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Interview mit Edguy (28.04.2014)

Edguy

"Space Police - Defenders Of The Crown" ist der Titel des neuen Albums, mit dem EDGUY sich wieder von ihrer härteren Seite zeigen. Kollege Hausfeld wurde zwar nicht so richtig warm mit der Platte, der allgemeine Tenor ist aber der, dass wir es hier mit der besten EDGUY-Platte seit langem zu tun haben. Dieser Meinung schließe ich mich an. Im Rahmen der Listening  Session zum Album hatte ich die Möglichkeit, nahezu ohne Zeitbegrenzung mit Sänger Tobias Sammet und Drummer Felix Bohnke über das Album und die Metalszene zu sprechen. Herausgekommen ist ein sehr langes, mitunter kontroverses Interview, das hier nahezu ungekürzt zu lesen ist. 

Ihr sprecht vom härtesten EDGUY-Album überhaupt. Beim ersten Song dachte ich noch "Oh, okay, ja…", bei anderen Songs dachte ich aber, dass das normaler EDGYU-Härtegrad bzw. die gewohnte Mischung von Hardrock bis Power Metal ist. War das ernst gemeint, dass das euer härtestes Album überhaupt ist?

Ja, das war tatsächlich ernst gemeint und ich bin fest davon überzeugt, dass es das ist. Gut, es kommt immer darauf an, wie man Härte definiert, aber der räudige Sound und die Art und Weise wie die Gitarren klingen  – wir hatten nie dominantere Gitarren. Wir haben in fünf von zehn Songs Uptempo-Elemente und zwar extreme Uptempo-Elemente und selbst solche Songs wie "Space Police" sind eigentlich relativ brachial, auch wenn sie natürlich solche Artrock-Elemente und sehr auslandende Keyboard-Arrangements haben. Aber trotzdem haben sie so eine gewisse Brachialität. Ich finde es sind paar Elemente vorzufinden, die man vielleicht auf der "Hellfire Club" schon hatte, ich finde, sie sind aber konsequenter, zielstrebiger und zukunftsorientierter umgesetzt. Wir hatten das wirklich ernst gemeint.

War das die Zielsetzung? Habt ihr bewusst gesagt "Wir machen jetzt ein härteres Album als die letzten" oder hat sich das ergeben?

Nach der AVANTASIA-Tour, von der wir gerade zurückkamen, haben wir erst einmal Pause gemacht. Dann habe ich gedacht, dass die anderen, die die ganze Zeit zuhause saßen, sagen, dass wir mal aus dem Quark kommen müssen oder ich ergreife die Initiative, was ich prinzipiell eigentlich lieber mache und sage "Komm, wir machen ein neues Album, obwohl ich noch gar keine Songideen habe". Und so habe ich es gemacht, bevor mir einer zuvorkommt, entscheide ich es lieber selbst. Waren auch natürlich alle mit einverstanden. Und damit mir das Umswitchen von AVANTASIA auf EDGUY nicht so schwerfällt, habe ich die ersten Songideen, die ich hatte, mit Sascha ausgearbeitet, so wie wir halt an AVANTASIA-Songs arbeiten, das war "Sabre & Torch". Dann war der Song fertig und ich dachte "Wow, der geht voll aufs Maul" und das war vom Soundbild, vom Riffing her einfach irgendwie so wie "Mysteria", aber mal so richtig ohne Kinderkasper. Halt sehr brachial. Man kann nichts in eine Richtung forcieren, die man nicht sowieso gewillt ist zu gehen. Das macht keinen Sinn. Man muss die Dinge einfach passieren lassen.

Irgendwie fühlte sich das nach "Age Of The Joker", das diesen Retrosound hatte, richtig an. Wir wollten jetzt mal krass in die andere Richtung gehen. Scheiß drauf, einfach mal Gas geben. Und so ist dann die ganze Platte geworden. Da kam dann plötzlich "Defenders Of The Crown", wo wir gesagt haben, dass wir das auch so vor zehn Jahren hätten bringen können. Kann man das noch machen? Klar! Fühlt sich jetzt gerade richtig an.  Trotzdem ist sie vom Soundbild und den spielerischen Qualitäten einfach zukunftsorientiert. Deshalb denke ich, dass es definitiv unsere härteste Platte ist. Wenn du irgendwelche 80er-Jahre-Speed-Metal-Platten als hart empfindest, dann vielleicht nicht. Ich finde, es ist so eine räudige, ursprüngliche Härte, wie wir sie auf "Hellfire Club" auch hatten, ohne dass wir irgendwie "back to  the roots" gehen wollten.

