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Holger Biege: 70 – Die großen Erfolge / Hits und Raritäten / Die DDR-TV-Auftritte (Review)

Artist:

Holger Biege

Holger Biege: 70 – Die großen Erfolge / Hits und Raritäten / Die DDR-TV-Auftritte
Album:

70 – Die großen Erfolge / Hits und Raritäten / Die DDR-TV-Auftritte

Medium: 2CD+DVD
Stil:

Poetischer Liedermacher-Pop, Klassik, Piano

Label: Buschfunk/Sechzehnzehn Musikproduktion
Spieldauer: CD's – 130:35 / DVD – 82:46
Erschienen: 16.09.2022
Website: [Link]

„Der Erfolg ist ein arger Schinder, verlangt von uns Tribut, Herren sind wir und auch Sklaven, tun uns selber oft nicht gut!“ (aus „Robinson“ von HOLGER BIEGE)

Am 19. September dieses Jahres wäre HOLGER BIEGE 70 Jahre alt geworden.
Leider, leider bleibt es aber bei diesem 'wäre', denn nach einem langen und schweren Kampf gegen eine ungemein fiese Krankheit, ausgelöst durch einen Schlaganfall im Jahr 2012, verstarb dieser begnadete und zugleich ohne Zweifel einer der besten (Wenn nicht sogar der Beste!) (gesamt)deutsche Liedermacher 2018 im Alter von 65 Jahren. Doch nicht nur seine Krankheit, sondern auch ein ärztlicher Behandlungsfehler (wie es Wolfgang Martin, der übrigens auch den Begleittext im achtseitigen Booklet dieser Box verfasste, in seiner Biege-Biografie „Sagte mal ein Dichter“ schreibt) setzte seinem in den letzten Krankheitsjahren von Armut und der Hilfe anderer und natürlich ganz besonders der seiner Frau Cordelia geprägtem Leben ein Ende.

Welch riesiger Verlust ein so talentierter und künstlerischer Freigeist für die Kunst in Deutschland darstellt, von der der westliche Teil kaum wirklich etwas wahrgenommen hat, zeigt uns nunmehr eindrucksvoll in Ton und Bild auf zwei CD's und einer DVD die HOLGER BIEGE-Box „70 – Die großen Erfolge / Hits und Raritäten / Die DDR-TV-Auftritte“ aus Anlass seines 70. Geburtstag.
Schon vorab muss man sich jedoch fragen, warum denn dieser Ausnahmemusiker, dessen ganzes Leben maßgeblich aus seiner Liebe zur Musik, seiner Leidenschaft für das Klavierspiel und den Gesang anspruchsvoller, oft nachdenklich-kritischer Texte sowie die Astronomie bestand, nicht ganz vorne in allen deutschsprachigen Musik-Annalen steht. Die Sterne sollten wohl nur über ihm leuchten und von ihm beobachtet werden – ohne dass er heute als einer der großen, berühmten 'Sterne' am Musiker-Zenit leuchten darf.
Warum nur?

Die Antwort gibt Biege in gewisser Weise selber. Und diese ist auf der DVD, welche die Box abschließt, nachzuverfolgen, als er bei einem Auftritt nach dem Mauerfall im Osten von seinem Publikum befragt wird und es speziell um seine Erfahrungen geht, nachdem er die DDR verlassen hatte und im Westen Fuß zu fassen versuchte. Da antwortet dieser für beide Seiten Deutschlands unbequeme Freigeist doch tatsächlich: „Ich wollte mich nicht mehr vereinnahmen lassen von der DDR! Dort wurde ich nämlich ideologisch vereinnahmt – und im Westen erfolgte die Vereinnahmung durch den Kommerz. Beides war für mich ein großes Problem. Denn es geht bei beidem nicht um die Qualität.“

