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Räuberzivil: Tiefenschärfe (Review)

Artist:

Räuberzivil

Räuberzivil: Tiefenschärfe
Album:

Tiefenschärfe

Medium: CD
Stil:

Poetische Singer/Songwriter-Musik zwischen Kult, Blues und Rock

Label: SPV Recordings
Spieldauer: 91:14
Erschienen: 27.02.2015
Website: [Link]

Vorab erst einmal Hochachtung gegenüber der Entscheidung von HEINZ RUDOLF KUNZE sein neustes Album nicht separat unter seinem Namen, sondern tatsächlich dem seiner Band RÄUBERZIVIL zu veröffentlichen. Da wird doch tatsächlich aus dem alten Egomanen, der auf seiner krampfhaften Suche nach Perfektion schon mal frontal so einige Fettnäpfchen mitnahm, im reifen Alter tatsächlich jemand, der sich auch mal zurück- statt zu wichtig nehmen kann.
Am Ende aber ist „Tiefenschärfe“ wieder ein kristallklares, nur leicht mit einem Pseudonym verschleiertes HRK-Solo-Album geworden, auf dem alle Texte und Kompositionen ausschließlich aus Kunzes Feder stammen.

Aber was noch viel wichtiger ist als diese verbal-musikalische Deutungshoheit, ist die Tatsache, dass dieses Album ein kleines Meisterwerk geworden ist, auf dem plötzlich der Kunze auftaucht, den bereits 1985 so viele als verloren wähnten, als dieser sein ganzes Herz einem Pop-Hit schenkte und plötzlich vom kritisch-melancholischen bis zynischen Liedermacher zur permanenten Radio-Dauerberieselung wurde, der dann, als dies nicht mehr der Fall war, eine deutschsprachige Musik-Quote im Radio einforderte. Dieser Kunze ist hinter RÄUBERZIVIL gänzlich verschwunden und an seiner Stelle steht auf „Tiefenschärfe“ wieder der, der uns als „Reine Nervensache“ im „Ausnahmezustand“ und voller „Schwere Mut“ endlich wieder über „Eine Form von Gewalt“ aufklärt.

Wer „Tiefenschärfe“ hört, ist wieder gefordert, Köpfchen und Öhrchen auf totalen Empfang zu schalten und die Antennen zu spitzen, um all die Signale aufzunehmen, die Kunze und RÄUBERZIVIL auf uns abfeuern, bis wir glücklich feststellen: „Der Typ, den wir eigentlich mit seiner Besserwisserei, Moralapostelei und Pop-Anbiederei irgendwann und aus irgendeinem der hier genannten Gründe abgeschrieben hatten, ist tatsächlich wieder da - zwar nicht im RÄUBERZIVIL, dafür aber als RÄUBERZIVIL samt Doppel-CD mit fettem Text-Booklet, gemeinsam mit den musikalischen Räuberkumpanen Ralph König, Peter Pichl & Hilko Schomerus!“

Auf insgesamt 23 Songs erzählt uns Kunze, begleitet von RÄUBERZIVIL, in anderthalb Stunden Lebens- und Leidensgeschichten, aber auch hintersinnige Laudatios und vordergründige Anklageschriften. Endlich provoziert er auch wieder so stark, bis es schmerzt, egal ob er religiös verpeilte Fanatiker bei uns als Mörder willkommen heißt: „Willkommen liebe Mörder / wir sind so tolerant / die Dunkelheit bricht bald herein / über dieses Land“, oder politische Papa-Zombies, die mit ihrem Machtgehabe und den umfangreichen Beziehungsgeflechten ihren Nachwuchs zu kleinen, neureichen Horror-Zöglingen werden lassen: „Später in der Schule bist du dumm wie Stroh / doch das ging ja deinem Papa früher ebenso / aber schau ihn an, was ist aus ihm geworden / dickes Konto, schicke Frau und eine Brust voll Orden“. Im Grunde könnte man hier aus jedem Text zitieren und hätte seine wahre Freude an deren poetischen Dimension, die neuerdings nicht schwurbelige Metaphern verheizen, sondern mit klar verständlichen Worten mal frontal auf die Nase hauen, in die Magengrube schlagen oder gezielt ihre Fußspitze mitten in die Zwölf sausen lassen.

