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Husten: Aus einem nachtlangen Jahr (Review)

Artist:

Husten

Husten: Aus einem nachtlangen Jahr
Album:

Aus einem nachtlangen Jahr

Medium: CD/LP/Download
Stil:

Indie-Rock, Deutsch-Pop, Liedermacher, Folkrock, Singer-Songwriter

Label: Kapitän Platte
Spieldauer: 34:30
Erschienen: 29.09.2023
Website: [Link]

Wenn der gut abgehangene 70er-Jahre-Begriff "Supergruppe" in Deutschland auf irgendeine Band zutrifft, dann wohl auf HUSTEN. Der Sänger und Songschreiber Gisbert zu Knyphausen (zuletzt mit dem überragenden Deutschpop-Album "Das Licht dieser Welt" solo sehr erfolgreich), der Top-Produzent Moses Schneider und der Musiker/Schriftsteller Tobias “Tobi” Friedrich alias Der Dünne Mann machen seit ein paar Jahren unter seltsamem Namen als Promi-Trio gemeinsame Sache - und Furore.

Mit einigen edel gestalteten Vinyl-EPs ging es nach der Gründung 2016 noch ganz gemütlich los, ein richtiges Album und Live-Auftritte waren zunächst gar nicht geplant. Doch es kam anders: Im vorigen Jahr erschien das formidable, hochgelobte HUSTEN-Studiodebüt "Aus allen Nähten", das die drei renommierten Musiker mit Band-Verstärkung alsbald auch auf die Bühnen brachten. Mit der ebenfalls sehr starken zweiten Platte "Aus einem nachtlangen Jahr" wird aus dem ursprünglich “kleinen Nebenbei-Studio-Spaßprojekt” (O-Ton zu Knyphausen im Interview) nun etwas Festes.

Diese zehn neue Songs umfassende HUSTEN-Veröffentlichung sei "tatsächlich auch für uns drei wahrnehmbar eine richtige Band-Platte", sagt der Sänger, der einst mit dem viel zu früh gestorbenen Nils Koppruch das tolle Deutschpop-Projekt Kid Kopphausen erfunden hatte. "Wir haben die Songs live im Proberaum arrangiert, mit den Mitmusikern, die wir letztes Jahr bei den ersten Live-Konzerten dabei hatten. Wir haben ein paar Mal im Proberaum geprobt und die Stücke dann in kurzer Zeit live eingespielt und dann auch gar nicht so viel Nachbearbeitung gemacht wie beim ersten HUSTEN-Album." 

Der Ansatz war also ein sehr spontaner, der sich aus einem organischen Band-Gefühl fast zwangsläufig ergab: "Wir wollen den Live-Sound abbilden, wie er sich letztes Jahr entwickelt hat." Man hört das Raue, Schrammelige, Unbehauene in neuen HUSTEN-Liedern wie "Bis morgen, dann" oder "Lass mich bitte nicht in Ruh" mit großem Vergnügen. Der bewährte Sound wird geschickt erweitert, ohne dass "Aus einem nachtlangen Jahr" (wunderbarer Albumtitel!) nun eine allzu drastische Abkehr vom zweifellos weicheren Klangbild des Debüts bedeuten würde.

Die Texte sind, wie bei dem klugen, sensiblen Folkpop-Melancholiker zu Knyphausen und dem Schriftsteller Friedrich ("Der Flussregenpfeifer") kaum anders zu erwarten, so ziemlich das Beste, was man in Deutschland derzeit finden kann. Beispiel gefällig? "Schade eigentlich, dass all die schönen/Dinosaurier ausgestorben sind/und dafür wir jetzt an der Spitze der/Nahrungskette stehen/Denn wenn man's genau betrachtet/haben wir's einfach nur verkackt", singt zu Knyphausen erschöpft im famosen Krisen-Song "Nüchtern im Club (Nihilistendisco)". 

Wenn irgendwann Bilanz gezogen wird, welches deutsche Lied den laxen Umgang mit der schon lange nahenden und bereits allerorten spürbaren Klimakatastrophe am subtilsten auf den Punkt gebracht hat, dürfte dieses Stück Pop-Poesie weit vorn liegen. HUSTEN schaffen es hier, ohne Prediger-Generve oder platte Phrasen den frustrierenden Zeitgeist dieser unserer 2020er Jahre einzufangen: Furchtbar schlimm das alles, aber irgendwie kann und will ich nichts ändern.

"Ja, der Text ist krass", sagt zu Knyphausen im Interview. "Wir haben auch überlegt, ob wir den so stehen lassen können, weil er wirklich ein Gefühl abbildet im Sinne von: Vielleicht kann es die jüngere Generation noch lösen, vielleicht ist’s aber auch schon zu spät, viel Hoffnung haben wir nicht mehr für die Menschheit." Dies sei aber "natürlich nicht unsere Grundhaltung dem Leben gegenüber, das kommt hoffentlich in anderen Songs rüber". Ja, stimmt schon, aber man muss halt diesmal ein bisschen länger suchen nach dem Silberstreif am HUSTEN-Horizont ("Flamingo Hotel").

Ganz eindeutig politische, anklagende Lieder sind für die Band gleichwohl "keine Option", betont der im hessischen Rheingau aufgewachsene, schon lange in Berlin lebende Winzersohn zu Knyphausen. "Ich könnte mich darin nicht ernst nehmen, ein Lied mit klarer Schuldzuweisung, mit politischen Parolen zu schreiben. Ich finde politische Themen oft zu komplex, um sie in einen dreiminütigen Popsong im weitesten Sinne zu fassen."

Musikalisch flechten HUSTEN in ihren von Moses Schneider hochkompetent produzierten und arrangierten Indierock-Sound wuchtige Postpunk-Elemente (von Talking Heads bis Gang Of Four) ein, aber auch allerfeinsten US-Folkrock wie bei Wilco oder Bright Eyes. So klingt "Aus einem nachtlangen Jahr" gelegentlich sperrig und unbehaglich, aber eben auch stets warm und spannend. Der Stoff, aus dem "Grower" gemacht sind.

Und woher kommt nun eigentlich dieser gerade in Pandemie-Zeiten seltsam klingende Bandname? Zu Knyphausen klärt auf: "Die langweilige Antwort ist, dass es ein Name ist, den Tobi (Friedrich) schon lange mit sich rumgetragen hat. Er hatte mal angefangen, unter dem Projektnamen HUSTEN Songs zu schreiben und zu arrangieren – wohl weil er ein Fan ist von der amerikanischen Band Soul Coughing. Jetzt, nach der Pandemie, können wir sagen, dass wir dem HUSTEN wieder einen positiveren Beigeschmack geben wollten."

FAZIT: Aus dem Spaßprojekt HUSTEN ist eine Band geworden - und was für eine. Das Promi-Trio zu Knyphausen/Schneider/Friedrich legt bereits nach einem Jahr sein zweites Album vor, das anders, aber gewiss nicht schwächer klingt als das tolle Debüt. Eine der besten Deutschrock-Platten 2023, ohne jeden Zweifel.

Werner Herpell (Info) (Review 1304x gelesen, veröffentlicht am )

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Wertung: 13 von 15 Punkten [?]
13 Punkte
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Tracklist:
  • Bis morgen, dann
  • Ja und ja
  • Elli
  • Lass mich bitte nicht in Ruh
  • Auf der anderen Seite der Angst
  • Achim, du Träumer
  • Nüchtern im Club (Nihilistendisco)
  • Flamingo Hotel
  • Weiße Tiger
  • Für immer und ewig

Besetzung:

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