Diese weisen Worte sprach er 1990 – und leider gilt der zweite Teil seiner Antwort noch heute ganz offensichtlich – und darum darf, selbst im Osten, zwar ein Florian Silbereisen ein (Schlager-)Lied über jede Scheiße singen und neuerdings die 'Goldene Henne' verteilen, während er zudem noch als 'Traumschiff'-Kutterkäpt'n im Fernsehen durch die Weltgeschichte schippert, nicht aber die wirklich kritischen Geister der DDR, die ihre kritische Sicht nicht einfach ablegten, nachdem sie durch die ersten Öffnungen der Mauer geschritten waren, wo bereits dem schnöden Mammon aus vollen Zügen gehuldigt wurde und einem mitunter unmusikalische Idioten mit guter Betriebswirtschaftsausbildung erklärten, wie man Musik zu machen hat, deren oberste Aufgabe der Verkauf ist.
So fiel getreu einem seiner schönsten Lieder („Als der Regen niederging“) auf Biege nur der Regen herunter, während angepasste und gecastete, oft vor Oberflächlichkeit kaum zu übertreffende Schlager-Stars in der Sonne standen und als dümmliche Goldesel für ihr Management die Dukaten schissen.

Es ist tatsächlich extrem bedauerlich, dass all die Kunst und Musik, die aus der DDR und dem europäischen Osten kam, so schmählich im Westen vernachlässigt wird, denn schon allein viele Musiker aus der DDR sind und waren um Längen besser als diejenigen, denen man in Deutschland nicht die Freiheit durch eine Mauer nahm. Die ehemals Eingesperrten hätten viel mehr Aufmerksamkeit nach dem Mauerfall verdient, eben weil sie mitunter deutlich besser (aber nicht bekannter) waren. Und bitteschön – Wer sich heutzutage die großen Lieder eines HOLGER BIEGE anhört, von denen so einige längst echte deutschsprachige ''Evergreens' sein müssten, wird lange suchen müssen, um auch nur etwas halbwegs ähnlich Hochwertiges im Rahmen der deutschsprachigen Musik in ganz Deutschland zu entdecken. Selbst ein UDO LINDENBERG wird wohl ungläubig dreinblicken, wenn er „Rockerstein & Co“ hört – oder einem KONSTANTIN WECKER werden die Augen und Ohren ebenso übergehen, hört er nur mal genauer bei dem „Frühlingslied“ und „Schuld sind die anderen“ hin ...

Gerade wegen dieses 'gesamtdeutschen Übersehens' schreibt sich verstärkt unsere komplett international ausgerichtete Musikreviews.de-Seite längst auch auf ihre Fahnen, immer wieder über solche meisterhaften Künstler und Werke des Ostens zu berichten, die irgendwelche West-Gurken, nur weil sie an die Allmacht der Banane glaubten, als 'nicht der Rede wert' ansehen. So stehen auch die Reviews zur STERN-COMBO MEISSEN und HANS DIE GEIGE bereits in den Startlöchern.

Denn würde man auch im westlichen Teil mehr darüber reden und in den größeren Gazetten, die immer wieder die gleichen Interpreten auf ihre Frontcover pappen und seitenlang zum x-ten Mal darüber referieren, dann wäre man vielleicht bald in der unangenehmen Situation zu bemerken, dass dieser 'Ost-Kram' besser als vieles von dem ist, was man prophetisch aus dem Westen verehrte oder anbetete und beispielsweise in solchen ROCK!-Büchern wie vom eclipsed-Verlag hundertfach vorstellt und bespricht und dabei komplett diejenigen ausspart, die sich erst von einer Mauer befreien mussten, um dann festzustellen, dass man gegen die Mauern in den Köpfen und die musikalischen West-Pfropfen in den Ohren derjenigen, die das große musikalische Sagen und Schreiben hatten und noch immer haben, nicht ankam. Erst war da die Mauer für die Musiker und nun gesteht man ihnen gerade so noch eine Ost-Nische zu.

