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Marten Kantus: Requiem (Review)

Artist:

Marten Kantus

Marten Kantus: Requiem
Album:

Requiem

Medium: CD/Download
Stil:

Spirituelle Musik hinter einer katholischen Totenmesse

Label: Eigenvertrieb (auch als kostenloser Download)
Spieldauer: 45:15
Erschienen: 15.05.2015
Website: [Link]

Die Welt um uns herum geht langsam unter, die Natur verreckt, genauso wie die Menschen, die in ihrer Verzweiflung die Flucht über das offene Meer suchen, die Politik steuert auf den nächsten kalten Krieg zu, der noch ein paar Kilometer entfernt schon heiß ausgetragen wird, und der allgemeine Untergang kommt immer näher, während noch immer Religionen als Opium für‘s Volk ihre jenseitigen Botschaften vom Himmelreich verkünden, damit wir uns nicht zu intensiv mit dem Diesseits beschäftigen.
Doch was machen wir und die von uns gewählten Polit-Marionetten oder angebeteten Prediger dagegen?
Wir investieren die nächsten Milliarden! Aber nicht etwa für die Rettung der Welt, die Abschaffung des Hungers und der Armut, das Überleben der Natur, sondern für eine neue Raketen-Abwehr-Waffe und ein anderthalbtägiges G-7-Treffen, bei dem politische Beweihräucherung für 360 Millionen Euro betrieben wird oder bauen immer größere und schönere und teuerere Gotteshäuser!

Natürlich stinken uns diese und ähnliche Ungerechtigkeiten Tag für Tag an, nur sollten wir uns nicht doch besser das „Gelassenheitsgebet“ von Niebuhr zu Herzen nehmen: „Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden“?

MARTEN KANTUS begibt sich in diesem Sinne auf musikalische, aber auch religiöse, wenig gelassen wirkende, Abwege, denen die beiden Kritiker dieses 2015er Werks nicht mehr so richtig folgen wollen bzw. können. Darum auch die Entscheidung einer erneuten „Doppelbesprechung“ zwischen Jochen und mir, die eigentlich meinerseits als Pro-Kontra-Review gedacht war, aber am Ende zu einer fast gänzlichen Übereinstimmung beider Kritiker führte, aus deren Sicht MARTEN KANTUS‘ neustes Album sein zugleich auch schwächstes geworden ist. Als Grundlage für diese Erkenntnis stelle ich hier zuerst Jochens sehr aussagekräftige Kritik an den Anfang:

„‚Requiem‘ dürfte MARTEN KANTUS bislang ambitioniertestes Werk sein, auch wenn ‚Apostle‘ schon in eine ähnliche Richtung zielte. Doch hier tritt der religiöse Aspekt durch die Befolgung der liturgischen Vorgabe in den lateinischen Texten und die Umsetzung der klassischen musikalischen Struktur der Totenmesse – mit Verzicht auf’s ‚Dies Irae‘ - noch stärker hervor.
‚Leider!‘, möchte man sagen, denn was hätte die Intention, dem Entsetzen über den ‚desolaten Zustand‘ der ‚heutigen Welt‘ ein musikalisches Sprachrohr zu geben, für Möglichkeiten geboten? Dem Hass, der Intoleranz, der globalen Verdummung ein lautes ‚Nein‘ entgegenzuschreien. Stattdessen finden sich auf KANTUS‘ erstem Vokalwerk nur die religiösen Standardtexte, die zwar innig, aber auch unverbindlich und unverfänglich sind.

Technisch wird das von den Chören souverän umgesetzt, wie überhaupt erstaunlich ist, dass MARTEN KANTUS wieder solch eine voluminöse Eigenproduktion – mit Chor und Orchester – hinbekommen hat, dabei erneut eine Vielzahl von Instrumenten selbst spielt. Diesmal allerdings kein Keyboard-Arsenal, das Piano dominiert, flankiert unter anderem von Violine, Saxophon, Klarinette und Flöten. Gitarren spielen jedoch keine Rolle.

