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Boris Savoldelli & Elliott Sharp: Protoplasmic (Review)

Artist:

Boris Savoldelli & Elliott Sharp

Boris Savoldelli & Elliott Sharp: Protoplasmic
Album:

Protoplasmic

Medium: CD
Stil:

Avantgarde / Free Jazz / Elektro

Label: Moonjune Records
Spieldauer: 49:28
Erschienen: 16.06.2009
Website: [Link]

Protoplasmische Verformung: Man nehme eine Substanz, vorzugsweise eine gallertartige Masse, und forme sie in abstrakte Bahnen - wenn es das Geschick erlaubt, zu einem Kunstwerk. Oder man nehme gleich zwei Substanzen, mische sie ineinander und ernte daraus etwas Neues. So geschehen mit Stimmenakrobat Boris Savoldelli und dem Gitarristen Elliott Sharp.

Für sein Soloalbum “Insanology”, aufgenommen ausschließlich mit Loop-Gerät und seinem fest am Körper angewachsenen Vokalinstrument, hatte Savoldelli viel Lob ernten können, insbesondere aufgrund des Facetten- und Einfallsreichtums in der Manipulation seiner Stimme. Zu den Bewunderern gehörte auch Sharp, der auf einem Gig in Mailand ein Exemplar besagter Scheibe überreicht bekam und nicht mehr davon ablassen konnte. Ein Jahr später traf man sich in Padua wieder. Ein Gastauftritt wurde ausgemacht, und der muss bei den Beteiligten so viel gegenseitigen Eindruck gemacht haben, dass ein gemeinsames Album abgesprochen wurde. Jener gestaltwandlerische, elektrisch geladene, improvisierte und formlose Brocken Avantgarde nämlich, der hier und jetzt Gegenstand der Besprechung ist.

Instrumente sind lose Gefährten in einem von Stimmzirkulationen bestimmten Album, auf Distanz gehalten, indem man sie durch den Verzerrer presst, an dem das vielschichtige Organ des Italieners allerdings auch nicht vorbeikommt. Einzelne Akkordanschläge nach KING CRIMSON-Rezeptur, wie Sternenexplosionen vor dem geschlossenen Auge, wellenförmiger Kirchgesang, unterbrochen von Scratching, das mit jeder Nanosekunde schneller wird, bis “Black Floyd” eine recht offensichtliche Reminiszenz erweist, indem es wie von der Tarantel gestochen aufheult. Das Ganze immer so weit wie möglich entfernt von klassischen Songstrukturen.

Doch was so experimentell an Niederschlag auf den beschirmten Hörer niederprasselt, dieser Elektro-Regen und die Smogwolke des scheinbar zufällig Angeordneten, all das ist geplant und folgt einer zugegeben nicht ganz durchsichtigen Struktur. Längst bevor in “Nosthalgia” erstmals Ansätze eines Songs auftauchen, nimmt die protoplasmische Gestalt mit ihren beiden Substanzen BS und ES Form an. Die E-Gitarre Sharps und die Stimme Savoldellis sind gerade noch als Einzelteile zu erkennen und während man “Protoplasmic” lauscht, wird man Zeuge davon, wie sie miteinander verschmelzen. Das ist daran zu erkennen, wie sie in langgezogenen Abschnitten gemeinsam Dissonanzen entwickeln, wie sie durch Disharmonie harmonieren, wie sie durch Reibung elektrische Ladung erzeugen.

Elektronika, Gesang, E-Gitarre und das Naked-Lunch-Gedächtnis-Saxophon auf “Dig It” liegen wie akustische Zutaten auf dem Band einer Sushibar, an der Savoldelli und Sharp sitzen und sich die Mechanik des Laufbandes vornehmen: Sie verzerren die Realität, drehen und wenden sie, bearbeiten sie, schichten und überlagern sie. Nur eine Sekunde der “Wupp Wupp”-Geräusche aus “Khaotic Life”, die auch aus dem Munde eines zu Tode erschreckten Dr. Zoidberg stammen könnten, würden reichen, einen Radiohörer auf ewig zu vergraueln. Vorurteile, etwa der Sinn- und Ordnungslosigkeit oder des prätentiösen Intellektualismus, sind schnell geschrieben, übersehen aber die innere Logik von etwas, das Lebendigkeit in der Verzerrung und Bearbeitung sucht.

FAZIT: “Protoplasmic” mit einer Note zu versehen, ist so, wie die Zellformung als Anfang allen Lebens zu bewerten. Das Leben kann stinken oder schön sein, ob man nun den Mel-Brooks-Weg wählt oder denjenigen von Frank Capra, ist Ansichtssache. Wichtig zu wissen ist folgendes: “Protoplasmic” ist irrsinnig abgedreht und avantgardistisch bis zur Schädeldecke. Ein Anti-Album voller Anti-Songs, das gesangliche Konterfei zu den Elektro-Korpi, die APHEX TWIN mit all seinem latenten Grusel gezeugt hat. So viel zu den Oberflächenmerkmalen der Zitteraal-Chimäre. Ihre Qualitäten letztlich liegen darin, dass es gelungen ist, Savoldelli und Sharp miteinander zu surrealem Klump mit System zu verschmelzen. Bill Hicks wäre stolz auf dieses Album gewesen.

Sascha Ganser (Info) (Review 4721x gelesen, veröffentlicht am )

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Tracklist:
  • A-Quantic
  • Noises In My Head
  • Prelude To Biocosmo Pt. One
  • Black Floyd
  • Reflective Mind
  • Nostalghia
  • A Meeting In A Park
  • Khaotic Life
  • Prelude To Biocosmo Pt. Two
  • Dig It

Besetzung:

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