Aus diesem Grunde sind es dann auch vorrangig wieder die Musiker aus dem Osten, die heute noch HOLGER BIEGE die Ehre und Achtung entgegenbringen, die er und seine Musik verdienen – und die man besonders auf der zweiten CD dieser Box zu hören bekommt. So wie beispielsweise der aktuelle Sänger und Keyboarder sowie der ehemalige Keyboarder und Saxophonist der STERN-COMBO MEISSEN, MANUEL SCHMID & MAREK ARNOLD.

Jedenfalls wurde HOLGER BIEGE völlig zu unrecht ein 'künstlerischer Verlierer' des später vereinten Deutschlands, weil er erst versuchte, mit seiner faszinierenden Musik und den kritischen Texten in der DDR anzukommen, was ihm anfangs auch gelang, und die Zensoren irgendwie auszutricksen, was jeden DDR-Star irgendwann zerstört, dann aber erkennen musste, dass dies in einem immer rigoroser gegen seine kritischen Künstler vorgehendem Land nicht mehr möglich war.
So warf er – auf der Höhe seiner künstlerischen Kreativität und seines Erfolgs in der DDR – im Jahr 1983 nach einem Auslandsgastspiel endgültig das Handtuch (Vielleicht hätte er, der – wie auf der DVD zu sehen – öfters auch an einem weißen Klavier saß, ja in einem weißen Bademantel am Ende seiner Konzerte auftreten sollen?) und verließ den eingemauerten Teil Deutschlands, indem er aus dem uneingemauerten Teil, der sich längst damit abgefunden hatte, was hinter den Mauern auch in punkto Kunst geschah, nicht wieder hinter Mauern zurückkehrte.
Selbst wenn es dort natürlich auch so einige Ausnahmen gab, wie beispielsweise den sehr erfolgreichen deutschen Rapper MAX HERRE, der, nachdem er Bieges Song „Septemberliebe“ entdeckt hatte, unumwunden feststellte: „Der Stevie Wonder der DDR! Für mich der beste Soul-Sänger Deutschlands.“

So ließ HOLGER BIEGE 1983 seine Heimat sowie seine Frau und seinen Sohn (abgesprochen und geplant und zum Glück ein halbes Jahr später wieder vereint), zwei beeindruckende LP's („Wenn der Abend kommt“ 1978 / „Circulus“ 1979) sowie eine geplante und nie veröffentlichte dritte LP, die Wahl zum 'Interpreten des Jahres' im Jugendmagazin 'neues leben' und mit „Sagte mal ein Dichter“ sowie „Reichtum der Welt“ mindestens zwei Lieder zurück, die im Grunde auf jeder deutschsprachigen Musik-Bestenliste in den Top 10 stehen müssten.
Besteht trotz dieser traurigen, einseitigen Musikentwicklung noch immer die Hoffnung, dass ein HOLGER BIEGE auch nach seinem Tod die gesamtdeutsche Anerkennung erhält, die er sich längst – gemessen an seinen Liedern – verdient hätte?
Wir jedenfalls glauben noch immer daran und hoffen es.
Und da bekanntlich die Hoffnung zuletzt stirbt, bringen wir unsere Begeisterung zu dieser 2-CD+DVD-Box aus Anlass des 70. Geburtstag des 2019 verstorbenen Musikers zum Ausdruck!

70 – Die großen Erfolge / Hits und Raritäten / Die DDR-TV-Auftritte“ unterteilt sich – wie bereits aus dem Titel ersichtlich – in drei sehr wechselreiche und unterschiedliche Abschnitte. Hier begeht das Buschfunk-Label nicht den Fehler, eine schnöde 'Best Of' rauszuhauen, sondern nur die erste CD ausschließlich mit den insgesamt 19 besten Biege-Songs, die er selber vorträgt, zu bestücken. Fast hätte ich statt 'bestücken' doch 'auszurüsten' geschrieben – doch das hätte mir ein HOLGER BIEGE, der erklärte leidenschaftliche Pazifist, wohl nie verziehen, der dies sehr beeindruckend in seinem von Fred Gertz getexteten Lied „Meine Hände“ zum Ausdruck bringt. Zu hören als Live-Version von MANUEL SCHMID & MAREK ARNOLD auf der zweiten CD.