Ich habe das Gefühl, dass die Platte sehr viel von dem zusammenfasst, was ihr bisher gemacht habt. Es gibt die härteren Sachen, die hardrockigeren Sachen oder auch die Keyboards bei "The Eternal Wayfarer", die haben mich total an "Vain Glory Opera" erinnert, weil sie sehr prägnant und irgendwie auch simpel sind, so wie es damals war. Die Platte beinhaltet sehr viel von dem, was EDGUY ausmacht, oder?

Bei den Keyboards ist es ganz lustig, dass dir das auffällt. Da war es so, dass ich dieses Mal nicht wollte, dass Miro, der es eigentlich viel besser kann als ich, die macht, sondern ich wollte das zusammen mit ihm machen. Das habe ich das letzte Mal auf der "Hellfire Club" gemacht. Und bei der "Vain Glory Opera" natürlich auch, damals habe ich die Keyboards alle alleine gemacht. Jetzt wollte ich das wieder machen, ich wollte, dass es ein bisschen weniger filigran ist, ich möchte, dass es plakativ ist und nicht, dass es super-high-end mit 84 Keyboard-Spuren arrangiert ist. Ich möchte einfach mit meinen zehn Gichtfingern das spielen, was da hingehört, ohne das jetzt übertrieben auszuarbeiten. Ich habe also gespielt und Miro hat ein bisschen an den Sounds gedreht. Ich bin zwar ein bisschen limitierter als Keyboarder, aber dadurch kam auch dieser alte EDGUY-Signature-Sound bei heraus. Mehr war auch nicht nötig, weil es eine Gitarrenplatte ist, so wie es früher auch war. Die "Hellfire Club" ist auch eine Gitarrenplatte. Natürlich sind da Keyboards drauf, so wie bei "King Of Fools" so ein prägnantes Riff, das du auch mit zwei Fingern und 8,9 Promille spielen kannst.

EdguyWas spielt ihr eigentlich? Ihr habt Hardrock-Stücke und harte Power-Metal-Stücke. Ist das EDGUY-Metal? Oder einfach Melodic Metal? Was sagt ihr, wenn ihr gefragt werdet, was für einen Metal ihr spielt?

Wir wurden auch für unsere Bandinfo gefragt, wie wir das eigentlich definieren. Es ist einfach tatsächlich so – und das ist das höchste, was sich eine Band erarbeiten kann, auch wenn es größenwahnsinnig klingt, aber ich meine das wirklich ernst – dass wir so klingen wie wir klingen. Als die ersten Heavy-Metal-Bands angefangen haben, wussten die auch nicht so genau, was sie sagen konnten, wenn sie gefragt wurden, was sie eigentlich spielen. Wie klangen IRON MAIDEN damals, 1979? War das jetzt Punk oder Glam Rock? Das war einfach IRON MAIDEN.  Und wir sind einfach EDGUY. Wir klingen wie eine Band, die "Hellfire Club" und "Rocket Ride" und "Vain Glory Opera" aufgenommen hat und die so klingt, wie sie 15 Jahre später zu klingen hat. Was anderes kann man da nicht sagen. Wir machen, was wir machen. Wir haben live "Mysteria" und direkt danach "Lavatory Love Machine" gespielt und die gleichen Fans, die da stehen und ein KREATOR- oder IRON MAIDEN-Shirt anhaben, finden das geil. Wenn man 1985 beim Monsters Of Rock war, hatte man BON JOVI neben IRON MAIDEN, METALLICA und MAGNUM ertragen. Viele Fans kamen mit all diesen Bands klar. Und das geht mir heutzutage in der Szene ein bisschen ab. Man hat es mit Buchhaltern zu tun, die alles irgendwie in eine Schublade stecken wollen. Aber das muss man nicht. Ich kann guten Gewissens sagen, ich finde OZZY OSBOURNE geil, ich finde IRON MAIDEN geil, ich finde METALLICA geil und wenn ich KREATOR hören will, finde ich KREATOR geil und ich kann trotzdem noch "Livin‘ On A Prayer" geil finden. Die können auf einem Festival alle nacheinander spielen und ich gucke sie mir alle an und bin glücklich. Das hast du heute bei vielen Leuten nicht mehr. Spießiger geht es ja gar nicht.

