Musikreviews.de bei Facebook Musikreviews.de bei Twitter

Partner

Statistiken

Aniqo: Birth (Review)

Artist:

Aniqo

Aniqo: Birth
Album:

Birth

Medium: CD/LP+CD/Download
Stil:

Indie-, Dream-, Art-Pop, Dark Wave

Label: Springstoff
Spieldauer: CD + LP jeweils: 43:18
Erschienen: 18.03.2022
Website: [Link]

„Ein großer Weltschmerz war schon immer in mir, auch ein Hang zur Spiritualität, ein über den Tellerrand hinaus zu gucken, um herauszufinden, worum es geht: Was sucht der Mensch auf der Welt? Was machen wir mit diesem Planeten? Wie sieht die Aufgabe aus? Wie ist sie lösbar?“ (Anita Goß aka ANIQO)

Sich dem Debüt-Album „Birth“ von ANIQO anzunähern ist, um bei dem Bild des Albumtitels und Titelsongs zugleich zu bleiben, eine 'schwere Geburt', manchmal sogar so tief und bedrückend wie eine musikalische Zangengeburt, denn die Musikerin Anita Goß aka ANIQO aus Wismar liebt mehr die tiefen, ruhigen, traurigen und sogar melancholischen Töne sowie entsprechend dunklen Texte als sich freudvoll im hippen Heile-Welt-Sing-Sang, mit dem uns der Mainstream in Funk und Fernsehen so gerne zuschüttet, ihren Platz an der werbeträchtigen Sonne zu suchen.

Wer sich auf dieses Album einlässt sollte sich viel Zeit dafür nehmen, unbedingt auch den Texten, die selbst vor grundlegenden metaphysischen Fragen nicht haltmachen, zuwenden und sich dabei ganz in die Musik fallen lassen – am besten während der Abend- und Nachtstunden. Auch sollte er sich nicht übertriebenen Ängsten hingeben, wie denen, die in „Fear“ besungen werden, oder sich noch immer vor der Vergangenheit ängstigen und dabei die Gegenwart und Zukunft nicht auf die Reihe bekommen – denn ANIQO thematisiert speziell diese Momente in ihrer Musik, wozu sie selber meint: „Es ist ja so, dass man Charaktereigenschaften und auch Ängste über Generationen hinweg transportiert bekommt. Deine Ururmutter kann ein Feuer im Stall gehabt haben und du hast Angst vorm Stall und weißt gar nicht, warum.“

Auf „Birth“ jedenfalls geht es dunkel zu und tief in die menschlichen Abgründe hinein und wir begleiten den Tiefseefisch, der uns in der fast schauerlichen Ballade der Langsamkeit immer weiter und langsamer und langsamer und langsamer in die Tiefe hinabzieht, bis uns der „Deep Sea Fish“, in weiser Umkehrung aller Mensch-Tier-Verhältnisse, nicht mehr von seiner Angel lässt, die er auswirft um uns hinunter in die Tiefen unseres Gefühlslebens zu ziehen, anstatt selber an die Wasseroberfläche gezogen zu werden. Es sind solche und ähnliche Bilder, die in einem entstehen, wenn ANIQO ihre musikalischen Epen und philosophisch anmutenden Texte anstimmt.
Ein tiefer Bass und wie Walgesänge anmutende Synthies begleiten und auf unsere Tiefsee-Seelenreise und der ANIQO-Erkenntnis: „Ich sinke tiefer und tiefer und breite meine Flügel aus für die Dunkelheit. Denn ich weiß, dass, nur wenn ich tief tauche, ich hoch steigen kann.“

Tief in Moll ertrinkt so der Tiefseefisch mit bleischweren langsam grummelnden, schweren Bässen – und wir schwelgen in Erinnerungen, die uns an die Musik solcher musikalischen 'Schweremüter' wie NICK CAVE und SCOTT WALKER oder NICO und MARIANNE FAITHFULL sowie ANNE TERNHEIM und ANDREA SCHROEDER gemahnen.
Aber es gibt noch eine weitere Auffälligkeit hinter der stimmlichen Qualität und speziell der Intonation von Anita Goß, wofür „Balance“ – ein Song, in dem es um die Verantwortung für sich und sein eigenes Handeln sowie die Auswirkungen geht, welches dieses hinterlässt – das beste Beispiel ist. Denn wiederholt schafft es die Wismarerin, die zumindest musikalisch ihren ganz großen Weltschmerz in sich trägt, ganz ähnlich wie eine andere große Sängerin aus Irland, die an ihrem eigenen Weltschmerz leider tragisch zugrunde ging, zu klingen: DOLORES O'RIORDAN von den CRANBERRIES.