Darum schlagen all die herrlichen Biege-Titel auch nie als Hit wie eine Bombe ein, sondern erobern größtenteils in ihrer sanftmütigen Art die Herzen aller Hörer, egal welchen Geschlechts oder Alters.
Die ersten 15 Titel von CD 1 sind dann auch allesamt aus Bieges DDR-Zeit (1978 – 1981) und erschienen auf dem DDR-Platten-Label AMIGA, während die letzten vier Stücke aus den für Biege recht erfolglosen, weil nicht Kommerz-orientierten BRD-Zeiten der Jahre 1994 bis 1997 stammen. Das besondere an den letzten Titeln ist, dass der ehemalige ostdeutsche und nun westdeutsche Liedermacher hier auch alle Texte selber schrieb, während ihm zu DDR-Zeiten mit Fred Gertz und Ingeborg Branoner ein ausgezeichneter Texter sowie eine ebenfalls ausgezeichnete Texterin zur Verfügung standen, die es zugleich perfekt beherrschten, ihre offensichtliche Systemkritik zwischen den Zeilen zu verstecken und die Texte Biege perfekt auf den Leib zu schreiben.
Wer jedenfalls in der DDR sozialisiert wurde, entdeckt ganz schnell, was sich hinter den oft sehr poetischen Worten an hintergründiger Botschaft verbarg. Wir haben eben damals gelernt, ganz genau hinzuhören und immer um die Ecke zu denken. Sonst blieb man im Tal der Ahnungslosen tatsächlich ahnungslos.

HOLGER BIEGE jedenfalls ließ uns mit seiner Musik und den Texten ausgiebig unsere ungewöhnliche Begabung ausleben, in einem Land, das die Worte 'Mauer' und 'Freiheit' in der Öffentlichkeit verbat, diese dann doch umformuliert wiederzuentdecken. Die Diktatur des Landes wurde in der Musik so zu einer einzigen Metapher, welche die Musiker und Texter aufgriffen, um aus ihr eine anderes sprachliches Bild zu schaffen, welches wir dann zu entdecken, zu entschlüsseln und zu verstehen versuchten. Wohl darum bekommen auch heute noch viele 'Ossis' das große Kotzen, weil ihnen das Entschlüsseln des Politiker-Sprechs viel leichter fällt, als denjenigen, die schon seit Ewigkeiten alles unhinterfragt wortwörtlich für bare Münze nehmen.

Die zweite CD ist dann ein ganz spezieller Leckerbissen voller Raritäten und wiederum vielen Biege-Hits, die aber größtenteils von anderen Musikern vorgetragen werden, wie Manuel Schmid (der auch einen großen Anteil an der Entstehung dieser 'Raritäten'-CD hat), dem Sänger der STERN-COMBO MEISSEN, oder DIRK ZÖLLNER sowie YVONNE CATTERFELD, VERONIKA FISCHER, STOPPOK und der legendären DDR-Jazzsängerin USCHI BRÜNING.