Tobi, du bist ein herausragender Songwriter in der deutschen Szene und ich habe mal überlegt, was du sonst noch machen könntest.

Schreiner! Oder Fliesenlegen!

Ich meinte eher so eine reine Rockplatte, die mit Metal nicht mehr viel zu tun hat. Frage an dich, Felix: Kommt der Tobi öfter mal mit Ideen an, wo ihr sagt "Nee, das ist nicht mehr EDGUY"?

Felix: Bis jetzt eigentlich noch nicht, nein. Wir haben natürlich schon oft darüber gesprochen, auch weil sich der Musikgeschmack eines jeden einzelnen über die Jahre entwickelt und verändert hat. Wir haben auch schon öfter mal eher im Scherz darüber gesprochen, dass, weil wir beide und auch Dirk so diesen 80er-Jahre-Glam oder Poserrock ganz geil finden, wir uns das persönlich auch ganz gut vorstellen könnten. Das würde nur überhaupt nicht zu EDGUY passen, zumindest nicht in diesem Extrem. Mit sowas ist er eigentlich noch nie angekommen, mal abgesehen von Sachen wie "Trinidad", die aber auch mit einem gewissen Augenzwinkern waren und wo von vornherein klar ist, dass das kein EDGUY-Song als solches ist. Auseinandersetzungen gab es da aber nie. Es ging aber auch nie darum, dass wir mit der Brechstange probiert haben, einen ganz bestimmten Stil zu verfolgen. Deshalb klingen EDGUY so, weil keiner dahinter steht und sagt, das muss jetzt aber genau so sein. Wenn es mal softer wird, dann ist es es halt so und wenn es wieder härter wird, wie auf der neuen Platte, dann ist das halt auch so. Aber das ist nicht am Reißbrett entstanden und wir haben nicht gesagt, das muss jetzt wieder hart sein.

Wie viele Ideen hast Du, Tobi, bei denen du denkst, dass du das gerne machen würdest, aber die weder EDGUY, noch AVANTASIA sind? Ich könnte mir zumindest vorstellen, dass du in der Lage wärst, ein gutes Poprock-Album zu machen.

Ich hatte nie das Gefühl, dass ich meine Ideen bei den beiden Sachen nicht ausleben kann. Ich hatte noch nie eine Idee, wo ich gesagt habe "Nee, das kannste nicht bringen". Der Refrain von "Love Tyger" existiert schon ziemlich lange, schon seit vor der letzten AVANTASIA und ich wusste, dass das nichts ist, was zu AVANTASIA passt. Ich hab den dann zur Seite geschoben und irgendwann ergibt sich dann vielleicht doch was. Dann geht man seine Ideen durch und dann kommt man darauf, dass man da doch was machen kann. Dann merkst du, dass du das ohne Probleme in den EDGUY-Kontext bringen kannst. Man muss halt drumherum einen harten Rocker schreiben, also einen riffigen Song, und dann ist das nicht softer als zum Beispiel "Walk On Fighting" oder "Lavatory Love Machine". Dann musst du einfach nur die Eier haben, das im Kontext deines Betätigungsfeldes feilzubieten. Also nicht gegenüber meinen Bandmitgliedern, sondern gegenüber der Öffentlichkeit. Das sind EDGUY und EDGUY sind auch ein Stück weit ich, das ist mein Song und der passt auch dazu. Wenn man aber ständig Schiss hat, dass irgendeine Idee einen Tick zu soft oder einen  Tick zu hart sein könnte, dann wird auch das, was man macht, musikalisch an Relevanz verlieren, dann ist deine Band nicht mehr abwechslungsreich und du machst nur noch, wovon du sicher bist, dass deine Fans das mögen.

