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Stern-Combo Meissen: Live (Review)

Artist:

Stern-Combo Meissen

Stern-Combo Meissen: Live
Album:

Live

Medium: CD
Stil:

Klassik- oder Kunst-Rock

Label: Edition Barbarossa
Spieldauer: 63:38
Erschienen: 03.02.1996
Website: [Link]

Der Tod der DDR erweckte dieses Album endlich zum Leben!

Es gibt nur ganz, ganz wenige Alben, die wahrhaft Musikgeschichte schreiben. Dieses Album gehört unwiderruflich dazu!

Entstanden in den Zeiten des Kalten Krieges sollte es zugleich ein Opfer dieser Auseinandersetzungen werden, die sich nicht nur auf militärischem Gebiet, sondern gänzlich jedem Bereich des öffentlichen Lebens abspielten. Doch während der Osten auf alles aus dem Westen (und was vom Osten aus dorthin wollte) schoss, schiss der Westen wohl auf alles, was von dort so kam – sogar auf die Tatsache, dass dieser Kalte Krieg Mauern hervorbrachte, die Menschen ihrer Freiheit beraubten und damit auch ihrer Literatur, ihrer Musik, ihrer Kunst und ihres unangepassten Geistes. Denn ein spitzbärtiger Stalinist (Ulbricht), ein zweifacher Polizistenmörder (Mielke) und ein abgewrackter, russenhörig-arschkriechender (und glücklicherweise irgendwann vom Krebs verseuchter) Westimport, der dann zum Exil-Chilenen wurde (Honecker), setzten diesem Freigeist die Zensur entgegen. So verhinderten sie die grenzenlose Entfaltung von Kunst – und erst das Sterben der DDR bedeutete die Geburt von in versteckten Archiven schlummernden Kunstwerken. Eins davon ist dieses Album der STERN-COMBO MEISSEN.

„Live“ – dieser schlichte Titel einer CD, die eigentlich eine schwarze Vinyl-Scheibe werden sollte, durfte sich in seiner ganzen Schönheit erst entfalten, nachdem die D(eutsche) D(iktatorische) R(epublik) sich selbst den Todesstoß gegeben hatte, anstatt glücklicherweise dank Gorbatschow nicht nach chinesischem Vorbild seinen Kritikern den Todesstoß zu versetzen. Ja, es waren eben auch diese „ewigen Meckerer“, die einfach nur die Freiheit besitzen wollten, ihre eigenen Entscheidungen treffen zu dürfen, die mit an der Geburt dieses Albums Anteil haben. Menschen, die selbst entscheiden wollten, was sie hörten, lasen, sahen oder wohin sie auf dieser Welt reisten. Doch bis dahin war es 1976 noch „DER WEITE WEG“ (das dritte Studio-Album der STERN-COMBO MEISSEN, mit den wohl für ihre Verhältnisse kritischsten Texten), den man zurücklegen musste, um seine grundlegenden Menschenrechte zu verwirklichen.

Aber all diese Einschränkungen hatten auch eine wirklich gute Seite: sie forderten und förderten ein zwischenmenschliches Zusammengehörigkeitsgefühl, entstanden aus den ständigen Engpässen des alltäglichen DDR-Lebens, das heutzutage in dieser Form wohl kaum noch vorstellbar ist. Doch solche Erkenntnisse kommen einem immer erst dann, wenn man der DDR-Gefangenschaft entflohen ist und plötzlich nicht nur die Freiheit, sondern auch deren Ellenbogen zu spüren bekommt. Viele, die das Glück hatten, in dem deutschen Teil außerhalb der Mauer leben zu dürfen, werden das hier beschriebene Gefühl in seiner Intensität nicht in dieser Form nachvollziehen können. Genauso wenig wie das Gefühl des völligen Glücksempfindens und der Dankbarkeit für etwas Besonderes, eben alles, was in der DDR verboten war: eine unerwünschte Schallplatte, ein kritisches Buch oder ein unvergessliches, von der Stasi (DDR-Staatssicherheitsdienst) verbotenes Konzert, das geheim in einer Kirche aufgeführt wurde.

