weit, aber lange noch nicht so gut.
Denn es werden hier auch Vergleiche zutage gefördert, die bei jeder angenehm klingenden Frauenstimme im Rahmen anspruchsvoller pop-rockiger Musik immer wieder bemüht werden: TORI AMOS oder KATE BUSH oder PJ HARVEY. Oh nein, da kann ich einfach nicht mitgehen. Die Musik, die wir auf „Bridge The Roads“ zu hören bekommen, hat mit den Sängerinnen in etwa so viel zu tun, wie das Osterfest mit dem Winter, auch wenn uns die derzeitigen Wettererscheinungen in Deutschland einen völlig anderen Eindruck vermitteln und wir die zu versteckenden Ostereier wohl nur noch in die dicke Schneedecke werfen und keine Angst zu haben brauchen, dass die irgendwer bis zum nächsten Tauwetter findet.

Hätte ich mich jetzt im Stile unserer Ex-Bundesbildungs- und Forschungsministerin sowie im Glashaus sitzende Guttenberg-Verhöhnerin auf das Zitieren des geistigen Eigentums anderer Musikkritiker, die schon so viel über das Album geschrieben haben, das einem kaum was Neues oder Ergänzendes einzufallen scheint, beschränkt, dann könnte ich jetzt diese Kritik locker beenden. Aber das wäre nicht wirklich fair. Denn auch ich machte eine Entdeckung, die ich bisher nirgends gefunden habe und die mir beim Betrachten der Bilder und Videos von FRANKA DE MILLE sowie beim sehr intensiven Hören des Albums auffiel...

Die Musik ist kein Pop oder Rock, sondern hat einen sehr starken Bezug zum Chanson und auch die Intonation, in der De Mille ihren Gesang vorträgt, erinnerte mich, neben ihrer gesamten Erscheinung, an eine der wohl bekanntesten Chanson-Sängerinnen der 30er Jahre: EDITH PIAF. Auch wenn die Stimme von FRANKA DE MILLE höher und zerbrechlicher klingt, so ist ihr Gesangsstil deutlich an dem der Piaf angelehnt. De Mille besitzt die große kompositorische und gesangliche Gabe, einen Chanson zum tiefgründigen, melancholischen Pop-Song werden zu lassen, der die Welt zwar nicht besser, aber etwas trauriger und nachdenklicher macht!

Das beginnt bereits beim Cover des Albums, dessen Deutung FRANKA DE MILLE nicht ausschließlich dem Betrachter überlässt, vielleicht weil es viele gar nicht beachten – im Zeitalter des digitalen Downloads, der musikalische Oberflächlichkeit unterstützt und alles Andere als etwas Nebensächliches abstuft, obwohl es doch für das Gesamtkunstwerk eines gelungenen Musik-Albums so unglaublich wichtig ist. Darum schreibt diese begnadete Musikerin zu besagtem Cover, das eng mit dem gleichnamigen Song verbunden ist, dass der Titel die Hindernisse symbolisiert, die man im Laufe seines Lebens überwinden muss. Das Titelbild selber kann in vielerlei Hinsicht gedeutet werden: den menschlichen Zustand des Verwurzeltseins auf der Erde mit allen Kämpfen und Flüchten, oder Phoenix, der sich aus seiner eigenen Asche erhebt, genauso wie dunkle Kräfte sich in Kunst verwandeln können oder Geburt, Wiedergeburt und das himmlische Wesen des Menschen, das sich in seinen Musen verwirklicht. Doch egal, welchen Weg man einschlägt, alle auftauchenden Hindernisse dürfen uns nicht entmutigen, es gibt eben immer eine Brücke, die man bauen kann, um sie zu überwinden.