Hinzu kommen weitere Aufnahmen mit HOLGER BIEGE – absolut rares Highlight hierbei ist das bereits von Biege komponierte, getextete und eingesungene Stück „Frühstücksandacht“, das für sein 2012er geplantes, aber durch seinen Tod nie erschienenes Album angedacht war (und einen am ehesten an Degenhardt und Wader erinnert), oder Duette, die er mit anderen Musikern singt, von denen beispielsweise das mit AI VAN aus Vietnam auch als Video auf dem letzten Silberling – der DVD 'Die DDR-TV-Auftritte' –, zu entdecken ist.
Gruselig ist leider die letzte Nummer, ein von DJ COOPER auf Disco-Techno getrimmter Remix von „Deine Liebe und mein Lied“ aus dem Jahr 2022.
Was nur hätte HOLGER BIEGE dazu gesagt?
Und dann auch noch danach einen versteckten Titel – wohl von Manuel Schmid gesungen – ohne Hinweis im Booklet darauf, ist auch Quark. Und welcher Titel wird das wohl sein?
Ich denke die meisten werden von selber darauf kommen.
Solche Aktionen werten die zweite CD leider ab, denn sie ehren HOLGER BIEGE und seine immer klare Art nicht, sondern erscheinen wie ein überflüssiges Musik-Wimmelbild.
Auch fällt auf, dass die Versionen von STOPPOK, YVONNE CATTERFELD und WOLFGANG LIPPERT massiv in dieser Zusammenstellung abfallen, man sie sich hätte besser sparen sollen – oder war es Absicht, den deutlichen Unterschied zwischen Biege und besagten Musikern aufzuzeigen. Ein HOLGER BIEGE lebte seine Lieder und Musik, die besagten Drei allerdings singen sie nur, ohne zu merken, dass, zumindest diesen Versionen (zweimal „Reichtum der Welt“ und STOPPOK mit „Annabell“) ein paar Schuhgrößen zu groß für sie sind.
So hinterlässt die zweite CD nur gemischte Gefühle...

Bevor die DVD – das liebevoll zusammengestellte Highlight der Box – beginnt, ploppt ein Erinnerungsfenster an HOLGER BIEGE auf, das passender nicht gewählt sein könnte und auf dem zu lesen ist: „… REICHTUM DER WELT … zur Erinnerung an einen kreativen Künstler – unangepasst und immer auf der Suche – der nicht nur seine Anhänger begeistert hat.“

Insgesamt gibt es auf dieser DVD 22 Bild-Ton-Aufnahmen, alle in guter bis sehr guter Qualität zu genießen, die bis zum Bonus-Teil ausschließlich im DDR-Fernsehen mitgeschnitten wurden.
Spitzenmäßig ist an der DVD auch, dass alle Songs und das Jahr der Aufführung sowie die Sendung, wo diese stattfand, zu jedem Video am unteren Bildrand kurzzeitig eingeblendet werden.

Natürlich gibt’s auch hier Unmengen von Raritäten geboten, wie beispielsweise aus dem Jahr 1975 „Sommer Adé“ mit der SIEGHART-SCHUBERT-FORMATION und Biege als Sänger oder ein Augenzeugen-Bericht mit Biege bei der Probe von 1980 (Der 'Augenzeuge' war in der DDR eine Kino-Wochenschau mit kurzen Berichten, meist allerdings sozialpolitischer Natur, die vor Kinofilmen aufgeführt wurden und die sich jeder Kinobesucher gezwungenermaßen reinziehen musste bevor dann ein krasser Ami-Film-Schinken uns den Sozialistischen 'Augenzeugen'-Realismus wieder austrieb.)
Oder dass er ganz offensichtlich 1978 bei RUND in „Wie Dynamit“ (in dem er auch noch wie ein Schlager-Fuzzi – zum westlichen Pendant der Hitparade mit Dieter-Thomas Heck – durch die Publikums-Reihen wandern muss), das Playback 'verarscht' und mit dem abgeschnittenen Kabel des Mikros kämpft, wobei er natürlich immerwieder den richtigen Stimmeinsatz – garantiert nicht völlig unabsichtlich – verpasst.

