Musikreviews.de bei Facebook Musikreviews.de bei Twitter

Partner

Statistiken

Kenn Nardi: Trauma (Review)

Artist:

Kenn Nardi

Kenn Nardi: Trauma
Album:

Trauma

Medium: CD/LP/Download
Stil:

Progressive Thrash Metal

Label: Eigenproduktion/Divebomb/Hammerheart
Spieldauer: 109:14
Erschienen: 27.08.2021
Website: [Link]

Mit „Dancing With The Past“ gelang KENN NARDI 2015 ein Paukenschlag, auf den vermutlich auch der optimistischste Fan nicht gewettet hätte. 28 Songs stark, zweieinhalb Stunden lang und ausgestattet mit einer hundertprozentigen Trefferquote, schrieb das Werk des ANACRUSIS-Vordenkers die Entwicklung seiner ehemaligen Band Richtung progressiver Entgrenzung logisch fort und hätte widerspruchsfrei das Bandlogo tragen können.

Eine Zeit lang war es auch so gedacht, doch nachdem aus dem geplanten Comeback nichts wurde, entschied sich Nardi für eine Veröffentlichung unter eigenem Namen. Weil es sich nicht richtig angefühlt hätte, das Ganze ANACRUSIS zu nennen, wenn die anderen nicht dabei seien, wie er im Interview erklärte. Obwohl der Schriftzug des ewigen Progressive-Thrash-Geheimtipps mutmaßlich ein paar mehr Menschen auf die Scheibe aufmerksam gemacht, womöglich gar zu einem Deal mit einem größeren Label geführt hätte, stellte er damit – nicht zum ersten Mal – Integrität über Verkaufsaussichten.

Und antwortete lachend auf die Frage, ob er nun gedenke, weiterhin Musik zu machen, dass er wohl mit Schwierigkeiten zu rechnen habe, wenn er nach all der Zeit und Mühe, die in „Dancing With The Past“ geflossen sei, seiner Frau eröffnete, ein weiteres Album machen zu wollen.

Ein paar Jahre später scheint der eheliche Friede gewahrt und der Meister meldet sich überraschend erneut aus der „musikalischen Rente“, wie er es nennt.

Und abermals drängt sich ANACRUSIS als Ausgangspunkt auf, wenn es um die Einschätzung des neuen Werks geht. Denn anders als etwa Nardis Solo-Projekt CRUEL APRIL, beinhaltet „Trauma“ wiederum sämtliche stilistischen Konstanten, welche die Band über ihre Entwicklung hinweg auszeichneten und sie einzigartig machten.

Wer Nardis zwischen Wut, Trauer, Kontemplation und Verzweiflung alternierende Stimme einmal gehört hat, wird sie nie mit einer anderen verwechseln. Den Gitarrenton oder die Art, Riffs, Harmonien und Melodien zu denken, auch nicht. Der quasi als dritte Gitarre inszenierte Bass spielt von den sechs Saiten emanzipierte Linien, das Schlagzeug liefert ebenso kreative wie klare Motive und die Synthetik wird nur von Nardi in dieser Weise eingesetzt. Schließlich wird all das zu einem hoch anspruchsvollen, dennoch unmittelbar eingängigen, involvierenden Gesamtkunstwerk verquickt, dessen emotionale Intensität immer wieder überwältigt.

Und das in steter Wandlung begriffen ist. Doch während das Voranschreiten aufgrund der langen Pause zwischen „Screams And Whispers“ (1993) und „Dancing With The Past“ (2015) umso deutlicher auf unerforschtes Territorium führte, wählt Nardi mit „Trauma“ einen anderen Weg. Er tritt einen Schritt zur Seite, richtet den Blick auf das Werk seines Geisteskindes und leitet daraus gewissermaßen einen Weg in eine alternative Zukunft des Jahres 1993 ab, etwas zu dem ANACRUSIS hätte werden können – in einem Paralleluniversum, in dem sich die Band nicht auflöste. In dem hätten wir wohl 2015 nicht „Dancing…“ bekommen, dafür möglicherweise um 1995 herum etwas wie die jetzt vorliegende Platte. Das ist natürlich rein hypothetisch, in Nardis Kopf werden ganz andere Dinge vorgegangen sein. Aber es hilft bei der Einordnung von „Trauma“. Einerseits wagt er sich wiederum an getragene Stücke wie „Watching Through Darkness“ oder misst der synthetischen Orchestrierung eine noch größere Bedeutung bei als auf „Screams…“, geht dabei aber andererseits nicht so weit wie auf „Dancing…“. „Trauma“ ist trotz der erneut erhabenen Länge kohärenter, extreme Schlenker wie „Submerged“, „The Runt“, „This Killer In My House“ oder „Crêve Cœur (A Place Called Broken Heart)“ gibt es dieses Mal nicht. Das macht es umso leichter, das Anacrusis-Logo vor dem inneren Auge aufscheinen zu lassen.

Insgesamt wirken die Songs nicht nur stilistisch fokussierter, metallischer und rifflastiger als auf dem Vorgänger, sondern auch kompakter denn je, was zu dem Missverständnis führen mag, sie seien simpler. Obwohl sämtliche Stücke unumwunden verständlich sind, sich ihre Melodien, Arrangements, Rhythmen spontan erschließen, verbirgt sich Komplexität im Detail. Speziell unter dem Kopfhörer entdeckt man immer wieder Neues – eine Gitarrenharmonie im Hintergrund, ein weiterer Synth-Akzent, oft scheinbare Kleinigkeiten, die jedoch in ihrer Summe die Strahlkraft der Klanglandschaften noch unterstreichen.