Aber auch musikalisch passiert so einiges auf „Tiefenschärfe“. Elektronisches Instrumentarium sucht man fast vergebens. Die unterschiedlichsten akustischen Instrumente dominieren das Album, sogar Quer- und Blockflöten, Banjos und Mandolinen sowie Percussion-Instrumente aus aller Welt.
Da eröffnet „Robert Limpert“ bereits mit leichten Country-Klängen das Album, um eine üble Nazi-Geschichte zu erzählen, während „Rosmarin“ wieder so eine Ballade ist, für die man HRK schon immer liebte und danach kommt dann gleich der „alte Tattergreis ‚General Lee‘“ mit echtem Pop-Appeal, bei dem man fast mitschnippen möchte, daher.
Mit finsteren Klängen, die als gute Untermalung zu einem Psycho-Horror-Film dienen könnten, wird dann die Frage gestellt: „Töten wir ‚30 Prozent‘, die man nicht braucht / Weil auch ohne sie der Schornstein raucht?“
Und noch während wir über diese „30 Prozent“ nachgrübeln, umschmeichelt uns eine wahre, wundervoll ruhige Lobeshymne auf das „Am Meer stehen“ - hier ist er wieder: der Romantiker HEINZ RUDOLF KUNZE.
„Greif schon zu“ bekommt mit seinen märchenhaften Schneewittchen-Anspielungen und den vielen Flötentönen gleich ein mittelalterliches Korsett verpasst, so als hätte Kunze von RITCHIE BLACKMORE den Auftrag erhalten, mal ein Lied für BLACKMORE‘S NIGHT zu schreiben.
„Ein Nichtsnutz sein“ ist ein regelrechtes ruhig-besinnliches Musik-Gebet, sich nicht so wichtig zu nehmen, sein Sein, nicht aber sein Wichtig-Sein, zu leben und zu genießen. Hinter diesem Text verbirgt sich im Grunde wohl auch die Antwort darauf, warum dieses Album den Namen der Band RÄUBERZIVIL, nicht aber den Namen eines einzelnen Musikers, trägt!
„Es ist so schwierig“ erklingt mit einem Marsch-Rhythmus und kommt zugleich mit der wohl wichtigsten (Über-)Lebensweisheit daher: „Früher Tod ist keine Lösung / lieber spätere Verwesung“.
Einer der schönsten, wiederum sehr traurigen Lieder ist „Brot aus Gold“. Der Text bezieht sich wohl auf die schamanische Weisheit, dass, wenn die ganze Natur zerstört ist, man am Ende feststellt, dass man Geld nicht essen kann. Gleiches gilt bei Kunze für das „Brot aus Gold“ - warum aber die letzte Strophe des Liedes im Booklet fehlt, ist ein Rätsel. Oder ist es ein „Lied aus Gold“, das man erst versteht, wenn man es sich komplett anhört?
„Nichts als offene Fragen“ ist dann genau der Song, der noch auf „Der schwere Mut“ fehlt - für mich das absolute Highlight auf einem an Highlights reichen Doppelalbum.
Fragen über Fragen, die RÄUBERZIVIL in „Tiefenschärfe“ aufwerfen. Antworten darauf werden uns allerdings nicht auf dem silbernen Tablett präsentiert. Die müssen wir schon selber finden. RÄUBERZIVIL geben uns nur den kleinen musikalischen Tipp, wo wir dabei in etwa suchen müssen.

Natürlich gibt es sicher auch ein paar Songs auf dem Album, die nicht begeistern. Aber ist das nicht alles eine Frage des persönlichen Geschmacks? „Drunter und drüber“ - mit diesem Blues-Country-Allerweltsrhythmus - oder „Ponderosa“, natürlich im lustig-optimistischen „Bonanza“-Stil, sind nicht unbedingt meine Nummer. Aber der „lustige“ HRK hat mich im Grunde noch nie zu überzeugen vermocht.
„Reine Ansichtssache“ eben!

Tiefenschärfe“ von RÄUBERZIVIL sind musikalisch und textlich genau das geworden, was uns der Album-Titel zu vermitteln versucht. Oberflächlichkeit sollte man woanders suchen - nur nicht auf diesem Album, dessen Titel zum Programm wurde.

FAZIT: „Löse dich aus deinem Wundstarrkrampf / wandle deinen Schlaf / mach endlich Dampf!“ So endet das Album mit „Tu nur was du nicht lassen kannst“. Auf „Tiefenschärfe“ tut RÄUBERZIVIL gemeinsam mit HEINZ RUDOLF KUNZE genau das, was sie nicht lassen können: Richtig gute Musik mit faszinierenden Texten zu machen!

Thoralf Koß - Chefredakteur (Info) (Review 6076x gelesen, veröffentlicht am )

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Wertung: 13 von 15 Punkten [?]
13 Punkte
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Tracklist:
  • CD 1:
  • Robert Limpert
  • Lügner
  • Komme nicht aus Alabama
  • Rosmarin
  • So wie du bist
  • General Lee
  • 30 Prozent
  • Am Meer stehn
  • Drunter und drüber
  • Greif schon zu
  • Ein Nichtsnutz sein
  • CD 2:
  • Ponderosa
  • Papa hat Geld
  • Es ist schwierig
  • Brot aus Gold
  • Samarkand
  • Der beste Schurkendarsteller
  • Willkommen liebe Mörder
  • Mein Anwalt und ich
  • Nichts als offne Fragen
  • Ich möchte scheitern
  • Das Problem ist
  • Tu nur was du nicht lassen kannst

Besetzung:

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