Bridge The Roads“ ist ein sehr eindringliches Album voller persönlicher Bezüge geworden, die in ihrer tiefen Intensität auch den Hörer sofort erreichen und oftmals ein wenig Bedrückung in ihm hinterlassen. Das liegt wohl daran, dass diese Musik-Brücke nicht über belebte Straßen führt, sondern auch schon mal in getragener Melancholie ertrinkt, die, hauptsächlich von Streichern bestimmt, traurig vor sich hinschwelgt. Doch das ist kein Wunder, denn die faszinierenden, sehr tiefgründigen und fast immer traurigen Texte, würden gar keine andere Vertonung zulassen.

Ein Album eben, das durch die inneren Welten von FRANKA DE MILLE reist. Welten, die wohl vorrangig zwischen zartem Grau und mondbeschienenen Blau variieren und in denen die Fenster fest verschlossen sind, sodass die Sonne bisher noch keinen Zutritt erhält. Gerade aus diesem Grunde ist auch ein Video der britischen Sängerin besonders beachtenswert, auf dem sie in Form eines Comics ihre Biografie bis hin zur Entstehung von „Bridges The Road“ veranschaulicht und uns, umrahmt von emotionaler Musik, Folgendes offenlegt, was ich hier in seiner Übersetzung auf keinen Fall verschweigen will, da es so unglaublich viel über diese charismatische Musikerin aussagt:

Während wohl ihre Eltern im Hintergrund streiten, beginnt das Video mit den Worten:
„Als Kind flüchtete ich in die Musik ...“
(Übrigens erfahren wir in De Milles Biographie, dass sie im Alter von 4 Jahren gefragt wurde, was sie sich zu Weihnachten wünsche – ein Pony oder eine E-Gitarre – war ihr Entschluss klar. Natürlich war es nicht das Pony! T.K.)
„... Mein kleines Herz war bevölkert von großartigen Liedern,
Lieder über Schwalben, die fortflogen ohne zurückzukehren,
Oder Hunde, die ihre eigene Spur verloren.
Ein Leben ohne Musik war für mich unvorstellbar -
Und nun, ein paar Jahre später,
Als ich auf dieses zerbrechliche Leben zurück blickte,
Erkannte ich, wie weit ich mich bereits von ihm entfernt hatte.
So verwirklichte ich mich in Liedern, die ich selber schrieb.
Die Musik wurde zu meiner zweiten Haut,
Eine schützende Kraft,
Durch die ich meine Innenwelt beleuchten konnte.
Es gibt kein größeres Wunder,
Als eine zweite Chance zu erhalten.
Jede Hoffnung,
Jede Leidenschaft,
Jeder Traum
Braucht seine Begleitmusik.
Und meine heißt 'Bridge The Roads' (Überbrücke die Straßen),
Das alles macht einzig und allein die Musik möglich.“

So sind also alle Songs auf diesem Debüt geprägt von autobiografischen Erfahrungen, die sehr ausführlich unter ihrer Homepage nachzulesen sind.

„Solo“ handelt beispielsweise von den barbarischen Tierversuchen aus „Schönheitszwecken“. Ein Thema, auf das De Mille beim Einkaufen von Weihnachtsgeschenken stieß, als eine Organisation mit Plakaten darauf aufmerksam machte.

In anderen Liedern greift De Mille ihre missglückten Liebschaften auf, egal, ob es in dem extrem an TEARS FOR FEARS' „Shout“ erinnernden Come On (Video) um einen selbstverliebten Narzissten oder in „You'll Never Know“ um einen arroganten Fatzken geht, der die in blinder Liebe Versunkene wie eine Dreijährige behandelt und eiskalt über sie zu bestimmen und ihr Leben zu gestalten versucht, ohne je auf ihre Wünsche Rücksicht zu nehmen.

Dagegen spielt in zwei aufeinander folgenden Titeln ein anderer Mann eine sehr bedeutende Rolle – der Vater von De Mille. In „Gare Du Nord“ geht es darum, dass die Sängerin ihre Schwester, zu der sie keinen Kontakt mehr hatte, wiedertrifft, als ihr Vater schwer erkrankte.

