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Von Korova über KorovaKill zu Chryst - oder: Von der Kuh zum Herrn

26.10.2011

 

Chryst-Titelbild

 

Was ist das hier? Ein Special? Ein Review? Eine Biographie? Etwas von allem irgendwie – aber eigentlich eher eine persönliche Wahrnehmung dessen, was die Band KOROVA und deren inkrementelle Nachfolger für den Verfasser dieser Zeilen darstellte und bedeutete. Denn es wäre zu schade, diese unterbewertete, immens wichtige Kapelle im Sumpf der Verschwiegenheit ersaufen zu lassen.

Während die Vertreter der extremen Metal-Genres um 1990 herum noch alle brav in ihren Nischen aktiv waren und sich bestenfalls mal in benachbarte Sparten gewagt hatten, brodelte die Hirnsuppe der kreativer veranlagten, im Metal beheimateten Musiker beinahe über. Der Dampfdrucktopf drohte zu zerbersten, und so musste dieser Druck aus einem Ventil entweichen. Zwei dieser menschgewordenen Ventile waren Moritz Neuner (LEAVES' EYES, DORNENREICH, ANGIZIA, ABIGOR und mehr) und insbesondere Chrystof Niederwieser. Es gab zwar durchaus noch andere Begründer der avantgardistischen 90er-Avantgarde-Metal-Bewegung, doch die vor 21 Jahren in der Innsbrucker Gegend gegründeten KOROVA dürften wohl eine der experimentellsten und mutigsten Bands jener Zeit gewesen sein. Sicher, es gab auch Bands wie etwa VED BUENS ENDE oder DØDHEIMSGARD, aber so weit hinaus wie KOROVA wagten sich bestenfalls noch nullkommadrei andere Kapellen, die seinerzeit noch vakuumversiegelt im Underground feststeckten.

Korova - A Kiss In The Charnel Fields CD Korova - Dead Like An Angel CD KorovaKill - WaterHells CD Chryst - PhantasmaChronica CD
Die bisherigen offiziellen Alben der Band (von links nach rechts):
KOROVA - A Kiss In The Charnel Fields (1995)
KOROVA - Dead Like An Angel (1998)
KOROVAKILL- WaterHells (2001)
CHRYST - PhantasmaChronica (2011) (Review)
 
Sechs Jahre lang dauerte es dann, bis die Österreicher ihre schillernde, sonderbare Tonkunst auch professionell an den Fan bringen konnten, denn die Landsmänner von Napalm Records nahmen das Risiko auf sich und veröffentlichten das Debütalbum „A Kiss In The Charnel Fields“. Selbiges Werk riss die Grenzen des extremen Metal gnadenlos nieder, so als hätten diese lediglich aus Zeitungspapier bestanden, welches auf überdimensionale Schaschlikspieße gesteckt wurde. Sämtliche Gesetze wurden ausgehebelt, und die musikalische Neoanarchie spiegelte sich albumübergreifend wider. Zu dem rabiaten Gemisch aus Black-, Death-, Thrash- und sonstigem Derb-Metal gesellten sich Kammermusik, Prog, Klassik, Minnesang, alpine Tonkunst, halluzinogen anmutende Psychedelia, ja selbst Dark Wave, Art Rock, Hörtheater, Rock'n'Roll, jazzige Anleihen und Filmmusikfragmente fanden sich auf diesem vom Irrsinn geprägten, bizarren Kunstgebilde. Thematisch bewegte sich die Scheibe ebenfalls in unkonventionellen Gefilden – auf diese jedoch einzugehen, würde einen Kostenvoranschlag für den Druck eines Buches voraussetzen.

 Chryst - Korova zu Charnel-Zeiten Chryst - Korova zu Charnel-Zeiten II
KOROVA 1995, zu „A Kiss In The Charnel Fields“-Zeiten.