Nach der Friedlichen Revolution starb dieses Gefühl ziemlich schnell in vielen von uns und rein materielle Bedürfnisse machten sich an seiner Stelle breit. Aber so funktioniert eben Freiheit und vielleicht ist gerade das der Grund dafür, warum so viele ostdeutsche Landsleute von ihren westdeutschen nicht verstanden werden und natürlich auch umgekehrt. Unsere Gefühlswelten waren und sind leider auch heute noch sehr unterschiedlich, genauso wie eine Diktatur und eine Demokratie.

Allerdings kann ich mich hervorragend an ein Nach-Mauerfall-Gefühl erinnern, das meinem Vor-Mauerfall-Gefühl sehr ähnlich war. Und der Auslöser dafür war das Erscheinen der CD „Live 1976“.

Bereits am 16. Juli 1976 im Kulturhaus „Fürstenwalder Hof“ in hervorragender Klang-Qualität aufgezeichnet, erblickte dieser Mitschnitt genau 20 Jahre später das Licht des digitalen und mauerlosen deutschen Zeitalters. Der erste Satz im Booklet sagt bereits mehr als tausend Worte: „Nur wer zu seiner Vergangenheit steht, hat eine Zukunft.“ Gibt es überhaupt ein besseres Zitat für eine progressive Art-Rockband, die leider Mitte der 80er Jahre mit dem schlagerhaft singenden IC Falkenberg (Ralf Schmidt) in seichten Popgefilden versumpfte, und damit jedem anspruchsvollen DDR-Kunstrock-Fan einen hinterhältigen, kommerzverdächtigen Arschtritt verpasste?

Auf der CD befinden sich insgesamt „nur“ 5 Titel, wovon SIBELIUS’ „Finlandia“ (13:53 Minuten), GERSHWINs „Rhapsody In Blue“ (24:47) und BRIAN AUGERs „Happiness Is Just Around The Band“ (10:22) adaptiert werden. Und während in „Finlandia“ und „Rhapsody In Blue“ von der STERN-COMBO MEISSEN ein faszinierender, musikalischer Spagat zwischen Klassik und Rock vollführt wird, bildet die Brian-Auger-Coverversion den etwas enttäuschenden Abschluss eines ansonsten perfekten Albums. Besonders die klassischen Adaptionen, in denen die orchestralen Elemente in ein kunstvoll gewobenes Art-Rock-Gewand verpackt werden, lassen den Hörer sprachlos zurück. Die Professionalität der Musiker, die allesamt ein abgeschlossenes Musikstudium aufzuweisen haben, ist einfach unüberhörbar.

Die zwei verbleibenden Titel sind zum einen der Klassiker der Meißner schlechthin, nämlich „Kampf um den Südpol“ (9:10), in dem die Geschichte des Wettlaufs von Amundsen und Scott bei der Eroberung des Südpols, der für Scotts Mannschaft tödlich endete, vorgestellt wird und wo musikalisch die TEMPTATIONS mit „Papa Was A Rolling Stone“ um die eisige Ecke blinzeln. Zum anderen gibt es den balladesken Titel „Wenn ich träume“ (5:29), der nie als Studioversion erschien, zu hören und der wohl den alten, linientreuen DDR-Parteigenossen mit solchen Zeilen wie: „Wenn ich träume, dann gehe ich, wohin du nie kommst!“, gehörige Bauchschmerzen verursachte. Wahrscheinlich ist gerade dieser, doch eher unscheinbare Titel und der zur „Finlandia“ hinzugefügte kurze Text, der in unverschämter Weise doch mehrfach Worte mit dem Wortstamm „frei“ enthielt, Grund für die Nichtveröffentlichung, obwohl sie mit professioneller Studiotechnik aufgezeichnet wurde.