Dies führt erfreulicherweise dazu, dass sich KANTUS so weit wie nie zuvor von der Musik MIKE OLDFIELDs entfernt, von Rock und Jazz ebenfalls ein gutes Stück, lediglich folkloristische Motive mit einem Hauch JETHRO TULL blitzen selten durch („Agnus Dei“). Ansonsten dräut und drängt das düster wabernd aus den Lautsprechern, knietief in der Spätromantik herumwatend. Es gibt gelungene Passagen, solistische Einschübe die aufmerken lassen, insgesamt bewegt sich das ‚Requiem‘ allerdings allzu gefällig im Gehege der kontemplativen Musik. Der große dramaturgische Spannungsaufbau fehlt, der Wille, all den Zorn, die Enttäuschung, das Entsetzen angesichts des Grauens ins Wilde, Atonale umkippen zu lassen, ist kaum existent. So erreicht das Werk weder die beschwörende Tiefe wie sie ARVO PÄRT erzeugt, ist konzeptionell nicht so stilisiert wie das ‚Requiem‘ GUSTAVE FAURÉs (mit dem es noch die meiste Ähnlichkeit aufweist), von der Auflösung bis hin zur Schmerzgrenze wie sie GYÖRGY LIGETI betrieb, ganz zu schweigen.“

Hier klinke auch ich mich noch kurz ein, da mein einziger gravierender Widerspruch zu allen Aussagen Jochens ist, dass ich es nicht als glücklich empfinde, dass sich MARTEN KANTUS immer mehr den Einflüssen OLDFIELDs auf seine Musik entzieht. Der begnadete Multiinstrumentalist Kantus hat nun wohl auch noch seine Stimme - und was viel schlimmer ist - eine tief-religiöse Musikausrichtung für sich entdeckt. Dieser Rückschritt ins mittelalterliche Requiem-Frust-Getöne wirkt auf mich regelrecht entsetzlich, so als hätte sich Marten einer Gehirnwäsche unterzogen, die man ihm in einem Kloster verabreichte, damit er mit all seinem Können endlich mal ein offensichtlich religiöses Stück fabriziert. Deshalb kriecht Marten musikalisch zu (Katholischem) Kreuze und weil die böse Welt auch noch so schlecht ist, muss gleich eine Totenmesse dafür herhalten. Wie sehr ich mich doch nach bereits dem ersten Hördurchgang von „Requiem“ wieder nach dem Musiker zurücksehnte, der mehr atmosphärischer Oldfield-Kantus als frustrierter Requiem-Kantor ist!

KANTUS selbst schreibt: „Wachsende Teile der Welt sind offenkundig von allen guten Geistern verlassen. In ihnen gedeiht weltanschaulicher und (pseudo)religiöser Irrsinn, der ganze Landstriche verwüstet und Leid verbreitet. Schon zur Gewohnheit gewordener Terror vernichtet bald täglich Menschenleben und geistige Werke. Das Opfern hat wieder Konjunktur.“
Da stellt sich mir doch die Frage, warum die bisher wirklich beeindruckende Musik von MARTEN KANTUS in diesem Kontext seiner neuen, eigenen Musik-Gesinnung zum Opfer fallen muss.
„Gott, gib MARTEN KANTUS die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die er nicht ändern kann - und Dinge beizubehalten, die er bereits zum Besseren geändert hat, statt sich in musikalischen Totenmessen auszutoben, die aus seiner Sicht ‚Trost stiften inmitten einer überwältigenden Finsternis‘!“
Dieses „Requiem“ hinterlässt in mir jedenfalls nur Finsternis und ist in keiner Weise ein musikalischer Trostspender!

Jochens FAZIT: Man muss den Willen, den Aufwand und die technische Fortüne, die MARTEN KANTUS bei seinem „Requiem“ betreibt, schlicht bewundern. Als tröstlicher, neoklassischer Soundtrack zu einem gemütlichen Katastrophenfilm geht die Totenmesse mit dunklem Romantik-Anstrich recht gut ins Ohr. Als Aufschrei gegen die herrschenden Übel ist das dreiviertelstündige Werk zu harmlos und altbacken. (8 Punkte)

Mein FAZIT: „Apostle“ beunruhigte mich bereits ein wenig, „Requiem“ erschüttert mich. MARTEN KANTUS will mit diesem Album zum Ausdruck bringen, dass „man kein empfindlich flackerndes Licht in eine Welt bringen kann, in der sich ganze Massen vor den Mächten der Finsternis anbetungsvoll verneigen“. Mit „Requiem“ begibt er sich selber auf die Seite musikalischer Vokal-Finsternis, statt ein musikalisches Instrumental-Feuer zu entzünden, das den bösen Spuk wenigstens ansatzweise zu vertreiben versucht. (4 Punkte)

Thoralf Koß - Chefredakteur (Info) (Review 3568x gelesen, veröffentlicht am )

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Wertung: 6 von 15 Punkten [?]
6 Punkte
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Tracklist:
  • Requiem / Kyrie
  • Offertorio
  • Sanctus
  • Agnus Dei
  • Lux Aeterna
  • Libera Me
  • In Paradisum

Besetzung:

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