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Null: Hallo Boden - Buch plus musikalischer Download-Link (Review)

Artist:

Null

Null: Hallo Boden - Buch plus musikalischer Download-Link
Album:

Hallo Boden - Buch plus musikalischer Download-Link

Medium: Buch/Download
Stil:

Progressiv vertonte Musik- und Buch-Kunst

Label: QuintenQuanten
Spieldauer: 41:56 + 185 Seiten
Erschienen: 01.08.2015
Website: [Link]

Niemals sollte man eine Kritik zu einem Musiker oder Autoren mit einem „Ich“ beginnen, aber in diesem Falle macht es Sinn - also:
Ich liebe sie, diese ungewöhnlichen Projekte von ungewöhnlichen Künstlern, die ihre Kunst in verschiedenen Genres verwirklichen und sich dann sogar noch so wenig wichtig nehmen, dass sie sich für ihr Projekt den Namen NULL verpassen!!! Voraussetzung dabei ist aber, dass sie in den künstlerischen Gefilden, in denen sie sich bewegen, auch wirklich etwas drauf haben ... und NULL - alias JOHANNES MOLZ - hat es drauf!

NULLs Idee bestand anfangs wohl darin, in völliger Eigeninitiative ein Album samt textlichem Konzept einzuspielen, das sich nicht nur gewagt im Progressiven Rock und ein paar lautstarken Metal-Landschaften bewegt, sondern auch noch auf die von vielen Prog-Puristen so verpönte Muttersprache Deutsch zurückgreift. Ziemliche Scheiße für diejenigen also, welche als Prog-Heads nur ihre Ohren öffnen und den Geist abschalten, weil Texte doch sowieso „überflüssiges Beiwerk“ sind.
Und dann auch noch deutsche Texte!
Was traut sich diese NULL denn da?
Vielleicht versteht man sogar mal ein paar Wortfetzen, wo die Worte doch so gar nicht wichtig sind. Wer so oder ähnlich denkt, sollte unbedingt seine Finger von „Hallo Boden“ lassen, weiterhin seinen Ohrenschmalz pflegen und die Synapsen seines Hirns mit hochprozentigen Lustigmachern und irgendwelchen Qualmwölkchen zuteeren. Denn neben der „Schwesteralbum“-Musik von „Hallo Boden“ gibt‘s auch noch ein Brüderchen namens Buch dazu.
185 Seiten, denen TERRY PRATCHETTs Scheibenwelt-Romane die Richtung mit vorgegeben haben. Nicht umsonst lautet die letzte Widmung in „Hallo Boden“: „Rest in Peace, Terry.“

Doch lassen wir in dieser Beziehung am besten NULL einmal selber zu Wort kommen, der auf meine Nachfrage sofort sehr informativ und umfangreich reagierte. Und was er zu sagen hat, ist nicht nur in seinem Buch bedeutungs- und sinnvoll, sondern offensichtlich auch für sein eigenes Leben:
„Terry, oh Boy. Terry Pratchett ist der wichtigste Schreiber meiner Jugend, und eigentlich sogar in meinem Leben. Klar gibt‘s da Hunderte, die wichtig sind, aber Terry sticht schon raus. Den lese ich seit ich 12 bin, und zwar immer und immer wieder.
Wegen ihm hab‘ ich Englisch studiert und promoviere jetzt sogar über ihn. Die ruhige, gutmütige Weisheit und der warme Blick auf die Unzulänglichkeiten von uns allen ist und bleibt ein Rückzugsort für mich, auch wenn er jetzt nicht mehr lebt. Und der Bezug ist deswegen drin, weil er ausgerechnet zu dem Zeitpunkt gestorben ist, als ich ENDLICH mein erstes eigenes Buch rausbringe.
Ich versuch nicht unbedingt seinen Duktus zu treffen, wenn das passiert, ist es Zufall oder Lesegewohnheit; was ich aber tatsächlich versuche, ist ein bisschen mehr als eine Ablaufbeschreibung zu machen, sondern auch mal im Vorbeilaufen ein paar tiefere Themen anzusprechen. Da orientiere ich mich tatsächlich an dem guten Mann. Und Douglas Adams. Rushdie. Fry. Pynchon. Wallace. Moers. Gaiman. Die ganzen guten Leute halt.
Und wenn ich jetzt noch 20 Jahre schreibe, kommt vielleicht mal was raus, das da ein kleines bisschen hineinschmecken kann.
Im Moment bin ich noch selber überrascht, dass das so schnell ging mit dem Buch.“