Wie kam es dazu, dass das Album zwei Titel hat?

Zwei Titel, weil wir uns nicht entscheiden konnten. Wir könnten natürlich auch sagen, dass wir die erste Band sein wollten, die zwei Titeltracks hat.

Felix: Wir SIND die erste Band, die zwei Titeltracks hat.

Wir wollten halt ins Guiness-Buch der Rekorde und weil die lauteste Band der Welt ja schon die lauteste Band der Welt ist, wollten wir halt die Band mit zwei Titeltracks werden. Nein, wir konnten uns einfach nicht entscheiden. Zuerst war "Defenders Of The Crown" unser Albumtitel, also die ganze Zeit der Arbeitstitel, weil der ein bisschen augenzwinkernd unsere bisherige Karriere unter die Lupe nimmt.

Inwiefern?

Dass wir einfach überlegt haben, was wir schon in 22 Jahren des Bandbestehens erlebt haben. Ich habe einfach mal Revue passieren lassen und dachte, dass das schon ganz ordentlich ist, was da in der Zeit passiert ist. Wir sind nicht die größte Band – die ROLLING STONES sind immer noch deutlich größer – aber es ist schon Wahnsinn, wie viel man erreicht hat, ohne dass man irgendwie jemals Arsch gekrochen ist. Wir haben so ziemlich alle Regeln gebrochen, die man brechen kann, wir haben nie das gemacht, was man erwartet. Jeder PR-Berater wird dir sagen, dass man ein schlüssiges Image braucht, aber bei uns war nie etwas schlüssig, wir hatten nie ein Image, sondern haben immer nur unsere Musik total ernst genommen, aber das Drumherum nicht so ganz ernst. Und ganz ehrlich, wer mal ein paar Jahre in die Szene schnuppern konnte, der kann das auch nicht ganz ernst nehmen. Ein erwachsener Mensch, der hinter die Kulissen der Heavy-Metal-Szene guckt, kann diese Szene nicht ernst nehmen. Und wir haben das nie gemacht. Jeder PR-Berater einer Plattenfirma wird dir sagen "Mach das bloß nicht", aber wir haben trotzdem nur gemacht, was wir wollten und so richtig schiefgegangen ist es ja auch nicht. Und deshalb haben wir gedacht, wenn es irgendjemanden gibt, der die Krone des Heavy Metals verteidigen kann, dann sind wir das. Weil, die einzig wirkliche True- Metal-Band der Welt sind wir. Eigentlich.

Und der andere Titel?

Zu "Space Police" kam es so: Der Song stand schon, bevor der Text dazu stand und dann kam eben der Text dazu und ich dachte, dass wir das Album eigentlich "Space Police" nennen sollten. Eine Heavy-Metal-Band, die ihr Album "Space Police" nennt und so eine Granate abliefert, ist doch irgendwie geil. Das hat doch auch Eier. Wer in der Heavy-Metal-Szene würde sein Album "Space Police" nennen? Ich glaube, fast keiner. So was hätten sich nur die alten, richtig truen Haudegen wie FRANK ZAPPA und DAVID BOWIE getraut. Aber eine richtige True-Metal-Kapelle? Die hätten doch nicht die Eier, ihr Album "Space Police" zu nennen, aber wir haben diese Eier schon.

Die würde es dann vielleicht "Somewhere Out In Space" nennen…

Allgemeines Gelächter.

Diese Band ist aber tatsächlich geil. So einen Song wie "Defenders Of The Crown" würde es ohne Kai Hansen nicht geben. Das muss man einfach so anerkennen. Zwar nicht bewusst, aber wenn ich mir das im Nachhinein anhöre, dann ist das ein Tribut an Kai Hansen und GAMMA RAY. Kai Hansen ist der einzige Metalgott, den es gibt und da stehe ich auch zu.

