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Interview mit Wardruna (17.04.2013)

Wardruna

Mit dem zweiten Album "Yggdrasil" hat das norwegische Folklore-Projekt WARDRUNA, das von Einar "Kvitrafn" Selvik (ex-GORGOROTH) geführt wird und an dem auch Sänger Kristian Eivind Espedal, besser bekannt als Gaahl (auch ex-GORGOROTH, jetzt GOD SEED), beteiligt ist, ein bezaubernd schönes Album veröffentlicht. So ungewöhnlich wie die Musik ist auch die Art und Weise, wie sie entsteht und worauf sie sich bezieht. Einar Selvik gibt im ausführlichen Interview einen tiefen Einblick in das Kunstwerk WARDRUNA.

Zunächst würde ich gerne wissen, was die Initialzündung für WARDRUNA war. Warum hast du dieses Projekt bzw. diese Band gestartet und welche Ziele verfolgst du damit?

Es gab mehrere Gründe dafür, aber anfangs war es ein Resultat dessen, dass ich mehr und mehr das Bedürfnis verspürte, mit Musik und einem Konzept zu arbeiten, das mir sehr am Herzen liegt und mit meiner Leidenschaft für die alten nordischen kulturellen und spirituelle Traditionen zu tun hat. Ich habe außerdem gespürt, dass es Zeit wird, dass jemand sich mehr auf ihrer eigenen Grundlage mit diesen Themen beschäftigt und dafür die maßgeblichen und ergänzenden Sounds und Instrumente benutzt.

Du beziehst dich mit deiner Musik auf die Runenreihe, die das ältere Futhark genannt wird. Ist das nur eine Inspirationsquelle für dich oder auch Teil deines persönlichen Glaubens?

Seit meiner Kindheit habe ich großes Interesse an meinen Wurzeln sowie der nordischen Mythologie und Geschichte, insbesondere in Bezug auf die esoterischen Teile und den Naturglauben der nordischen Tradition. Es ist also ein deutlicher Teil meines persönlichen Glaubens und natürlich auch eine große Quelle der Inspiration.

Gibt es bei WARDRUNA also einen Song pro Rune? Das erste Album handelt von acht der Runen, das zweite mit weiteren acht und das dritte wird die verbleibenden acht behandeln. Wie ist die Musik mit der entsprechenden Rune verknüpft? Ich denke, dass diese Frage nicht leicht zu beantworten ist, aber eine gewisse Verbindung gibt es doch sicher. Oder besteht die Verbindung nur in den Texten eines Songs?

Mit WARDRUNA suchen wir in den verstreuten Runen unserer nordischen Geschichte und die weitergehende "Runaljod"-Trilogie nutzt die ursprünglichen nordischen Runen, die man auch als älteres Futhark kennt, als Werkzeug, um die kulturellen, musikalischen und kultischen Aspekte unserer nordischen Vergangenheit zu erforschen, verstehen und beleuchten. Meine Annäherung an die Runen ist gleichermaßen akademischer wie auch mystischer Natur, weshalb mein Ansatzpunkt immer auf faktischem Wissen basiert, danach gehe ich mehr in das intuitive Detail. Das kreative Konzept der Trilogie besteht also darin, jede der Rune in ihrem eigenen Rahmen zu interpretieren. Ich benutze Wörter, Instrumente und Sounds und nehme sogar an Plätzen oder unter Bedingungen auf, die relevant für den festgelegten symbolischen Wert einer Rune sind. Das bedeutet zum Beispiel, dass ich in den Wald gehe und an einer Birke Sounds erzeuge und diese in die Musik implementiere, wenn ich an der entsprechenden Birken-Rune arbeite. Ein Beispiel vom neuen Album ist der Song "NaudiR". Naudir bedeutet Not. Es repräsentiert alles, was Not ausmacht, aber auch das Feuer, das sich entzündet, wenn man in wirklich verzweifelter Not ist. Es ist das Feuer, das Leben nimmt und Leben gibt. Die Vocals für diesen Song wurden teilweise draußen aufgenommen. Ich habe zwei Tage lang gefastet, bin dann barfuß und kaum bekleidet auf einen schneebedeckten Berg gegangen und habe versucht, dieses Feuer in dem Song einzufangen.

Kannst du den Prozess beschreiben, der abläuft, wenn du eine Inspiration hast und daraus ein Song entsteht?

WardrunaDas ist von Song zu Song unterschiedlich. Manchmal kann ich die Musik hören, wenn ich draußen herumlaufe, manchmal fange ich einfach mit einem Element oder Sound an, über das oder den der entsprechende Song handelt und lasse ihn sich ab diesem Punkt entwickeln.

Ich würde nun gerne über die alten und historischen Instrumente, die du benutzt, sprechen. Woher hast du diese Instrumente? Konntest du sie irgendwo kaufen oder hast du sie selber gebaut? Hier in Deutschland gibt es Band, die folkloristische und mittelalterliche Musik spielen und die ihre Instrumente teilweise auch selber gebaut haben.