Und Leute, wenn ihr den Auftritt von 1981 zu „Will alles wagen“ seht, dann erahnt man fast eine offene Provokation oder gar Bedrohung, denn genau an einem Tisch hinter Biege sitzen zwei Typen im Anzug, die wie (Sta)siamesische Zwillinge aussehen und eifrig mitschreiben statt wie's scheint die Musik zu genießen. Dass die von mir hier Erwähnten jedenfalls nicht die Musik, sondern nur die Person Biege und wohl deren Aktennummer dahinter interessiert, erscheint tatsächlich offensichtlich. Sollte ich mich hier täuschen, dann bitte ich das zu verzeihen und mich meinetwegen in der Kommentarspalte zu beschimpfen.
Wer die bereits erwähnte Biografie von HOLGER BIEGE kennt, der weiß auch, dass der konsequente, aber auch sehr sensible Biege genau wegen dieser ständigen fiesen Repressalien dann, nach Absprache mit seiner Ehefrau Cordelia, der DDR desillusioniert den Rücken kehrte und nach einem Konzert in West-Berlin 1982 nicht wieder in die Mauerdiktatur zurückkehrte. Darüber spricht er dann auch in dem Bonus-Video der DVD (Bonus, weil dieses Video aus der Zeit nach dem Mauerfall und nicht dem DDR-Fernsehen stammt, genauso wie das „Frühlingslied“ – beide aus dem Jahr 1990) „Schuld sind die anderen“.

So sieht man Biege dann ab 1981, zwei Jahre vor seiner Flucht, noch mit Vollbart, obwohl der Bart zwischen ihm und der DDR längst ab war. Fantastisch hierbei auch die lange, klassisch anmutende Piano-Passage von „Sonnenmeer“, bei der die Kamera in Nahaufnahme seine Hände zeigt, die Unglaubliches an der Klaviatur leisten.

Dagegen recht gruselig die bei ehemaligen DDR-Bürgern geweckten Erinnerungen, wenn sie bei den Aufzeichnungen feststellen, wie oft in den vorderen Zuschauerreihen immer wieder die 'Blauhemden' sitzen, weil viel junge Leute eben gezwungen wurden, bei öffentlichen Jugend-Veranstaltungen das FDJ-Hemd zu tragen. FDJ – wie absurd – stand für Freie Deutsche Jugend (der DDR-Jugendverband, in den man mehr oder weniger mit 14 Jahren gezwungenermaßen nach einem 'feierlichen Schwur' – oft im KZ Buchenwald – eintreten musste) in einem Land, das seine Menschen einmauerte und die Jugendlichen zwanghaft uniformierte…

Wenn man dann das „Frühlingslied“ als Bonus hört, glaubt man zudem, hier spielt nicht nur ein BIEGE sondern zugleich ein KONSTANTIN WECKER, doch auch dieser WECK(E)Ruf verhalf HOLGER BIEGE nicht dazu, dass im vereinten Deutschland der westliche Teil en masse aufhorchte und diesen Ausnahmemusiker in sein Herz schloss. Er war eben einfach zu unangepasst – genau das, was man vielen ehemaligen DDR-Bürgern auch heute noch unterstellt, was viel leichter ist, als sie wirklich verstehen zu wollen. HOLGER BIEGE hatte sie immer – egal ob in Ost oder West – verstanden und dieses Lebensgefühl mit seiner Musik zum Leben erweckt!

Wie soll man am Ende …
...nur zu einem FAZIT kommen, wenn dieses sich um die Musik und den Menschen HOLGER BIEGE sowie die aus Anlass seines 70. Geburtstags, den er längst nicht mehr erleben darf, entstandenen 2-CD+DVD-Box „70 – Die großen Erfolge / Hits und Raritäten / Die DDR-TV-Auftritte“ dreht?
Es war die große Tragik der DDR, dass sie diesen einzigartigen Musiker vergraulte und verlor – und es war mindestens genauso tragisch, dass der Westen einen HOLGER BIEGE, diesen Mann am Klavier mit einer charismatischen Stimme und extrem bewegenden Texten, nicht in einem Atemzug mit UDO JÜRGENS, dessen Texter später übrigens auch für Biege textete, nannte. So starb der eine als reicher Superstar und der andere verarmt, aber mit vielen (Musiker-)Freunden und seiner Familie an seiner Seite, nach schwerer Krankheit an einem ärztlichen Behandlungsfehler. Manchmal kann das Leben so ungerecht sein – und die Ungerechtigkeit wandert leider noch viel zu oft immer Richtung Osten, während sich der Westen selbstzufrieden fragt: „Was haben die nur?“ Ja, wir hatten einen HOLGER BIEGE und ihr habt ihn ignoriert, während ihr einem ganz ähnlichen Musiker im weißen Bademantel zu Füßen lagt und nichts von uns mitbekamt oder mitbekommen wolltet: „Gehört der Reichtum der Welt allen schon, oder bleibt vielen nicht viel versagt?“ („Reichtum der Welt“)