Textlich wurde das ganze in zahlreichen Sprachen wiedergegeben, denn anstatt sich nur stumpf in Standard-Deutsch und Englisch auszudrücken, wurden gerne auch andere Sprachen eingesetzt, so zum Beispiel Mittelhochdeutsch oder Gotisch. Niederwieser selbst setzte sich hierbei ähnlich einem verrückten Professor, der nackend entzückt seine Idee den Menschen in der Fußgängerzone einer Großstadt verkündet, in Szene und deckte die komplette Palette von Screams, Growls, Minnesang, opernhafter Theatralik, markerschütternden Schreien, Flüstern, Wimmern und herrscherhaftem Gebell ab.

Oberflächlich oder gebrandmarkt von den „Gesetzen“ der Musik nach Lehrbuch gesehen – ganz wie man möchte –, hätte man meinen können, dass die Instrumente auf „A Kiss In The Charnel Fields“ verstimmt gewesen seien, doch KOROVA trieben die Anarchie auf die Spitze und vernichteten in ihrem Kosmos auch die Zwischenräume zwischen den Halbtönen. Die rohe Produktion des Longplayers passte zu diesem akustischen Sodom und Gomorrha wie die Faust aufs Auge, denn wie hätte es denn getönt, wenn man mit der Hygienekeule auf das Gesamtergebnis eingedroschen hätte? Dass das nur bedingt klappt, durfte man in den folgenden Jahren bei zahlreichen anderen Bands erleben – auch die wiederaufgelegte Version des Albums, das man als Download erwerben kann, zeigt auf, wie sehr sich neue Versionen alleine vom Gefühl her von ihren Ursprungsversionen unterscheiden können.  Auf jenem Re-Release findet der Hörer übrigens auch das kleine Schmankerl „Trip To The Bleeding Planets“, welches auch auf dem Nachfolgealbum „Dead Like An Angel“ in modifizierter Form enthalten war.

 Chryst - Korova zu Dead Like An Angel-Zeiten Chryst - Chrystof zu Echowelt-Zeiten
Links: KOROVA 1998, als „Dead Like An Angel“ erschien.
Rechts: Chrystof bei den „Echowelt“-Fotosessions.


Dieses 1998 erschienene Werk, wohl auch ein alternativ eingeschlagener Weg statt dem der „Echowelt“-EP, welche aufgrund ihres angeblichen Experimentalismus selbst beim damaligen Label keine Chance auf Veröffentlichung hatte, zeigte KOROVA dann in beinahe schon abgespeckter Version. Die extremmetallischen Elemente wurden weniger chaotisch eingesetzt, die Gesetze der Halbtöne wurden wieder brav befolgt, und die Songstrukturen wurden deutlich nachvollziehbarer. Im Vergleich zum Debüt konnte man bei einigen Stücken von „Dead Like An Angel“ fast schon von Pop-Appeal sprechen, besonders, wenn man sich mal das unerwartet leicht verdauliche „Strangulation Alpha“ zu Ohren geführt hatte. Nur selten wurden die Kontraste noch so stark hochgedreht wie etwa bei „Our Reality Dissolves“, das das wohl wechselhafteste, genrereichste Stück des Albums darstellte. Eher verlagerten sich die Gegensätze vom Songinternen ins Songexterne: Entweder war das Stück konsequent simpel (Titeltrack), konsequent heftig oder konsequent schräg. Selbst das zehnminütige „Der Schlafmann kommt“ war trotz seiner learyesken Tendenz ein in sich schlüssiger Song, bei dem selbst die „MR. BUNGLE auf düster“-Ausbrüche kontrolliert erschienen. „Dead Like An Angel“ ist sozusagen das andere Gesicht KOROVAs, aber nicht weniger faszinierend.

Kurz nach der Jahrtausendwende schien bei Neuner und Niederwieser die Luft raus zu sein, doch die beiden hielten es nicht einmal ein Jahr durch, also setzten sie den Defibrillator auf die Haut der toten Kuh („korova“ ist das russische Wort für selbige), und – BZZZ! - so stand das Rindvieh fortan wieder auf den Beinen. Zusammen mit ELEND-Tastenmann Renaud Tschirner machete man sich als Trio ans Werk, um unter dem neuen Banner KOROVAKILL im Jahre 2001 das dritte Album „WaterHells“ zu veröffentlichen. Dies geschah über das US-amerikanische Label Red Stream, das bekannt dafür ist, auch sonderbaren Truppen (unter anderem BETHLEHEM) ein Forum zu bieten.