Doch es gibt auch die schwungvolleren, optimistischeren und flotteren Songs auf „Birth“, die einen beispielsweise wie beim Album-Opener „Vivre Libre“, der mit SUPERTRAMP-Anleihen spielt, ein wenig in die Irre führen. Hier wird das 'freie Leben' besungen mit einer eigentlich hitverdächtigen Melodie und relativ beschwingten Rhythmen. Doch schnell bricht sich neben der Tatsache, wie erstrebenswert ein freies Leben ist, dann doch die Erkenntnis bahn, dass dazu auch das freie Sterben gehört. Und wenn der eine Weg aus der Dunkelheit hinausführt – nennen wir ihn mal die Geburt – dann führt der andere Weg genau in diese auch wieder hinein – nennen wir ihn in diesem Falle den Tod.
Und genau dieses Wechselspiel der Sinne und Realitäten umfasst und vertont das komplette „Birth“-Album. Gut vorstellbar also, dass das folgende ANIQO-Album vielleicht den Titel „Dead“ trägt: „Vivre Libre / Here I am / This is the curtain / The final season.“

„Must Surrender“ klingt dagegen wie der düstere Gegenspieler von „Vivre Libre“. Diese dumpfen Bässe, aber auch weltmusikalische Klänge und dunkle Keyboard-Sounds, die sich wahrhaft bedrohlich immer mehr ausbreiten, um zum Ende der 5 schaurigen Musikminuten hin den Hörer in ihren zerstörerisch anmutenden Strudel zu ziehen.
Zum Glück endet das Album nicht mit diesem Song, denn dann würde nur noch ein tiefes Loch bleiben, aus dem uns glücklicherweise die positive, „Birth“ abschließende Botschaft „Love Life“ wieder herausholt.

FAZIT: So schwarz wie das richtig gut klingende Vinyl, dem zugleich noch eine CD-Version sowie ein LP-Einleger mit zwei ganzseitigen Texten („Vivre Libre“ & „Birth“) des Albums beigelegt wurde, ist das Debüt-Album „Birth“ von ANIQO ausgefallen. Die an der deutschen Ostseeküste Wismar geborene Musikerin Anita Goß beschwört größtenteils in dunklen Tönen und Texten das Leben herauf, wobei sie sich besonders den finsteren Seiten zuwendet, so, als würde man – passend zur Ostsee, an der sie großgeworden ist – langsam immer weiter in einem tiefen Meer versinken, genauso wie der besungene „Deep Sea Fish“. Die Absicht hinter dem Album sei angeblich die Entscheidung der Musikerin gewesen, „nicht mehr in der Dunkelheit sein zu wollen“. Und so dunkel „Birth“ auch klingen mag, ein hoffnungsvoller Lichtschimmer ist durchaus zu hören, auch wenn der bisher die Dunkelheit noch nicht maßgeblich durchdringen kann, was für die intensiv-emotionale Wirkung hinter „Birth“ durchaus vorteilhaft ist.

Thoralf Koß - Chefredakteur (Info) (Review 2186x gelesen, veröffentlicht am )

Unser Wertungssystem:
  • 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
  • 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
  • 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
  • 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
  • 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
  • 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
[Schliessen]
Wertung: 11 von 15 Punkten [?]
11 Punkte
Kommentar schreiben
Tracklist:
  • Seite A (22:58):
  • Vivre Libre (4:33)
  • Balance (4:12)
  • Deep Sea Fish (4:58)
  • Fear (4:10)
  • Day When Love Appears (5:05)
  • Seite B (20:20):
  • Birth (2:44)
  • Must Surrender (4:40)
  • The Sea (5:00)
  • Go On (3:17)
  • Love Life (4:39)
  • CD (43:18):
  • Vivre Libre
  • Balance
  • Deep Sea Fish
  • Fear
  • Day When Love Appears
  • Birth
  • Must Surrender
  • The Sea
  • Go On
  • Love Life

Besetzung:

Alle Reviews dieser Band:

  • Birth (2022) - 11/15 Punkten
Interviews:
  • keine Interviews
(-1 bedeutet, ich gebe keine Wertung ab)
Benachrichtige mich per Mail bei weiteren Kommentaren zu diesem Album.
Deine Mailadresse
(optional)

Hinweis: Diese Adresse wird nur für Benachrichtigungen bei neuen Kommentaren zu diesem Album benutzt. Sie wird nicht an Dritte weitergegeben und nicht veröffentlicht. Dieser Service ist jederzeit abbestellbar.

Captcha-Frage Wobei handelt es sich nicht um ein Getränk: Kaffee, Tee, Bier, Schnitzel

Grob persönlich beleidigende Kommentare werden gelöscht!