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Interview mit TOM 'THE PERC' REDECKER (12.09.2020)

TOM 'THE PERC' REDECKER

Auf elektrischem Familienausflug nach Sireena

oder

Wenn Echos nicht lügen und ein Plattenlabel Geburtstag feiert


Erst ließen sich THE ELECTRIC FAMILY unter Federführung von TOM 'THE PERC' REDECKER zehn Jahre Zeit, um ihre älter gewordenen Krautrock-Freunde mit dem Album „Terra Circus“ nicht nur zu überraschen, sondern auch zu überzeugen – nun also dauerte es nur drei Jahre nach ihrem 2017er-Album bis zum nächsten, ebenfalls überzeugenden Studio-Album: „Echoes Don't Lie“! Und um das Interview zu dem Album komplett unvoreingenommen zu führen, haben wir noch nicht unsere Review zu dem Album veröffentlicht...

 Doch es gibt noch einen weiteren Grund zum Feiern, denn SIREENA, Tom Redeckers Retro-Label allererster Güteklasse – zumindest für alle krautverliebten Musiknostalgiker unter uns – feiert im September seinen 20. Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch dazu – und natürlich ein hervorragender Grund, um mit Tom ein spannendes Geburtstagsinterview zu führen!

 

Doch bevor wir uns dem Label-Geburtstag widmen ein paar Fragen zu „Echoes Don't Lie“, Tom. Wie gelingt es dir eigentlich, deine riesige Familie namhafter Musiker für ELECTRIC FAMILY nicht nur als Familienoberhaupt zusammenzubringen, sondern auch dermaßen schlüssig und „bandtypisch“ klingen zu lassen? Wieviel Zeit, Kraft und Organisationstalent kostet dich das eigentlich?

Ich denke, es braucht von allem ein bisschen. Der Zeitfaktor spielt natürlich eine Rolle, obwohl in Zeiten von eMail und Social Media die Kommunikation deutlich einfacher zu organisieren ist. Ich kann mich noch daran erinnern, wie wir vor über 20 Jahren noch mit Fax und meist abendlichen bis nächtlichen Telefonaten oft am Wochenende die Leute zusammengebracht haben. Aber wir haben ein gutes Büro, und da läuft das doch ganz routiniert und organisiert ab.

 

Wie seid ihr eigentlich auf die Idee gekommen, auf eurem aktuellen Album mit „I've Been Waiting For You“ (eingesungen vom GROBSCHNITTer Milla Kapolke) erst einen Song von NEIL YOUNG und dann mit „Mini Mini Mini“ auch noch einen 60er-Jahre-Song von Jacques Dutronc, einem französischen Chansonnier und Schauspieler, der im Land der Verliebten durchaus KINKS-Qualitäten in die musikalische Waagschale wirft, zu covern? So weit ich weiß, muss gerade der dir wohl sehr wichtig sein, denn bereits mit SUN TEMPLE CIRCUS hast du einen Dutrons-Song gecovert. Und wer bringt die Cover-Vorschläge denn so ein, immerhin habt ihr euch auf dem vorangegangenen Album beim Covern für CAN und SISTERS OF MERCY entschieden?

 Unsere Coverversionen sind immer so etwas wie das Salz in der Suppe. Wir spielen die Tracks ja nicht einfach nach, sondern gestalten sie immer etwas anders. So werden sie fast zu Family-Songs. Milla Kapolke von Green, der ja viele Jahre bei Grobschnitt Bass gespielt hat, wollte schon länger bei der Family mitmachen. Ich habe ihn gefragt, was er von einer Wiedergabe von „I’ve Been Waiting For You“ halten würde. Er als großer Neil Young-Fan war gleich begeistert, und so haben wir uns im letzten Jahr in einem Studio in Hagen getroffen und mit der kompletten Green-Band den Titel eingespielt. Aus dem im Original 3minütigen Folkrock entstand bei uns eine ausufernde Version, auf der vor allem Gitarrist Bubi Hönig von Extrabreit glänzt. Und richtig, ich bin großer Jacques Dutronc-Fan, ich liebe alle seine frühen Songs. „Mini Mini“ war ja damals die Single B-Seite von „Et Moi, et Moi“, und wir waren der Meinung, jetzt wird’s Zeit auch diesen tollen Minimal-Kracher zu interpretieren.

 

In einem Interview im Eclipsed mit dir zu „Tender“ sagtest du, dass dich beim Komponieren stark „Volunteers“ von JEFFERSON AIRPLANE und eine ganze Menge Zeugs von GRATEFUL DEAD beeinflusste, weil das zu der Zeit, also vor nunmehr 21 Jahren, bei dir rauf und runter lief. Was lief denn diesmal bei dir so rauf und runter, während du/ihr an „Echoes Don't Lie“ arbeitetet?

Viel Reggae, Dub und elektronische Musik, auch mal Simon & Garfunkel. Und natürlich die Musik, die ich für Sireena Records aufbereite. Jini Meyer, Lord’s Family, In2TheSound und so weiter.

 

Der für den 16. August geplanten Record-Release-Party machte ein völlig unmusikalisches Virus einen gehörigen Strich durch die Rechnung. Läuft der Verkauf des aktuellen Albums trotzdem ganz gut und wie geht ihr als Musiker momentan mit dieser extrem beschissenen Situation um?