Als ich angefangen habe, in dieser Konstellation zu arbeiten und in der musikalischen Historie zu graben, stieß ich auf mehr und mehr Instrumente, die ich benutzen wollte – viele von ihnen längst vergessen und nur von sehr wenigen Menschen gebaut oder gespielt. Ich musste also selber lernen, wie man sie spielt. Ein paar der Instrumente habe ich auch selber gebaut. Am ersten Album habe ich sieben Jahre bis zur Fertigstellung gearbeitet und ein großer Teil dieser Zeit entfiel auf den Prozess, die richtigen Werkzeuge dafür zu bauen, zu lernen und zu bekommen.

Und wie hast du gelernt, Instrumente wie die Kraviklyra oder die Tagelharpa zu spielen? Gibt es dafür Anleitungen oder hast du die Instrumente einfach genommen und versucht, darauf Musik zu machen? Hattest du vielleicht Lehrer, die dir dabei geholfen haben?

Das fühlt sich alles noch sehr neu an und der Lernprozess ist fortschreitend. Mein Ziel ist es, etwas Neues mit etwas Altem zu erschaffen, weshalb ich absichtlich keinerlei Musik gehört habe, die mit diesen Instrumenten gespielt wurde, bevor ich angefangen habe, sie zu erforschen. Ein Folkmusiker würde auf Anhieb Folkmusik auf einer Tagelharpa spielen, ich wollte mich diesen Instrumenten aber eher mit einer weißen Weste nähern.

Und welche Instrumente sind eher leicht und welche eher schwer zu erlernen?

Ich denke das hängt davon ab, welches Talent man als Musiker hat. Abgesehen vom Schlagzeugspiel bin ich meiner Meinung nach kein sehr geübter Instrumentalist. Meine Fähigkeiten tendieren eher dahin, alles zusammenzufügen.

Welches ist denn dein Lieblingsinstrument und warum?

Schwierige Frage. Das variiert, aber im Moment mag ich die Kraviklyra sehr gern. Sie hat einen sehr sanften und hübschen Klang und man kann sie sehr vielseitig benutzen.

Aus wie vielen Instrumenten besteht ein WARDRUNA-Song durchschnittlich? Oder unterscheidet sich das stark?

Es ist schwierig, da einen Durchschnitt zu nennen, denn manche Songs bestehen nur aus drei bis fünf verschiedenen Elementen, anderen haben über 20 Sounds und Instrumente.

Du spielst die meisten Instrumente selber. Wie lange brauchst du ungefähr dafür, das instrumentale Grundgerüst eine Songs zu erschaffen?

Ich spiele alle Instrumente auf "Yggdrasil". Manchmal ergibt sich die Richtung des Songs innerhalb weniger Stunden, manchmal dauert es auch bis zu einem Jahr, die am besten passende Struktur zu finden.

Schreibst du auch alles Gesangspassagen selber oder lässt du die beiden Sänger Gaahl und Linda-Fay Hella ihre Inspiration und Gesangslinien so zu einem Stück hinzufügen, wie sie finden, dass es passen würde?

WardrunaAuf diesem Album habe ich viel enger mit beiden am Prozess des Arrangierens zusammengearbeitet, als auf dem vorherigen. Wir haben einen sehr guten kreativen Fluss untereinander entwickelt.

Die Musik klingt authentisch alt und altertümlich. Zumindest vermute ich, dass es so ist, weil es sich so anfühlt. Wie erreichst du das? Es gibt sicherlich altertümliche Lieder oder Melodien, die einem zeigen, wie die Musik in diesen alten Zeiten klang, Ist das richtig? Oder gibt es irgendwelche Aufzeichnungen, die die helfen, diese Melodien und Harmonien zu entwickeln?

Bei WARDRUNA geht es nicht um so etwas wie historische Nachstellung oder darum, zu versuchen, um jeden Preis authentisch zu sein. Es geht mehr darum, etwas Neues mit etwas sehr Altem zu erschaffen und darum die Energie und Atmosphäre zu erfassen. Ein paar der Instrumente sind sehr limitiert dahingehend, was zu spielen mit ihnen möglich ist, es ist also egal, was man darauf spielt, denn zu einem gewissen Grad ist das automatisch authentisch. Ich benutze auch die alten nordischen Sprachen und schreibe meine Texte in alten nordischen poetischen Versmaßen. Die können auch über die Rhythmen, die zu einem Song passen, bestimmen. Wenn man also all diese Teile zusammenfügt, ist es zu einem gewissen Grad auch authentisch.

Gibt es in Norwegen Forschung bezüglich alter nordischer Musik und wenn ja, sind dessen Ergebnisse hilfreich für WARDRUNAs Musik?

Es gibt welche, aber ihre Qualität ist sehr unterschiedlich, deshalb bevorzuge ich es, mich auf meine eigenen Forschungen zu verlassen.

Die Texte sind nicht nur in Norwegisch, sondern auch in Altnordisch und ursprünglichem Nordisch verfasst. Hast du diese Sprachen extra für die Texte von WARDRUNA gelernt und ist das schwierig? Hier in Deutschland muss man schon zur Universität gehen, um altgermanische Sprachen zu lernen.