Der aber persönlich bedrückendste und zugleich bewegendste Song ist „Birds“. Auch hier geht es um De Milles Vater, den sie zwei Jahre lang betrauert, weil sie beobachten und miterleben muss, wie er langsam von einer Krankheit zerfressen wird. Während ihr Vater vor ihren Augen langsam zerfiel, spürte sie aber eine immer stärkere Angst davor, dass dieser von ihr so geliebte Mann bald sterben müsste. Eine gänzlich unerträgliche Situation, aus der die Sängerin keinen Ausweg zu finden schien. Nach zwei Tagen ohne Schlaf erlebte sie aber etwas, was ihr bis dahin nur aus der Lehre der Schamanen bekannt war und sie versuchte, diese Lehre für sich im Umgang mit dem Sterben ihres Vaters anzuwenden: nämlich dass die Seele, der Geist ihres Vaters, in die Natur übertrat. Damit verwirklichte sich das, was zuvor ihr Vater war, in dem, was sie, seine Tochter, umgab – und endlich konnte die kleine Franka ihren geliebten Vater loslassen. Das Experiment mit dem Schamanismus war gelungen, ihr Vater war in und um ihr, auch wenn sie seinen Körper begraben musste.

FAZIT: Diese Geschichten und diese Musik beweisen, dass FRANKA DE MILLE mehr im Chanson als in der Pop-Musik verwurzelt ist. Eine Liedermacherin eben, die ihre Texte mit melodramatischer Musik unterlegt und ihre kleinen Geschichten, die ihr eigenes Leben schrieb, mit einer eindringlichen Stimme vorträgt, die zwischen den Musik-Welten einer Chanceuse mit bewegenden, lyrischen Texten, wie EDITH PIAF, einer melancholisch ergreifenden SOPHIE ZELMANI und einer kompositorisch so einfallsreichen PATTI SMITH hin- und herschwebt. Wer bereit ist, sich auf dieser Reise, ähnlich wie die Seelen-Vögel der Schamanen, mitnehmen zu lassen, der wird ein großes Glücksgefühl verspüren, wenn sich die Musik von „Bridge The Roads“ mit der Seele des Hörers vereint!

Thoralf Koß - Chefredakteur (Info) (Review 6178x gelesen, veröffentlicht am )

Unser Wertungssystem:
  • 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
  • 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
  • 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
  • 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
  • 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
  • 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
[Schliessen]
Wertung: 13 von 15 Punkten [?]
13 Punkte
Kommentar schreiben
Tracklist:
  • Come On
  • Fallen
  • Solo
  • Gare Du Nord
  • Birds
  • You'll Never Know
  • So Long
  • Oh My
  • Bridge The Roads
  • Gare Du Nord – Unplugged

Besetzung:

Alle Reviews dieser Band:

Interviews:
  • keine Interviews
Kommentare
V
gepostet am: 13.05.2013

User-Wertung:
15 Punkte

It is a big pleasure to read reviews written by people who really care for details, who not only listen to CDs carefully, but also search for stories that are behind lyrics, read biographies, try to understand musicians' emotions. Unfortunately it is not a standard nowadays, although it is easier to find such details in the era of the Internet...
Well-done! Thanks! :))
Piotr
gepostet am: 14.05.2013

User-Wertung:
15 Punkte

Hi Thoralf :) Thank you for so honest and full review Bridge The Roads. The acquaintance of the music Franka de Mille it is visible in every written word. It is the great rareness nowadays. Thank you once again :)
(-1 bedeutet, ich gebe keine Wertung ab)
Benachrichtige mich per Mail bei weiteren Kommentaren zu diesem Album.
Deine Mailadresse
(optional)

Hinweis: Diese Adresse wird nur für Benachrichtigungen bei neuen Kommentaren zu diesem Album benutzt. Sie wird nicht an Dritte weitergegeben und nicht veröffentlicht. Dieser Service ist jederzeit abbestellbar.

Captcha-Frage Was kommt aus dem Wasserhahn?

Grob persönlich beleidigende Kommentare werden gelöscht!