 Chryst - Chrystof, Renaud und Moritz zu WaterHells-Zeiten Chryst - Chrystof und Moritz zu WaterHells-Zeiten
KOROVA waren, KOROVAKILL sind - die Band anno 2001, mit „WaterHells“ im Gepäck.

Sofort fiel auf, dass die Produktion dieses Mal deutlich professioneller und auch „teurer“ klang. Man durfte gespannt sein, ob Chrystof und Co. sich nun wieder gen Abgefahrenheit oder weiter gen „Normalität“ entwickelten, doch die mörderwiederkäuende Dreifaltigkeit machte dem Hörer eine lange Nase, denn sie taten von beidem nichts und beides. Neu war der häufigere Einsatz von Elektronik, der sich unter anderem auch in Form von Drumloops äußerte („Drown Symphony“). Aber auch die Metal-Anteile waren – wenn gerade präsent – wieder massiver vorhanden, wenn auch nicht mehr so häufig in ihrer brutaleren Form. Vielmehr erzeugten sie – wie auch die psychedelischen, klassischen, wavigen, ambienten, theatralischen und weißdergeierwelchen Elemente – gewisse Stimmungen, und das in deutlich intensiverer Form. Atmosphäre war also das, was auf „WaterHells“ oberste Priorität zu haben schien, und die tat dem Konzeptwerk sehr gut. Stilistisch zeigten sich KOROVAKILL noch nie so geschlossen wie auf jenem 48-Minüter. Ausreißer wie etwa das zwischen Zirkus, Black Metal, Art Rock und stravinskelnder Klassik alternierende „The Shadowhordes“ bildeten da eher die obligatorische Ausnahme von der Regel. Ansonsten regierte auf diesem (wenn auch subtil) melodischsten Album ein dichtes Storygeflecht mit der bislang cineastischsten Ausdruckskraft.

Es blieb die Hoffnung auf noch mehr kreativen Output, zumal das Potenzial der Erschaffer erschreckend hoch war. Danach wurde es jedoch sehr still um diese Avantgarde-Legende, und so blieb neben dem musikalischen Erbe, das sie hinterlassen hatte, etwas, das mindestens genau so wertvoll war: Die Bands wurden mutiger und brachen bereits in den Neunzigern nach und nach aus ihren selbst gebauten Käfigen aus – einst noch im Underground, anno 2011 allerdings durchaus nicht mehr vom Mainstream geächtet. 

Chryst heute... I Chryst - Chrystof als sein eigener Herr
Wir schreiben das Jahr 2011. KOROVAKILL waren, CHRYST ist.

Tja, und irgendwann schließt sich jeder Kreis einmal, und ich selbst, mittlerweile der experimentellen und avantgardistischen Tonkunst endgültig verfallen, fragte mich vor wenigen Monaten – auch dank des ANGIZIA-Comebacks –, was denn eigentlich aus KOROVA(KILL) geworden sein mag. Es war schlichtweg eine fantastische Überraschung, als mir ANGIZIA respektive Michael Haas verkündete, dass Chrystof Niederwieser wieder aktiv sei. Nunmehr alleiniges Band-„Mitglied“, lag es nahe, auch den Bandnamen zu ändern, denn der vor einigen Jahren ins Schwabenland umgesiedelte Musiker ist von nun an sein eigener Gott: CHRYST. Seit dem 21. September 2011 ist das Ergebnis seiner musikalischen Arbeit der letzten Jahre nun auch in physischer und digitaler Form zur Wirklichkeit geworden.

PhantasmaChronica“ nennt sich das 47-minütige Album, welches erneut ein Konzeptalbum ist – und das aus genau einem Song besteht. Da dieses wieder deutlich chaotischere Züge hat und zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Specials noch einige Durchläufe benötigte, darf der Leser sich auf ein hiervon entkoppeltes Review freuen. Ein aufschlussreiches Interview mit Chrystof wird ebenfalls folgen.

Weblinks:
KOROVAKILL-Homepage
CHRYST-Homepage

Chris Popp (Info)