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Interview mit Wardenclyffe (30.07.2013)

Wardenclyffe

Da Fürsprecher Jacob ein gescheiter Kopf ist und eine Menge zu sagen hat, reden wir nicht lange um den kalten Szene-Brei herum, sondern befassen uns mit den Inhalten der Songs der Skandinavier.

Mit "Orcadian Dream" bezieht ihr euch auf die biblische Stadt Gomorra; stellt ihr damit einen Bezug zu politischem Totalitarismus in der Neuzeit her?

Philosophie und Religion haben mich seit je interessiert, wobei die spirituelle Dimension für mich etwas sehr Wirkliches darstellt. Ich habe viel darüber gelesen und beschäftige mich ständig von neuem damit. Organisierte Religion ist ein Werkzeug der Unterdrückung für Eliten, die dadurch die Kontrolle über eine Gesellschaft erlangen und ihre eigene Ordnung schaffen möchten, also ist der Bezug zum Totalitarismus logisch, wenn man an Faschismus und Kommunismus denkt: starke Symbole, übersteigerte Führungspersonen und das Streben nach einer perfekten Utopie. Das Individuum verliert seinen einzigartigen Charakter, wenn es Gott oder dem Staat dienen muss. Ein findiger Führer weiß um die Wichtigkeit von Religion für die Massen.

In "Behind The Shadow Of The Goat" zeichnet ihr das Bild einer Armee Untoter, die über irgendwelche Schwachen herfällt. Wer sind letztere, und was macht euch so sicher, nicht dazu zu gehören?

Der Text ist wieder politischer Art. Darin steckt viel von der Hegelschen Dialektik und Alvin Tofflers futuristischen Theorien. Einflussreiche Akteure versuchen, weichen in eine bestimmte Richtung zu stellen, um dann Ereignisse loszutreten, die in ihrem Sog gewaltige Veränderungen erwirken, wodurch diese Leute Macht und Profit gewinnen. Ihr Ziel ist es also, die Gesellschaft zu lenken, bevor ihnen der Lauf der Dinge auf dieser Welt zuvorkommt. Demnach tut man gut daran, sich darauf gefasst zu machen, Opfer der Umstände zu werden - oder man tut es wie im Refrain angedeutet und blickt hinter die Kulissen, um die Illusion zu zerstören.

In "Macroshift" geht es weiter um die angedeuteten bahnbrechenden Veränderungen, nicht wahr?

Diese Lyrics sind das Ergebnis meiner Nachforschungen zum Themenkreis New Age und über den Maya-Kalender. Insbesondere der ungarische Systemphilosoph Dr. Ervin Laszlo hat sich darauf berufen. Er kündigte einen Sinneswandel in Verbindung mit dem Ende der Zeitrechnung der Mayas an, also für den 21 Dezember 2012. In diesem Zusammenhang sprach er von einem Übergang zu einer zukunftsfähigen Gesellschaft, die ihre Evolution selbst mithilfe der Technologie bestimmt. Diese Idee habe ich mit Gedanken der theosophischen Bewegung verschränkt, um ein vielleicht dystopisches Bild der Zukunft zu entwerfen, wo eine Weltregierung alle Menschen mit einem kollektiven Hirn verbindet. Dabei stellt sich die Frage: Wer verfügt über dieses Gehirn?

Der Titel des Demos verweist auf Verschwörungstheorien. Was zieht ihr beispielsweise aus der Freimaurerei und ähnlichen Erscheinungen?

Auf den Titel kam ich im Rahmen meiner wissenschaftlichen Arbeit, womit ich mich auch speziell auf die momentane Europapolitik beziehe. Krisen sind stets auch Chancen zur Weiterentwicklung und stellen am Ende wieder ein wirkliches Gleichgewicht her, aber um auf deine Frage zu kommen: Verschwörungstheorien finde ich schon lange ungemein spannend, und gerade die Freimaurer werden von einem rätselhaften Hauch umgeben, der diese Vorliebe weiter forciert hat. Über die Wurzeln des Rosenkreuz-Ordens und die Rolle der Freimaurer im Zuge der wissenschaftlichen Revolution habe ich eine Menge gelesen. Ferner begeistere ich mich für Tarot-Mystik und die Kabbala beziehungsweise den Zusammenhang okkulter Tradition und Moderne mit den Freimauern.

Das Cover eures Demos ziert eine Szene aus dem Kamp zwischen einen geistlichen und einem weltlichen Herrscher; wollt ihr damit ausdrücken, dass wir nach Jahrhunderten immer noch nicht aus unseren Fehlern gelernt haben?

Genau. Generell finde ich, dass sich die Menschheit im Kern nicht sonderlich weiterentwickelt hat. Wir treten immer wieder in die gleichen Fettnäpfchen, wenngleich ich daran glaube, dass wir alle dazu fähig sind, eine spirituelle Reise anzutreten, also sind unsere Seelen jeweils älter oder jünger, und ist letzteres der Fall, begeht man Fehler, um zu wachsen, wohingegen die alten Seelen für Weisheit stehen, beobachten und helfen können. Insgesamt ändert sich an der Gesellschaft aber leider nur wenig. Die Mischung bleibt mehr oder weniger ausgewogen, nur die jeweiligen Umstände ändern sich.