Fragte man jedoch die SCM-Fans der ersten Stunde, die ihrer Lieblingsband fast zu jedem Konzert hinterher reisten, welches wohl der ultimative Kult-Titel auf den Konzerten sei, wird die Antwort sehr eindeutig ausfallen, nämlich „Finlandia“. Mit diesem Titel eroberten die Mannen um MARTIN SCHREIER und NORBERT JÄGER die Herzen all derjenigen, die hinter dem Eisernen Vorhang den verrauschten Klängen von Art-Rock-Bands wie EMERSON, LAKE & PALMER, YES, EKSEPTION oder PINK FLOYD lauschten. So wurde extra im Osten für solch einzigartige Musik der Begriff „Kunst- & Klassik-Rock“ erfunden und liebevoll nannte man die STERN-COMBO alsbald auch EMERSON, LAKE & PALMER DES OSTENS, was natürlich kein Wunder sein konnte, wenn man bedachte, dass neben mehreren Keyboardern und Schlagzeugern, einem Sänger und einem Bassisten eben kein E-Gitarrist auf der Bühne stand.

„Finlandia“ aber sollte in der DDR ein konzertantes Schattendasein führen, da die Urheberrechte noch im westlichen Ausland lagen und die Funktionäre in der DDR selbstverständlich keinerlei Veranlassung dazu sahen, Devisen für die Veröffentlichung zugunsten einer Rockband auszugeben. Immerhin hatte ja der altstalinistische Spitzbart Walter Ulbricht Rock- und Beatmusik zur Unkultur erklärt, nachdem er beim kultur- und beatfeindlichen Verdikt des 11. Plenums des Zentralkomitees der SED wörtlich äußerte: „Mit diesem Yeah, Yeah, Yeah, Yeah und wie das alles so heißt, muss endlich mal Schluss sein, Genossen!“ Na ja, dieser alte Lügenbold hatte ja schließlich auch niemals vor, eine Mauer zu bauen!

Aus meiner Sicht ist übrigens „Kampf um den Südpol“ der zweitbeste Titel, der jemals in der DDR erschienen ist und an dem niemand, der sich, in welcher Weise auch immer, für DDR-Musik interessiert, vorbeikommt. Spätestens mit der Veröffentlichung dieses großartigen Stückes auf einem McDonalds-Sampler (Oh Mann, selbst wenn die Burger wie Scheiße schmecken und der Rinderwahnsinn nicht weit ist, dann muss es doch einen Menschen in diesem Verein geben, der nicht nur Burger im Bauch, sondern auch Grips im Hirn und gute Ohren hat!) sollte diese Musik wohl bis in die letzte größere McDonalds-Stadt gedrungen sein. Zusätzlich positiver Nebeneffekt: dieser klingende, wohlschmeckende Happen enthält mit der Kurz-Version von „Am Fenster“ von CITY auch den besten DDR-Titel, allerdings nur in seiner schlecht gekürzten Variante.

Spätestens mit diesem Album hat sich die STERN-COMBO MEISSEN, die noch heute, allerdings mit dem neuem, ausgezeichneten Sänger LARRY B. von TOXIC SMILE, live unterwegs ist, ein Denkmal gesetzt und macht all das wieder gut, was sie Mitte der 80er Jahre an musikalischen Tiefflügen oder IC-Abstürzen zu verzeichnen hatte. Selbst wenn die Zeiten sich ändern und vieles in Vergessenheit gerät, ist diese Scheibe dazu „verdammt“, in alle Ewigkeit nachzuwirken!

FAZIT: Um es kurz zu machen: dies ist ein Album, in dem sich schlicht und ergreifend deutsch-deutsche Geschichte widerspiegelt, einzigartig in seiner/ihrer Art. Filme über diese Zeit gibt es jede Menge … Bücher über diese Zeit ebenso … nur Musik??? Die ist einmalig, einzigartig und heißt STERN-COMBO MEISSEN Live 1976! Wer dieses Album nicht hat, dem fehlt ein musikalischer Teil der deutsch-deutschen (Musik-)Geschichte.

Thoralf Koß - Chefredakteur (Info) (Review 7624x gelesen, veröffentlicht am )

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Tracklist:
  • Finlandia
  • Der Kampf um den Südpol
  • Wenn ich träume
  • Rhapsody In Blue
  • Happiness Is Just Around The Band

Besetzung:

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  • keine Interviews
Kommentare
Wete
gepostet am: 30.05.2009

User-Wertung:
15 Punkte

ein sehr gelungenes werk, jedem zu empfehlen,der musikals handwerk versteht. übrigens ist stern meissen bereis 1964 gegründet undhat hervorragende musik produzert.
(-1 bedeutet, ich gebe keine Wertung ab)
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