Mit der ihm eigenen Eleganz baut Nardi Schicht um Schicht das ganz große Drama auf, verleiht Stücken wie dem einerseits direkt auf den Punkt kommenden „Clarion Call“ andererseits eine beeindruckende Tiefe. „Masquerade“ kommt mit einem Arrangement um die Ecke, dass in den Händen eines weniger talentierten Komponisten ziemlich zerfahren hätte wirken können, doch hier entwickelt das Vers-Schema – zurückhaltende Gitarren, atmosphärische Keyboards und dazu ein schnelles, hyperaktives Schlagzeug – eine Signatur, die man nur einmal hören muss, um sie für immer im Kopf zu haben. „The Time For Tears (Dry Your Eyes)“ bietet wiederum einen Einstieg, der sich mit seinem Wechselspiel aus Gitarren-Stakkato und Piano-Motiv sofort im Hirn verankert und doch jedes Mal wieder aufs Neue begeistert – so ungewöhnlich, so fremdartig für ein Metal-Album und doch so zwingend. Im Chorus wird dem das charakteristisch fiese, markerschütternde Kreischen entgegengesetzt, das einmal mehr vor Augen führt, mit welcher Dringlichkeit und Sinnlichkeit Nardi Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Seelenpein vertont.

Man könnte nun fortfahren, Stücke wie den schaurig schönen Groover „Blessed Be“, das halb balladeske, beinahe suizidale Traurigkeit verströmende „Quiet Wars“, das insgesamt schnellste und wütendste Stück, „Shed My Skin“ oder gleich alle im Detail vorzustellen. Aber dann würde ein Buch aus diesem ohnehin schon langen Review, zudem lässt sich mit Worten ohnehin nicht treffend einfangen, was dieses Meisterwerk dem Hörer zu geben vermag.

Daher kommen wir nun langsam zum Schluss und vermerken, dass Nardi sich seine Inspiration bewahrt hat und der Welt einmal mehr einen schweren Brocken Genialität schenkt.

Der Vollständigkeit halber erwähnt seien die vier ANACRUSIS-Re-Recordings, die interessant einmal zu hören und perfekt ausgeführt sind, jedoch nicht essenziell gewesen wären, da man die Originale nicht verbessern kann.

Außerdem soll der Anteil der anderen ehemaligen ANACRUSIS-Musiker nicht vergessen werden, deren Bedeutung Nardi verstanden hat und auf „Trauma“ ebenso offensichtlich in Ehren hält wie schon auf „Dancing…“. Zweifellos war er der musikalische Leiter, aber die unverwechselbaren Stile von Gitarren-, Bass- und Schlagzeugspiel tragen klar die Signaturen seiner ehemaligen Mitstreiter.

FAZIT: Ob Nardi den Herleitungen in diesem Review zustimmen würde oder den ständigen Vergleich mit ANACRUSIS seiner Kreativität gegenüber geringschätzig fände, ob er Parallelen intendiert, automatisch so komponiert, wie er es tut oder die Ähnlichkeiten gar viel weniger augenfällig findet, wäre einmal im Interview zu klären. Für diejenigen, die mit seinem Werk vertraut sind, sollte hier jedoch ein einigermaßen greifbarer Eindruck von dem entstehen, was sie erwartet. Und zwar die beste nur denkbare Fortführung der Band – unter anderem Namen zwar, aber ohne Verlust an Qualität oder Identität.

P.S. Durch die aktuelle Weltlage kommt es zu Verzögerungen bei der Herstellung von Tonträgern, so dass „Trauma“ derzeit nur digital erhältlich ist. In den nächsten Monaten folgt eine Veröffentlichung auf CD (enthält die Bonussongs, von denen zumindest die beiden neuen Kompositionen Pflicht sind) via Divebomb und auf LP via Hammerheart.

Hendrik Lukas (Info) (Review 4041x gelesen, veröffentlicht am )

Unser Wertungssystem:
  • 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
  • 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
  • 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
  • 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
  • 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
  • 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
[Schliessen]
Wertung: 15 von 15 Punkten [?]
15 Punkte
Kommentar schreiben
Tracklist:
  • Clarion Call
  • Masquerade
  • Trauma
  • The Time For Tears (Dry Your Eyes)
  • A Reckoning
  • Blessed Are
  • Quiet Wars
  • Shed My Skin
  • Grace Is Greater
  • No Surprise
  • Absence Of Presence
  • Light Up The Shadows
  • The Orphan
  • Bonus CD
  • Morningsong
  • Watching Through Darkness
  • What You Became (Re-Recording)
  • Release (Re-Recording)
  • Far Too Long (Re-Recording)
  • Brotherhood? (Re-Recording)

Besetzung:

Alle Reviews dieser Band:

Interviews:
  • keine Interviews
Kommentare
Jott
gepostet am: 30.09.2021

User-Wertung:
15 Punkte

Tolles Review für eine tolle Platte! Auch wenn 15 Punkte etwas knapp sind.
Jott
gepostet am: 30.09.2021

User-Wertung:
15 Punkte

Tolles Review für eine tolle Platte! Auch wenn 15 Punkte etwas knapp sind.
Jott
gepostet am: 30.09.2021

User-Wertung:
15 Punkte

Tolles Review für eine tolle Platte! Auch wenn 15 Punkte etwas knapp sind.
(-1 bedeutet, ich gebe keine Wertung ab)
Benachrichtige mich per Mail bei weiteren Kommentaren zu diesem Album.
Deine Mailadresse
(optional)

Hinweis: Diese Adresse wird nur für Benachrichtigungen bei neuen Kommentaren zu diesem Album benutzt. Sie wird nicht an Dritte weitergegeben und nicht veröffentlicht. Dieser Service ist jederzeit abbestellbar.

Captcha-Frage Was legt ein Huhn?

Grob persönlich beleidigende Kommentare werden gelöscht!