"Defenders Of The Crown" könnte auch ein MANOWAR-Albumtitel sein, aber über MANOWAR reden wir mal nicht.

Das könnte auch ein Computerspiel sein.

Genau, ein Computerspiel, das es damals für den C64 oder den Amiga gab…

Klar, das hatten wir im Hinterkopf. Das ist ein Tribut an die Vergangenheit und wir alle sind aus dieser Generation und zumindest Dirk und Jens kannten das Spiel auch.

Tobi kramt sein iPhone raus und startet das Spiel darauf…

Das ist natürlich nicht so richtig geil im Vergleich zu heute, aber das ist meine Jugend.

Dass es einen Porno von 1973 mit dem Titel "Baba Yaga – Im Foltergarten der Sinnlichkeit 2" gibt, habt ihr heute ja schon in anderen Interviews erfahren…

Das haben haben wir heute erfahren und ich wusste es tatsächlich nicht. Für mich ist Baba Yaga einfach nur die Hexe aus dem russischen Märchen.

Wie kommt man darauf?

Es gibt von Mussorgsky ein Stück "The Hut Of Baba Yaga". Es gibt aber auch einen russischen Märchenfilm "Abenteuer im Zauberwald". Baba Yaga ist einfach die Hexe aus der slawisch-osteuropäischen Mythologie. Darauf beruht auch unsere Hexe, wie wir sie aus Grimms Märchen kennen. Das ist einfach eine Metapher und ich finde, dass Baba Yaga schön klingt.

Den Text von "Space Police" kann ich auf Anhieb gar nicht so einordnen. Was ist der Gedanke dahinter, was ist die "Space Police"? Ihr hattet bisher ja nicht so viel mit Weltraum am Hut…

Die "Space Police" ist die Grenzpatrouille, die die Grenzen der Grenzenlosigkeit bewacht. Kann man das so sagen?

Das hört sich ein bisschen geschwollen an.

Es geht um selbsternannte Moralapostel, die Regeln an Stellen aufstellen, an denen es eigentlich keine Regeln geben sollte. Es geht um Kunst, die Freiheit der Kunst, um Träume. Es geht um Leute, die die Träume von anderen in ihre Schranken weisen wollen. Das kann man auf die Kunst, auf die Metalszene, auf das Leben als solches projezieren. Es geht um Leute, die andere Leute darauf hinweisen, was sie dürfen und was sie nicht dürfen. Gerade in der Metalszene, in der es das eigentlich nicht geben sollte, gibt es das sehr häufig. Dass Leute sagen, Grenzenlosigkeit und Outlawtum ja, aber bitte nur bis zu einem gewissen Punkt, den man nicht überschreiten darf. Wir haben als junge Musiker angefangen, in dieser Szene was zu machen, weil wir so naiv waren zu glauben, dass Heavy Metal spielen bedeutet, dass du einfach machen kannst, was du willst und einfach drauf scheißt, was die anderen sagen, was die Erwachsenen sagen und was die Sittenwächter und die Moralpolizei sagen. Einfach den Mittelfinger zeigen und drauflos machen. Ohne irgendjemandem Rechenschaft abzulegen. Und wenn du dann in dieser Grenzenlosigkeit angekommen bist, merkst du ziemlich schnell, dass es da durchaus Regeln gibt und dass es durchaus die Polizei gibt, die darauf achtet, dass du die Spielregeln der Grenzenlosigkeit einhältst. Und das passiert dir in der Metalszene von morgens bis abends. "Sei authentisch – aber mach das, was ich will, ansonsten bist du scheiße."

EdguyIhr seid trotzdem völlig unangepasst und zieht das durch, was ihr wollt und das ist ja genau das, was man vom Metal immer wollte. Es mag zwar durchaus sein, dass euer Stil derzeit nicht so ganz angesagt ist, wie er in den 90ern mal war…

Der ist überhaupt nicht angesagt.

Aber trotzdem zieht ihr euer Ding mit einer Konsequenz durch, die man, wenn man das, was man an Metal mag, auch versteht, einfach nur gutheißen kann.