Wie haben die Professoren reagiert, als du deine Abschlussarbeit zusammen mit eurer Musik eingereicht hast?

Überwiegend positiv. Kritik an dem Soundtrack zum Text gab es praktisch nicht, aber der Inhalt und meine Schlüsse daraus wurden deutlich kontroverser aufgenommen. Das führte zu einer erhitzten Debatte, und tatsächlich wollten hochrangige Politiker verhindern, dass die Arbeit veröffentlicht wird.

Krass. Hast du gesehen, dass die Texte Fans auf Metal Archives dazu inspiriert haben, selbst in die Tasten zu hauen?

Ich kenne die Story und mag sie wirklich. Sie beweist, dass man Gedanken verbreiten und Kreativität beflügeln kann. Hoffentlich sehen wir in Zukunft mehr davon.

Was haltet ihr vom anhaltenden "Okkult"-Trend in der Rockmusik und dem Metal?

Anscheinend bekommen die Leute nicht genug davon, von Generation zu Generation. Bei mir war es in den Achtzigern schon genauso, wenngleich die Musik bezogen auf frühere Jahrzehnte heute viel von ihrer Gabe zum Fantastischen eingebüßt hat. Mittlerweile ist vieles schon einmal dagewesen, also sehnt man sich danach, vermeintliche Wurzeln aufzugreifen, zum Beispiel auch in der Architektur. Die Vergangenheit inspiriert eben, aber das Dumme daran ist, dass die Verantwortlichen bisweilen zu weit gehen, was dann zu mieser Musik führt, einer billigen Kopie. Ich bin mit dem Tapetrading, billig kopierten Fanzines und unleserlichen Bandlogos groß geworden, was an allseits beschränkten technischen Möglichkeiten gelegen hat. Vor diesem Hintergrund ist es heutzutage albern, die Musik auf die gleiche primitive Weise aufzuziehen, charmanter Charakter hin oder her.

Seht ihr euch denn eher als Fackelträger statt Nachlassverwalter?

Beides zu einem gewissen Teil, würde ich sagen. Traditionen sind eine Grundlage, aber wir halten uns nicht sklavisch an Regeln. Wir sind ein neugieriger Schlag Mensch, also bleibt alles offen.

Sami Hynninen hat euer Logo entworfen; wie nahe stehen WARDENCLIFFE irgendwelchen Szenen, allen voran der Doom-Klienel?

Ich wollte die Band nie in diesem Kontext verstanden wissen, was unser neues Material noch deutlicher betonen wird. Mit der Szene haben wir nur am Rande zu tun, zumal diese Leute sowieso nicht sonderlich darauf bedacht sind, mit anderen anzubandeln. Doom ist Musik für Eremiten und introvertiere Seelen, eine nachdenkliche kleine Gruppe für sich. Ich halte es lieber mit engen Freunden, die mich stützen und ehrliches Feedback geben. Auch brauche ich Leute, die mehr sind als nur Musiker, weil ich mich für viele anderen Sachen interessiere.

Zum Wardenclyffe-Tower und Nikola Tesla sagt ihr, sie repräsentierten die Vereinigung aller Elemente für euch. Wie lassen sich der Mensch und die Natur heutzutage miteinander versöhnen, und welche Rolle mag die Musik dabei spielen?

Tesla war dahingehend ein faszinierender Mensch, dass er eine bessere Welt schaffen wollte. Mensch und Natur versöhnen? Die beiden waren nie voneinander getrennt. Wir sind ein Teil der Natur und dürfen dies nicht leugnen, weil wir von ihr abhängen, wobei der Musik in der Tat eine wichtige Rolle zufällt: Sie ist quasi die Sprache der Götter und zeigt eine tiefgreifende Wirkung auf alles Lebendige ... was mich an ein obskures Buch des Philosophieprofessors Oliver Reiser aus den Siebzigern erinnert, in dem es um kosmischen Humanismus und die Welteinheit ging. Er sah voraus, die Musik trage einen gewichtigen Teil zum Wiederaufbau eines kosmischen Tempel Salomos bei. Aus seiner Sicht schenkt Musik der Welt Harmonie und Zusammenhang.

Was wollt ihr langfristig erreichen?

Zunächst einmal gibt es im Herbst ein neues Demo, wiederum mit drei Stücken: "Warden of the Deluge", "Grievance" und "The Hidden Masters of Tibet". Hoffentlich ziehen wir damit einen Plattenvertrag an Land, um 2014 ein Album zu veröffentlichen. Dem könnte sich eine Tour anschließen, wobei ich gerne eine Steampunk-Kulisse auf die Bühne brächte.

Andreas Schiffmann (Info)
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