Schicksalhaft wie ein aufleuchtender „Crazy Diamond“ starb der Vater aller „Scheibenwelt“-Romane, der zuvor acht Jahre an Alzheimer litt, am 12. März 2015, als Album und Buch noch in den allerletzten Zügen lagen. So gesehen hauchte der Eine seinen letzten Atemzug am 12. März 2015 aus, während ein Anderer schon eine erste intensive Erinnerung am 1. August 2015 an ihn gebar.
Das klingt vielleicht alles etwas seltsam - aber wer sich auf die Musik wie das Buch „Hallo Boden“ einlässt, der muss einen tiefen Sinn für Seltsames haben, außerdem mit Ironie und Sarkasmus leben sowie sich schrecklichsten Horror-Visionen stellen können und sich selbst nicht zu ernst nehmen.
Seit ihr reif für dieses Buch und diese Musik?
Wenn ja, dann macht euch auf etwas gefasst, was ihr garantiert nach dem Lesen von Hallo-Bruder 185 Seiten und Boden-Schwester 7 Songs nicht mehr vergessen werdet.

Natürlich sollte man bei einer Buch-Musik-Kritik nicht zu viel vorwegnehmen, aber das kann ich übrigens auch getrost dem musikalischen Autoren bzw. dem schreibenden Musiker überlassen, der mit seinem spitzbübischen Sinn für Humor und Ernsthaftigkeit auf seine ganz spezielle Art in einer Videobotschaft über Buch und Album spricht!

Wer den Link nicht anklickt, für den hier die kurze Zusammenfassung, nicht der Handlung, sondern der dieses Buch vorantreibenden Geschichte. Im Grunde reicht es schon, den ersten Satz der Novelle zu zitieren: „7 Jahre liegen sind genug.“
Es geht also um einen seltsamen Typen, der seine Vorstellung von Sozial-Autismus auslebt und auch noch Musiker ist, indem er sich in eine Hütte an einem Berg zurückzieht, sich auf den Boden legt und dort sieben Jahre lang verharrt. Sein „einziger Freund“ ist so gesehen der Boden, mit dem er liegend Kontakt hält und zu dem er wie zu einem Menschen spricht. Als er sich nach diesen Qualen entschließt, den Boden zu verlassen und einen Berg am Fuße der Hütte zu besteigen, beginnt für ihn die wahre Apokalypse, welche er anfangs noch mit Humor, dann mit fast resignierenden Sarkasmus und am Ende voller Horror-Visionen zu ertragen versucht.
Dabei muss er eine schicksalhafte Entscheidung treffen!
Ob es die richtige ist?

Genau das erfahrt ihr im Buch und der Musik, die man beim Erwerb des Buches als Download-Code mit dazu erwirbt und die wirklich wie ein Geschwisterpaar einhergehen. Die sich bedrohlich steigernde Stimmung des Buchs kann beim Hören der Musik genauso nachvollzogen werden. Eventuelle Missverständnisse, die beim Lesen auftreten, da dem Leser nicht nur Ironie, Sarkasmus und Horror-Elemente, sondern auch unglaublich viel Philosophisches und gar Wissenschaftliches sowie der YETI und ADOLF HITLER begegnen, werden damit ausgeräumt, wobei es mitunter fast als Kuriosum erscheint, dass sich erst durch die Kombination von epischer Novelle und musikalischer Lyrik die „Botschaften“ völlig erschließen. Zusätzlich findet man noch jede Menge Fußnoten, die so humorvoll geschrieben sind, dass mir oftmals ein herzliches Lachen über die Lippen ging.
Kleines Beispiel gefällig?
Bittesehr - Eine besinnliche Ortschaft bei Prag erhält von NULL diese Fußnote: „Ein selten trauriges Scheißkaff aber auch. Da möchte ich nicht tot über dem Zaun hängen. Die Häuser waren alle aus den 50ern und seitdem war in dem Ort offensichtlich nichts, aber auch gar nichts mehr passiert. Als hätten die Bauarbeiter mit dem Werkzeug versehentlich auch das gute Wetter, die Freude am Leben und alles Schöne mit eingepackt. Das, was blieb, hatte den Charme eines Haufens verbrannten Kinderspielzeugs, garniert mit einem gebrauchten, aber gerissenen Kondom.“