Meine Vorstellung von Heavy Metal war immer die, dass sich da zwei Meter große Männer in Frauenklamotten über Lehrer hergemacht haben oder dass da ein erwachsener Mann in Schuljungenuniform über die Bühne hüpft und seinen nackten Arsch zeigt oder ein Typ ein Sägeblatt zwischen den Beinen hat, aus dem Funken sprühen. Das war war für erwachsene Männer eigentlich alles reichlich albern. Aber andere Leute haben sich darüber aufgeregt und ich fand’s geil. Die ziehen das einfach durch und machen, was sie wollen, ganz egal, was die Öffentlichkeit dazu sagt. Das war für mich der Inbegriff von Heavy Metal. Typen wie Ozzy Osbourne, Angus Young, Dee Snider oder Blackie Lawless haben gemacht, worauf sie Bock hatten. Das wollte ich auch. Ganz ohne Arbeitgeber den ganzen Tag nur Heavy Metal machen. Dann machste das irgendwann und dann kommen Leute an und sagen "Das geht aber nicht, so macht man das nicht, du darfst keine Witze auf der Bühne erzählen". Was? Da waren Männer, die haben ihren nackten Arsch auf der Bühne gezeigt und sind mit 40 Jahren mit der Schuluniform von links nach rechts gehüpft und haben sich auf dem Boden gewälzt und du willst mir jetzt erzählen, ich darf keine Witze erzählen? Hast du den Schuss nicht gehört?

Ist die Metalszene zu spießig geworden?

Ich weiß nicht, ob sie es geworden ist, zumindest ist sie spießiger, als ich es mir am Anfang gedacht hatte. Aber das Gute an der Sache ist ja, dass wir die ganzen Spießer schon vor Jahren verjagt haben. Die hören jetzt ihren Metal mundgerecht, so wie sie es haben wollen. Die können Odin huldigen und machen was sie wollen. Ich finde Odin ja auch nicht per se scheiße, aber mein Gott, man muss auch nicht alles so bierernst sehen. Die Leute, die uns scheiße finden, haben wir schon vor langer Zeit vergrault und die, die jetzt noch zum EDGUY-Konzert kommen, die mögen uns wirklich und mit denen ist das ein wunderschönes Verhältnis. Und denen ist auch scheißegal, wie wir in der öffentlichen Wahrnehmung stehen.

Ok, zurück zum Album. Wovon handelt "Do me like a caveman?"  Die erste Assoziation geht in die Richtung, dass der Höhlenmann der Frau die Keule über die Rübe zieht und sie an den Haaren in die Höhle schleift.

Der Song hat ein romantisches Flair und ist in sich ein bisschen unstimmig, was den Text und die Stimmung angeht. Es geht um die Situation, die wir so kennen: Du kommst von der Bühne, bist völlig aufgeladen und bis oben voll mit Adrenalin und dann gehst du in dein Hotelzimmer und die Decke fällt dir auf den Kopf. Es ist ruhig, aber du kannst nicht richtig runterkommen und bist plötzlich einsam. Bis dahin ist es noch ein sehr melancholischer Song. Und dann hörst du in diesem verschissenen Hotelzimmer, dass der Mensch im Nebenzimmer nicht einsam ist und dich davon abhält, dass du schläfst. Geschrei aus dem Nebenzimmer, davon handelt dieser Song. Er behandelt eine alltägliche Situation eines einsamen Musikers auf Tour, hat aber auch etwas Augenzwinkerndes. Aber das einzig Augenzwinkernde an diesem Song ist der Titel. Und das, was im Nebenzimmer passiert.

Felix: Es gibt schon komische Zimmer auf Tour, ne?

Als ich für die AVANTASIA-Platte in England in Brighton war, um mit Biff aufzunehmen, hatte ich ein Hotelzimmer… ich weiß nicht, was die da nebenan gemacht haben, aber wenn die einen Porno gedreht haben, muss das Ding sogar noch für Porno-Verhältnisse auf dem Index stehen. Das war ein Geschrei…

Ich fand die Strophen von "Space Police" ansatzweise melancholisch und "The Eternal Wayfarer" erst recht melancholisch. Ist das Album einen Hauch melancholischer, als EDGUY sonst sind?