Corona-bedingt mussten wir die Party absagen, das ist traurig. Denn nichts machen Musiker lieber, als auf der Bühne ihr Zeugs zu präsentieren. Die bisherigen Verkaufszahlen lesen sich gut, aber das Album ist ja erst 3 Wochen auf dem Markt. Frag mich danach Ende des Jahres noch einmal. Für jeden Kulturschaffenden ist dieses Jahr ein Jahr zum Vergessen. Es tut mir im Herzen weh, wenn ich mitbekomme, wie viele Kollegen aus Musik, Film und Theater ums Überleben kämpfen. Ich hoffe inständig, dass sich die Politik noch einmal durchringt, den Geldbeutel für weitere Unterstützungsmaßnahmen zu öffnen.

 

Für den November habt ihr eine Tour geplant. Stehen die Chancen gut dafür oder sieht's eher nach einer Konzert-Absage aus?

Nein, unsere Agentur hat sämtliche Konzerte, auch die von uns geplanten, ins nächste Jahr verschoben, was angesichts der derzeitigen Situation verständlich ist. Wir tragen das mit, weil es keine vernünftige Alternative gibt. Lasst uns alles im nächsten Jahr zusammen nachholen!

  

Und Schnitt…


 

SIREENA! Dein Plattenlabel ist die Retro-Musik-Institution schlechthin, die nicht nur die ungewöhnlichsten Bands aus den Bereichen Kraut-, Prog-, Space-, Jazz-, Alternativ-Rock, sondern auch NDW, Worldmusic, Electronic usw. wie wertvolle Edelsteine ausgräbt und deren Alben meist als remasterte Versionen auf Vinyl und CD veröffentlicht. Gegründet vor 20 Jahren, also im neuen Millennium. Wie lange trugst du die Gründungsidee für dein Label mit dir rum und wie viel Mut (aber auch Geld) kostete es dich, diese Idee anfangs zu verwirklichen? Und wie läuft's in dieser Beziehung zum 20. Geburtstag?

Das Label habe ich ja zusammen mit Lothar Gärtner, dem ehemaligen Inhaber von Strange Ways Records (Wolfsheim, Witt, Kastrierte Philosophen, Pachinko Fake etc.) gegründet. Die Idee hatten wir schon länger, aber im Jahr 2000 haben wir dann gestartet. Wir haben ein bisschen Geld zusammengelegt und ab gings.


Nach welchem Grundsatz betreibst du deine Veröffentlichungspolitik?

Erster Grundsatz: Es muss uns gefallen! Und dann ist sehr viel möglich. Nicht umsonst heisst unser Firmenmotto: Mehr Vielfalt geht nicht. Oder überspitzt ausgedrückt: Außer für Dixieland und Peking Oper sind wir für fast alles offen!

 

Kannst du dich noch an das erste Album, das du vor 20 Jahren mit deinem Label veröffentlichtest erinnern? Und lief dabei alles so wie geplant ab?

Die erste Veröffentlichung mit der Bestell-Nr. SIR 2001 war „Pueblo Woman“ von The Electric Family. Sie erschien im September 2000 und ist, glaube ich, immer noch erhältlich.

 

Für mich persönlich war eins der Highlights der Sireena-Veröffentlichungen die TRIBUTE-LP, und dann noch TRI ATMA und WONDERLAND. Allerdings könnte ich noch eine Unmenge weiterer Alben in der Kategorie „Meisterwerke aus dem Hause Sireena“ aufzählen. Ganz aktuell diesbezüglich NAUTILUS. Welches sind denn deine persönlichen Favoriten?

Ganz schwierig zu beantworten, ich finde eigentlich alles gut, was wir in all den Jahren herausgebracht haben. THE FLYING KLASSENFEIND finde ich noch immer toll, auch ISLO MOB und OUGENWEIDE. Später DON STEVENSON, LORD’S FAMILY und ATOMIC ROOSTER. Aber ich will wirklich keinen hervorheben.

 

Hast du vielleicht auch die eine oder andere ganz spezielle Anekdote auf Lager, die dir bei der Veröffentlichung von Alben unter Sireena widerfahren ist und die unbedingt mal erzählt werden sollte?

Ach, das ist alles nichts Besonderes, im Gegenteil, die Rechte für eine Veröffentlichung zu klären ist eigentlich eher eine mühselige Geschichte. Da ergeben sich kaum Anekdoten, aber das Glücksgefühl, das einem widerfährt, wenn die fertige CD oder LP vor einem liegt, ist das alles wert.

 

Gibt es schon konkrete Vorstellungen, was wir als nächstes so aus dem Hause Sireena erwarten dürfen?

Für die NDW-Fans haben wir zwei weitere CDs von FEE in der Planung, dann eine Werkschau von unserer Lieblings-Hippiekommune LORD’S FAMILY, wir bringen eine wunderbare CD von ERMES / HARMS raus, die ansonsten bei Girls Under Glass spielen,und dann kommt noch ein neues Studioalbum der Wave-Legende WHITE ROSE TRANSMISSION.

 

Und abschließend noch eine in die Zukunft gereichende Frage: Welches sind deine derzeit wichtigsten Wünsche, deren Verwirklichung dir am Herzen liegen?

Gesund bleiben! Das wünschen wir uns und allen anderen. Und Corona endlich und endgültig hinter uns lassen. Mehr wage ich mir zur Zeit nicht zu wünschen. Und wir hoffen auf 2021!




Thoralf Koß - Chefredakteur (Info)