Musikalisch wiederum bleibt alles Humorvolle auf der Strecke und NULL widmet sich bei seinem Album-Konzept den dunklen, mystischen, bedrückenden, aber auch gruseligen Seiten von „Hallo Boden“, die er geschickt in eine klangvolle Collage aus progressivem Rock, Prog-Metal, aber auch poppigen und liedhaften Momenten zusammensetzt. So gesehen verwirklicht ein Multiinstrumentalist mit der hohen Begabung, niveauvolle epische und lyrische Texte verfassen zu können, im Alleingang seinen Traum, ein Buch zu verfassen sowie ein Album zu komponieren und dieses komplett einzuspielen und einzusingen: NULL ist der „Liedermacher des Progs“!

Auffällig an der Musik ist von Anfang an der ausgezeichnete Gesang, der nicht von irgendeiner NULL dargeboten wird, sondern von den molzschen Stimmbändern, deren Schwingungen öfters an die eines CAMPINO von den TOTEN HOSEN erinnern. Eine schöne Parallele, denn gerade der immer wieder versuchte Missbrauch der Hosen-Musik durch Politiker-Kasten, die „An Tagen wie diesen“ oder sonstwas für ihren politischen Volksmüll zu verramschen versuchen, stößt grundsätzlich auf harte Campino-Ablehnung, wobei sein schönster, mir nie in Vergessenheit geratener Satz noch immer der auf die Frage ist, warum die TOTEN HOSEN nie auf Veranstaltungen für irgendwelche Politik-Stimmenfang-Kirmesse auftreten: „Wer sich einmal zu nah neben einen Eimer Scheiße begibt, der fängt automatisch an zu stinken!“ - Chapeau!

Der Ich-Erzähler von „Hallo Boden“ jedenfalls hat diese „Scheiß“-Phase schon längst hinter sich gebracht und als seinen letzten Freund keinen Menschen, sondern einen extrem toten Steinboden ausgewählt, dem er sich hingibt und mit dem er spricht. Vielleicht, weil ihm so wenigstens einer mal ohne zu widersprechen zuhört.
Doch auch während siebenjährigen Liegens fängt man erst leicht zu müffeln, dann stark zu riechen und am Ende unerträglich zu stinken an. Eine Erkenntnis, gewonnen durch die Nase, die einen auftreibt und in Bewegung versetzt. Eine Bewegung allerdings, die genauso seltsam vonstatten geht, wie der zuvor siebenjährige enge Boden-Kontakt.
Der das Album eröffnende Song dazu passt gänzlich perfekt als musikalische Untermauerung dieser Situation. Sakral anmutender Gesang und eine akustische Gitarre leiten „Hallo Boden“ ein und die Forderung: „Komm mir nicht schon wieder zu nah ... Hallo, Boden, alter Freund!“ Hier kämpft noch wer gegen seine Entscheidung an. Die Musik steigert sich, Schlagzeug und Keyboards treiben Musik und Protagonisten voran. Dann ein floydianisches „Dogs“-Echo, verbunden mit der Erkenntnis, viel zu lang diesem alten Freund gehuldigt zu haben. Und schon krachen E-Gitarren, die zarte Gesangs-Stimme erhebt sich zum Schrei. Es ist so weit, der Freund des Bodens hat sich erhoben und hinterlässt mit den letzten verfremdeten Gesängen, so als kämen sie aus einer großen Distanz, seine letzten „Hallo Boden“-Grüße.

