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Torres: What An Enormous Room (Review)

Artist:

Torres

Torres: What An Enormous Room
Album:

What An Enormous Room

Medium: CD/LP/Download
Stil:

Indie-Pop

Label: Merge
Spieldauer: 35:57
Erschienen: 26.01.2024
Website: [Link]

Ganz ohne Frage hat die New Yorker Musikerin MACKENZIE SCOTT in den rund 10 Jahren, in denen sie unter dem Künstlernamen TORRES tätig ist, eine ganz eigene Ästhetik als Songwriterin, Performerin, Sounddesignerin und Produzentin entwickelt. Ihre Kollegin JULIEN BAKER (die für sie freundlicherweise die Bio zu ihrem neuen Album schrieb) ließ sich gar zu der Aussage hinreißen, dass die Musik von TORRES auf einem „einzigartigen melodischen Vokabular“ basiere, bei dem „die Methoden, die Ausrüstungen und die Umstände sich um den Impuls bewegen, sich selbst in der Welt zu bestätigen“. Hiermit ist vermutlich gemeint, dass MACKENZIE SCOTT zu jener Spezies von Künstlerinnen gehört, die sich nicht über den Vergleich mit anderen definieren, sondern – getrieben von einem inneren Bedürfnis und koste es was es wolle – mit einer gewissen Besessenheit der eigenen Vision folgen.

Das ist in mehrerlei Hinsicht auch auf dem vorliegenden sechsten Album „What An Enormous Room“ so. Zunächst einmal in dem Sinne, dass TORRES hier erneut als eigenständige Einheit funktioniert und im Studio (bis auf ein paar ergänzende Bits des Mixers TJ Allen) alle Instrumente alleine einspielte und das Material – zusammen mit ihrer gleichgesinnten Kollegin SARAH JAFFE – auch selbst produzierte.

Auf der musikalischen Seite führt dies zu einer nach wie vor impulsiven und unberechenbaren Gemengelage, in der Klänge und Effekte mindestens dieselbe Wertigkeit haben wie instrumentelle Details, wobei der Gesang als solcher nur eine von vielen vokalen Ausdrucksmöglichkeiten darstellt.

Jeder, der schonmal Musik gemacht hat, weiß, wie schwer es ist, unter solchen Vorbedingungen (also ohne Mitstreiter und ohne stilistischen Rahmen) einen Anfang zu finden und gar einen vollkommen eigenständigen kreativen Weg zu gehen; schon gar, wenn man sich – wie in diesem Fall – vornimmt, alles von Hand zu machen. Denn obwohl hier neben organischen Instrumenten, wie Gitarren, Keyboards und Bass, auch programmierte Drums, Loop-Stations und Sample-Effekten eingesetzt, wollen diese erst mal akribisch programmiert, technisch beherrscht und effektiv implementiert werden.

TORRES Ansatz ist hierbei ein recht interessanter. Denn während sich solche Projekte oft vollständig in abstrakter Frickelei verlieren, begeht sie nicht den Fehler, sich von den technischen Möglichkeiten überwältigen zu lassen, sondern wählt als Basis für ihr Tun recht konventionelle Songstrukturen: „I Got The Fear“ - eine eher subtile Reflexion über Trennungsängste – hat eine Art Folkpop-Basis; „Collect“ - der Empowerment-Song des Jahrhunderts – kommt als Grunge-Hymne daher und „Ugly Mystery“ - ein Stück über eine eigentlich kaputte Beziehung, die aber beide Parteien aus Bequemlichkeit nicht beenden wollen – könnte als Dreampop-Song funktionieren.

Das ist dann aber jeweils nur das Sprungbrett, von dem aus sich TORRES auf höchst originelle Weise ins Ungewisse stürzt, indem sie wirklich jeden einzelnen Song auf psychedelische Weise mit Effekten und ungewöhnlichen Sound-Kombinationen aufbohrt, unterlegt und erdet. Sound-Kombinationen, bei denen nie so richtig deutlich wird, welches Instrument hier welche Funktion und welchen Klang generiert. Natürlich ist das kein neuer Ansatz – funktioniert aber in diesem experimentellen Umfeld fast schon als eigene kreative Ebene.

Angestrebt hatte TORRES etwas Derartiges schon seit ihrem dritten Album „Three Futures“, als sie auf die Idee kam, ihre bis dahin abrasiven Gitarrenakkorde so lange durch die Effektpedale zu jagen, bis überhaupt nicht mehr zu erkennen war, dass da ein Saiteninstrument im Spiel war. In Songs wie „Happy Man's Shoes“ oder „Artificial Flowers“ vom neuen Album hat sie dieses Prinzip perfektioniert – ja zu einer eigenen Wissenschaft gemacht, ohne dass jemals der Songcharakter und der Unterhaltungsfaktor dabei aus dem Fokus geriete, denn im Grunde genommen hat die Musikerin – mehr noch als auf dem schon brillanten Vorgängerwerk „Thirstier“ - ihre ganz eigen Form von alternativer Pop-Musik kreiert.

Dabei hält sie sich inhaltlich von jeglichen Pop-Star-Allüren fern und betrachtet und kommentiert in ihren metaphorisch überhöhten Lyrics ganz einfach den ganz normalen Wahnsinn des Daseins. Eine Ausnahme davon ist der bereits erwähnte Song „Collect“, denn hier stellt sie sich als überlebensgroßer emanzipatorischer Racheengel dar, der mit Zeilen wie: „I am nothing you've seen before. I am the way forward. I am the water of life. I am the angel of death. I'm here to collect“, den Anspruch auf die moralische Weltherrschaft erhebt.

FAZIT: Wie man ambitioniert implementierte, experimentelle Studiotechnik, klassisches Songwriting zu durchaus aktuellen, relevanten Themen, eine eigenständige Harmonie- und Melodie-Führung mit hohem Wiedererkennungswert und eine kompromisslose eigene Vision zu einer dann unterhaltsamen, relevanten, emotional wie intellektuell begreifbaren und künstlerisch hochwertigen Indie-Pop-Scheibe verdichten kann, wenn man sich nur nicht reinreden lässt, demonstriert MACKENZIE SCOTT mit ihrem neuen TORRES-Album „What An Enormous Room“ auf eindrucksvolle und überzeugende Weise. Und wie JULIEN BAKER ganz richtig schreibt: „And I think it’s just incredibly good music to listen to.“

Ullrich Maurer (Info) (Review 824x gelesen, veröffentlicht am )

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Wertung: 13 von 15 Punkten [?]
13 Punkte
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Tracklist:
  • Happy Man's Shoes
  • Life As We Don't Know It
  • I Got The Fear
  • Wake To Flowers
  • Ugly Mystery
  • Collect
  • Artificial Limits
  • Jerk Into Joy
  • Forever Home
  • Songbird Forever

Besetzung:

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