Ja. Inhaltlich auf jeden Fall. So ein Album reflektiert auch immer den Gemütszustand der Person, die für die Lyrics oder auch ein bisschen für die Musik verantwortlich ist. "The Eternal Wayfarer" behandelt die Frage, ob die Seele unsterblich ist, ob es weiter geht. Ich bin davon überzeugt, aber auch nur in starken Momenten, in schwachen fange ich auch an zu zweifeln. "Shadow Eaters" ist auch ein sehr spiritueller Song. Er handelt von der Kraft der eigenen Psyche, dass man sich selbst beeinflussen und definieren kann, wie es einem geht und wie man zum Beispiel mit Depressionen umgehen kann oder wie man mit schwachen Momenten umgeht. Er handelt aber auch ein Stück weit davon, dass es auch Leute gibt, die einem permanent alles madig machen wollen. Die immer auf der Suche  nach einem Antagonisten sind, nach jemandem, den sie bekämpfen können und meinen, daraus Kraft ziehen zu können. Das Album ist melancholisch, es hat aber auch lustige Momente, selbst in den tragischeren Songs hat es immer etwas Augenzwinkerndes. Das hat in vielen Songs immer auch einen gewissen Wortwitz. Mir gehen die Lyrics sehr nah, weil sie für unsere Verhältnisse einen außergewöhnlichen Tiefgang haben. So gesehen ist es schon ein melancholisches Album.

Wie lange hat es gedauert, bis du "Rock Me Amadeus" drauf hattest?

Ich habe lange zuhause dafür geübt. (Er demonstriert, wie er es eingeübt hat und wo er mit welchen Wörtern Probleme hatte.) FALCO ist Wiener, der auf dem Song aber nicht mit Wiener Akzent singt, sondern wie ein Wiener, der versucht, hochdeutsch zu klingen. Und das ist echt schwierig. Ich hatte eigentlich an "Der Kommisar" gedacht, den hatte ich ganz gut drauf. Aber Sascha meinte, dass Amadeus größenwahnsinniger ist, das würde viel besser passen. Dann habe ich gesagt, dass ich gucke, ob ich Amadeus hinbekomme.

Aber es sollte ein FALCO-Song werden?

Ja. Er war einfach der ultimative Rockstar. Der Typ hatte alles, was man brauchte, um im Musikgeschäft zu bestehen. Er war wahnsinnig, er war größenwahnsinnig, hatte musikalisch etwas zu sagen, war ein supergeiler Selbstdarsteller. Ich war acht Jahre alt, als ich ihn in der ZDF Hitparade gesehen habe und fand den einfach super.

EDGUY "Space Police - Defenders Of The Crown" CoverWer hatte die Idee zu diesem Albumcover? Das ist ja eher angenehm trashig, aber schön?

Doch! Die Leute werden darüber reden, das ist doch geil. Wir haben uns gefragt, ob man das bringen kann, aber es ist ja schon geil. So ein Oberlippenbart-Space-Cop, der mit seiner Knarre ein Alien erlegen will, das ist schon gewagt. Aber wenn du so eine coole Platte am Start hast, kannst du das bringen. Wir haben uns überlegt, wie sehen denn anerkannte Heavy-Metal-Cover aus? Die wir auch in der Sammlung haben. "Painkiller"? Ist ein perfektes Heavy-Metal-Cover, aber sieht schon ein bisschen aus, wie von einem Neunjährigen gemalt. Und das kann man von jedem zweiten Cover sagen. Unseres hat wenigstens noch Witz.

Es passt jedenfalls perfekt zu eurer Attitüde.

Es springt einen total an. Ich bin mir schon dessen bewusst, dass da nicht die Mona Lisa drauf ist, aber ich glaube, dass die Leute schon sagen werden, dass sich das weder BLIND GUARDIAN noch HELLOWEEN noch IRON MAIDEN noch METALLICA trauen würden. Bleiben also nur EDGUY. Aber das ist doch schön. Der Typ sieht halt echt aus wie einer von den VILLAGE PEOPLE.

Andreas Schulz (Info)
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