Sofort spürt man bereits nach diesem Song, wie wertvoll es ist, wenn ein Künstler eine Stimmung in mehreren Kunstformen so beeindruckend und überzeugend umzusetzen versteht. Doch nicht nur das. Auch als Video-Experte scheint JOHANNES MOLZ wahrhaft so einiges draufzuhaben, wovon sein erstes offizielles Musikvideo zu „Hallo Boden“ Bände singt und spricht. Es sind also nicht nur zwei, sondern gar drei Formen hoher Kunst, die bei NULL zur Anwendung kommen, weswegen unbedingt auch ein Blick auf dieses kunstvolle und zugleich einfache, aber die „Hallo Boden“-Stimmung grandios wiedergebende Video geworfen werden sollte.

Was NULL mit „Hallo Boden“ an dreifacher Kunstfaltigkeit in dieser Qualität zustande bringt, gelingt vielen so genannten Künstlern noch nicht einmal auf einer einzigen Ebene, auch wenn die vielleicht viel erfolgreicher als JOHANNES MOLZ sind, zu dem ich als letzten kleinen musikalischen Hinweis noch einen richtungsweisenden Tipp geben möchte: Wer sich genauer die „Verbraucherinformation“, in der NULL über sein Buch und seine Musik spricht, anschaut, der wird im Hintergrund fünf, sicher sehr bewusst auf einem Wandregal angeordnete, Musik-Alben entdecken:
PINK FLOYD „Wish You Were Here“,
FRANK ZAPPA „Sheik Yerbouti“,
TON STEINE SCHERBEN „Warum geht es mir so dreckig?“,
TOM WAITS „Swordfishtrombones“ und
JETHRO TULL „Aqualung“!
Sagt das nicht genug aus?
Ich denke schon!

FAZIT: „Hallo Boden“ ist ein Buch und die passende Musik dazu, von einem Künstler, der sich den Namen NULL gibt, um genau die Leute anzusprechen, die in ihrem Leben noch alles versuchen, um nicht vor sich selbst als Null zu erscheinen, selbst wenn Andere das mit ihrem Schablonen-Denken immer wieder von ihnen verlangen!
„Sag mir wohin? Ich kann mich selber nicht mehr hören und das liegt nicht an meinem Gehör!“
Und wer außerdem noch Lesen kann, der sollte sich nach dieser Kritik noch ein paar Minuten Zeit nehmen, um diesen Buchauszug zu lesen.
„Hallo Boden“ - es ist Zeit für uns zu geh‘n, damit wir wieder aufrecht steh‘n! (Gedichtetes Kritiker-Fazit ;-) NULL bietet uns dafür nicht zwei Krücken, einen Rollator oder irgendwelche Gehhilfen an, sondern eine gehörige Gehirn-Massage samt Ohren-Spülung plus ein Buch und einen Download-Link.

Thoralf Koß - Chefredakteur (Info) (Review 3419x gelesen, veröffentlicht am )

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  • 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
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Wertung: 13 von 15 Punkten [?]
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Tracklist:
  • CD/EP bzw. Download (41:56):
  • Hallo Boden
  • Alpha Alpha
  • Was Frost und Leid
  • Unruh
  • Wir sehen uns dann unten
  • Seelenfressermantra
  • Licht (Hallo Boden II)
  • Buch (185 Seiten):
  • *Widmung
  • *Präludium
  • *Hallo Boden
  • *Dreizehn Kilometer Freude
  • *Alphatierchen
  • *Kreislauf, Scheißlauf
  • *Papa will sterben
  • *Rauscht uns im Herbst ein Amen
  • *Marylin Munruh
  • *Kilometer Davis
  • *Seelenfresserchen
  • *Oben/Unten
  • *Das gleißende Licht der Aufklärung
  • *Null hoch Eins gibt Null
  • *Materialien (alle Texte des Albums)
  • *Postludium
  • *In Memorian

Besetzung:

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Interviews:
  • keine Interviews
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