Ich studiere die Sprachen, um in den alten Sprachen texten zu können, aber auch um die Quellen aus erster Hand studieren zu können. Es ist sehr schwierig und ich habe das Gefühl, dass ich noch ein Anfänger bin. Aber es ist unglaublich, was man da machen kann, wenn man sich Mühe gibt. Das ursprüngliche Nordisch ist besonders herausfordernd, weil wir so wenig darüber wissen. Was wir haben basiert auf wenig mehr als 200 Runensteinschnitzereien und auf ursprünglichen germanischen Quellen.

Wie sieht es aus, wenn du an draußen etwas aufnimmst? Was für ein Equipment benutzt du dann? Und wie findest du Plätze, an denen du etwas aufnehmen willst? Gehst du auf lange Spaziergänge und suchst nach geeigneten Plätzen?

Der größte Unterschied zu einem herkömmlichen Aufnahmeprozess besteht darin, dass es viel mehr Zeit in Anspruch nimmt. Alle Aufnahmen, die man draußen macht, sind natürlich weniger komfortabel und es gibt viele Hindernisse, über die man normalerweise nicht nachdenken muss, aber im Grunde genommen finden die Aufnahmen nicht anders statt, als bei Innenaufnahmen. Bäume und Steine werden genauso mikrofoniert wie normale Instrumente. Was die Orte angeht: manchmal kenne ich den richtigen Platz schon, manchmal muss ich aber auch lange suchen und verschiedene Dinge ausprobieren.

Bei deinem musikalischen Hintergrund ist es klar, dass viele Leute aus der Metalszene für deine Musik interessieren. Habt ihr auch ein breiteres Publikum in Norwegen, das nicht zur Metalszene gehört?

Ja, es sind viele Leute mit einem Metalhintergrund, aber das Publikum, das wir haben ist sowohl in Norwegen als auch anderswo sehr breit gefächert. Ich denke WARDRUNA behandeln Themen, in denen sich die meisten Leute wiederfinden, egal welchen Alters, kulturellen oder sozialen Hintergrunds. Grundsätzlich geht es um die Beziehung des Menschen zur Natur, zueinander und zu etwa Größerem als uns selbst.

Berichten denn auch die norwegischen Mainstream Medien über WARDRUNA?

WardrunaJa, wir hatten hier große Beiträge und auch sehr gute Reviews in den Mainstream Medien in Norwegen.

Ihr spielt ja auch live. Wie viele Musiker sind dann beteiligt? Und welche Instrumente benutzt ihr auf der Bühne?

Ja, wir spielen ausgewählte Konzerte. Ich bin sehr bestimmt in der Frage, wie ich meine Musik präsentieren möchte, deshalb halten wir uns daran, Konzerte zu spielen, bei denen sowohl der praktische als auch der ästhetische Rahmen zusammen passen. Normalerweise sind wir sieben Musiker auf der Bühne, wie spielen aber auch mit mehr oder weniger Leuten auf der Bühne. Wir benutzen die Tagelharpa, Kraviklyra, Geige, Hardangerfiedel, Flöten, Ziegenhörner, Lur-Hörner, Baumstämme, Trommeln, Perkussion und Samples.

Und wie viele Konzerte habt ihr bislang gespielt? War das Konzert im Wikingerschiffmuseum Vikingskipshuset in Oslo euer bisher eindrucksvollstes Konzert?

Wir haben 15 bis 20 Shows gespielt und als einzige Band bislang im Wikingerschiffmuseum sogar zweimal spielen zu dürfen, war zweifellos das am meisten besondere Konzert für mich.

Ich könnte mir auch vorstellen, WARDRUNA auf den großen Metalfestivals in Deutschland oder Europa spielen zu sehen. Wäre das etwas für euch? Oder würde es nicht passen, vor einer Menge betrunkener Metalheads zu spielen?

Ich bin immer offen dafür, über Shows zu reden. Wenn ein Festival also in der Lage ist, uns ein passendes Setting zu ermöglichen, ist das sicherlich eine Möglichkeit. Aber egal ob Metalhead oder nicht, ich spiele nicht gern vor betrunkenen Leuten.

Wann fängst du mit der Arbeit an "Ragnarok", dem dritten Album an? Oder hast du schon angefangen? Und wird es weitere vier Jahre bis zur Veröffentlichung dauern?

Ich habe mit ein paar Sachen angefangen und habe viele Ideen für den richtigen Zeitpunkt aufbewahrt. Sowohl das Komponieren als auch das Produzieren sind sehr zeitaufwändig. Gleichzeitig WARDRUNA zu managen wie auch eine Familienmensch zu sein, erfordert viel, es wird also eine Weile dauern, genug Zeit und Raum zu erschaffen, um mich selbst im kreativen Prozess zu verlieren. Als ich hiermit angefangen habe, habe ich mir selbst das Versprechen gegeben, immer ehrlich gegenüber dem Konzept zu sein und keine Abkürzungen zu nehmen und es nicht zu hetzen.

Danke für die ausführlichen Antworten und alles Gute für dich.

Danke für das Interview.

Andreas Schulz (Info)
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