Thoralf Koß - Chefredakteur (Info) (Review 4673x gelesen, veröffentlicht am )

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  • 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
  • 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
  • 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
  • 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
  • 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
  • 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
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Tracklist:
  • CD 1 = Die großen Erfolge = (61:21):
  • Als der Regen niederging
  • Deine Liebe und mein Lied
  • Wie Dynamit
  • Will alles wagen
  • Wo bist du, Jessy
  • Vater, Mutter, Kind
  • Wenn der Abend kommt
  • Cola-Wodka
  • Robinson
  • Annabell
  • Sagte mal ein Dichter
  • Septemberliebe
  • Reichtum der Welt
  • Sonnenmeer
  • Bleib doch
  • Rost im Toaster
  • Meistens leb' ich still
  • Zugvögel
  • Gutenachtlied
  • CD 2 = Hits und Raritäten = (69:14):
  • Holger Biege Improvisation 2009/I
  • Holger Biege Frühstücksandacht
  • Manuel Schmid Deine Liebe und mein Lied (Live)
  • Stoppok Annabell
  • Gerd Christian Sagte mal ein Dichter
  • Manuel Schmid, Dirk Zöllner, André Gensicke & Marek Arnold Will alles wagen (Live)
  • Holger Biege Verloren an dich
  • Holger Biege & Gerd Christian Kathleen (Live)
  • Manuel Schmid Frag mich nicht
  • Wolfgang Lippert Reichtum der Welt
  • Manuel Schmid Wo bist du, Jessy
  • Burkhard Neumann Sagte mal ein Dichter
  • Holger Biege & Klaus Lenz Modern Soul Big Band Kann schon sein (Live)
  • Holger Biege & Ai Van So fühle ich (Live)
  • Manuel Schmid & Marek Arnold Meine Hände (Live)
  • Manuel Schmid Es gehen die Tage (Live)
  • Veronika Fischer & Holger Biege In deiner Hand (Live)
  • Uschi Brüning Wenn der Abend kommt
  • Holger Biege Improvisation 2009/II
  • Bonus:
  • DJ Cooper Deine Liebe und mein Lied (Remix)
  • DVD = Die DDR-TV-Auftritte = (61:22):
  • Rockerstein & Co
  • Holger Biege & Sieghart-Schubert-Formation Sommer Adé
  • Will alles wagen
  • Sagte mal ein Dichter
  • Wie Dynamit
  • Nimm mich so
  • Annabell
  • Kino-Augenzeuge Doku Probenlager
  • Robinson
  • Sonnenmeer
  • Deine Liebe und mein Lied
  • Meine Hände
  • Cola-Wodka
  • Que Sera
  • Dein Gesicht
  • Septemberliebe
  • Wenn der Abend kommt
  • Reichtum der Welt
  • Bonus: (21:24):
  • Holger Biege & Ai Van So fühle ich
  • Frühlingslied
  • Holger Biege - Song und Interviews Schuld sind die anderen
  • Blues-Improvisation

Besetzung:

Alle Reviews dieser Band:

Interviews:
  • keine Interviews
Kommentare
Rainer Prokof
gepostet am: 30.06.2023

User-Wertung:
15 Punkte

Ein toller Künstler, der im Westen nicht die Anerkennung erfahren hat die Ihm zu gestanden hätte.... ich mag seine Lieder sehr.
Ich denke an Dich, Dein Fan Rainer Prokof Berlin
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